Donnerstag, 21. Juli 2022

Fachmann sieht Nahwärme als Schlüssel für eine klimaneutrale Zukunft

Schwäbische Zeitung hier  19.07.2022,  Annette Rösler

Klimaneutralität bis 2040: Wie das funktionieren kann, darüber hat Teil Bene Müller von der Solacomplex AG im vierten und letzten Teil der Veranstaltungsreihe vom Ortsverband Bündnis 90/Die Grünen sowie der Elektronikschule Tettnang und der Bodenseestiftung gesprochen. Im Zentrum standen Darstellungen zur Nahwärme.

Solarcomplex hat genau darauf seinen Schwerpunkt. Das Unternehmen wurde im Jahr 2000 von zwanzig Bürgern gegründet und hat heute ungefähr 1.200 Gesellschafter, die sich aus Privatpersonen, Firmen, Stadtwerken und Bürgerenergiegenossenschaften zusammensetzen.

Bene Müller: Öl und Gas finanzieren Kriege

Dass Solarcomplex-Vorstand Müller herkömmliche Energieformen sehr kritisch betrachtet, daraus machte er keinen Hehl:„Schauen Sie sich diesen Öltanker auf dem Bild genau an. Das ist ein getarnter Geldtransport“, sagte er im gut besuchten Forum. Supertanker fassten bis zu 300 000 Tonnen Rohöl. Die Ladung könne einen Wert von bis zu 160 Millionen Euro haben.

Und dieses Geld könne dann in Krisengebieten landen. Gleiches gelte für Gas. Müller: „Das heißt, wir finanzieren Kriege. Unsere Abhängigkeit von diesen Ländern muss dringend gestoppt werden.“

Experte: Mit Nahwärme bleibt Kaufkraft vor Ort

Schnelles Handeln sei notwendig, betonte Müller. Unsere Natur werde es sonst so bald nicht mehr geben. Man erkenne es an den immer heftiger werdenden Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Hitzeperioden. Ökologische Argumente reichten allerdings nicht aus, die Menschen zu verändern, sagte Bene Müller. Geld spiele eine große Rolle.

In vorwiegend fossil versorgten Regionen fließe die Kaufkraft ab und der Wohlstand gehe selbst bei gleichbleibendem Energiebedarf durch die Preissteigerung verloren, erklärte Müller. 

Regionale Nahwärmenetze seien dagegen zukunftsfest, weil sie für verschiedene Technologien wie zum Beispiel Bioenergie, Solarthermie, industrielle Abwärme und überflüssigen Netzstrom offen seien. Sie entlasteten das Stromnetz, weil übrige Wärme Strom erzeugen könne.

Ziel: Holzkessel im Sommer komplett abschalten

Viele große Städte, wie etwa Mannheim, würden schon durch ein Fernwärmenetz versorgt. Besonders zum Tragen komme da die Abwärme etwa aus Unternehmen der Müllverbrennung. Wie schlampig mit Energie umgegangen werde, sehe man daran, dass Abwärme ungenutzt in die Luft geblasen wird, meinte Bene Müller. So könnte zum Beispiel das Aluminiumwerk Singen die ganze Stadt mit Energie versorgen.

Die Ziele seines Unternehmens seien unter anderem, Holzkessel im Sommer komplett abzuschalten und Brauchwarmwasser nur durch Sonnenkollektoren zu beziehen. Der solare Deckungsanteil solle im Sommer bei 100 Prozent liegen, über das gesamte Jahr je nach Projekt 15 bis 20 Prozent. Holz sei nach wie vor ein kostbares Gut.

Vermutung: Steigende Kosten beschleunigen Umstellung

Vorteilhaft sei es auch, dass die Hausanschlussstation an das Wärmenetz wenig Platz benötige. Der Anschluss für eine funktionierende Heizung sei einschließlich Einbindung ins Netz kostenfrei. Gleichzeitig mit den Leitungen werde ein Datenkabel verlegt, so kann der Betreiber die Zähler fernauslesen.

Die Schlussfolgerung sei, dass Wärmenetze aus heimischen erneuerbaren Energien Klimaschutz und regionale Wertschöpfung, zukunftsfeste Ortschaften, individuelle Ausschöpfung lokaler Potenziale sowie einen schnelleren Umstieg im Bereich Wärme unterstützten. Bene Müller vermutet, dass durch weiter steigende Kosten für fossile Energie eine soziale Dynamik entsteht und dadurch die Umstellung beschleunigt werde. Wichtig sei dabei vor allem, die Gemeinderäte der kleineren Ortschaften zu überzeugen.

Seethermie ebenfalls ein großes Thema

Nicht unerwähnt ließ der Referenz auch die schon seit längerem geplante Nutzung des Bodensees als Seethermie. Die Bürgermeister der beiden Seegemeinden Meersburg und Langenargen wollen jetzt in einem Pilotprojekt ihre Orte von Gas aus Russland, Saudi-Arabien, Kuweit und USA unabhängig machen und die Seewärme nutzen. In der Schweiz sei man da schon weiter. Es gebe dort ein ähnliches Projekt, so Müller.

Ein Zuhörer wollte wissen, was der Anschluss ans Wärmenetz kostet. Acht bis neun Cent pro Kilowattstunde nannte Müller, dazu jährlich Kosten für die Hausanschlussstation. Die Preise seien seit vielen Jahren stabil. Ein Problem sei, dass viele jetzt wegen der aktuellen Energiekrise schnell anschließen wollten. Da brauche es aber Geduld, so schnell ginge das nicht.

Solar liefert meiste Energie, Wasserstoff noch teuer

„Was ist mit Energieverlusten durch die Leitungen?“ fragte ein weiterer Zuhörer. „Wir verlegen dreifach gedämmte Leitungen und haben einen Verlust von zehn bis zwölf Prozent“, sagte Müller. „Verluste gehen im Übrigen immer zu Lasten des Betreibers.“ Die meiste Energie würden große Kollektorfelder liefern. Wasserstoff sei im Moment noch sehr teuer, so Müller. 

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