BR24 hier von Julian Schmidt-Farrent
Wie soll es weitergehen nach dem 9-Euro-Ticket? Verkehrsminister Wissing will erst auf Auswertungen warten.
Dabei suchen deutsche Städte bereits seit Jahren nach einem günstigen Ticket-Angebot.
Eine Stadt am Bodensee könnte zum Vorbild werden.
Vier Stunden und 17 Minuten: So lange tuckert die Regionalbahn, um von München in das kleine Radolfzell am Bodensee zu kommen. Radolfzell ist aber nicht nur eine Urlaubsidylle – die Kleinstadt könnte vielleicht sogar ein Vorbild für eine Verkehrswende in Deutschland nach dem 9-Euro-Ticket werden.
Breite Mehrheit für Fortsetzung des 9-Euro-Tickets
Am 31. August endet die Aktion um das 9-Euro-Ticket. Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen eine Fortführung des bundesweit gültigen Fahrscheins. Die Verkehrsbetriebe sind für eine zweimonatige Verlängerung. Und auch die Wissenschaft findet gute Worte für die Maßnahme – anfangs skeptisch, fände er jetzt das Projekt "superklasse", erklärt der Verkehrswissenschaftler Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum in Berlin.
Knie schätzt, dass mit einem Folgekonzept bis zu ein Drittel der Autofahrer für den ÖPNV gewonnen werden könnte. Das 9-Euro-Ticket habe die Leute aufgeweckt - ein Zurück zu alten Tarifstrukturen sei nicht mehr möglich. "Da ist die Büchse der Pandora aufgegangen."
FDP-Minister bremsen - Grüne machen Finanzierungsvorschlag
Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lobt das eigene Projekt, möchte es sogar fortführen. Aber: Dauerhaft für neun Euro durch ganz Deutschland fahren, das sei nicht finanzierbar. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat bereits deutlich gemacht, dass er eine weitere Finanzierung des 9-Euro-Tickets strikt ablehnt.
Die stellvertretende Vorsitzende des Verkehrsausschusses Nyke Slawik (Grüne) hält die Finanzierungsfrage dagegen für vorgeschoben – der Bund könne milliardenteure Subventionen für Kerosin oder auch die Steuervergünstigung für Diesel streichen und mit dem Geld ein Folgeticket ausbauen.
Vorschläge von 365 Euro im Jahr bis 69 Euro im Monat
Es ist offensichtlich: Bei der Finanzierung herrscht Klärungsbedarf. Im Moment beherrscht ein Zahlenwirrwarr die Debatte. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schlägt ein Ticket für 69 Euro im Monat vor. Auch bei diesem Preis müsse der Bund draufzahlen.
CSU-Chef Markus Söder gräbt hingegen eine alte Idee aus, die die SPD schon 2019 im Bundestag eingebracht hatte: das 365-Euro-Ticket. Auf den Monat gerechnet ist das sogar fast so viel wie der Vorschlag der Verbraucherzentralen, die 29 Euro im Monat fordern. Ein guter Preis, meint auch Verkehrsexperte Andreas Knie aus Berlin, doch dann müsse auch der Fernverkehr mit drin sein. Schließlich wisse man aus Studien, dass 29 Euro für die meisten potenziellen Bus- und Bahnfahrer attraktiv sei.
Viele verschiedene Zahlen – und Bundesverkehrsminister Volker Wissing hält sich mit eigenen Vorschlägen zurück. Er will auf die Auswertungen zur Nutzung des 9-Euro-Tickets warten. Im Herbst oder im Winter könnte es so weit sein.
So funktioniert es in Radolfzell
Dabei gibt es schon seit Jahren Beispiele dafür, wie sich günstige und einfache Tickets auf das Verhalten der Menschen auswirken. Zum Beispiel im kleinen Radolfzell am Bodensee. Hier hat die Stadt schon vor fünf Jahren den eigenen Nahverkehr ausgebaut und unter anderem ein 365-Euro-Ticket eingeführt. Die Folge: Die Fahrgastzahlen stiegen kräftig. Aber nur, weil auch gleichzeitig die Parkgebühren erhöht wurden, sagen die Stadtwerke – Autofahren wurde unattraktiver.
Auch Verkehrsexperte Andreas Knie meint: Nur am Ticketpreis herumschrauben löst keine Verkehrswende aus. Die Politik müsse auch die Privilegien für das Auto abschaffen.
Vom Abwarten des Verkehrsministers hält er derweil wenig. Typisch deutsch sei das, kritisiert er – stattdessen solle die Politik etwas wagen. "Versuch und Irrtum ist das Maß der Dinge, die wir verkehrspolitisch brauchen."