Montag, 5. Februar 2024

Atomkraft ist ein totes Pferd

Egal an welcher Veranstaltung man teilnimmt - regelmäßig kommt jemand  mit der Frage ums Eck: "Warum kann man denn nicht einfach die Atomkraftwerke weiter laufen lassen? Oder kleine Atomkraftwerke bauen.... ".Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und wenn man sich auch nur ein kleines bisschen mit dem Thema beschäftigt hat, dann nervt das so ziemlich, weil es schlichtweg vergeudete Zeit bedeutet, über längst überholte Dinge zu reden. 

Am aller deutlichsten wird das bei Mycle Schneider, der wirklich alle Aspekte der Atomkraft weltweit untersucht hat. Daher kann ich jedem nur empfehlen seine Infos auf NTV zu lesen oder anzuhören.  hier

Süddeutsche Zeitung hier   Eine Kolumne von Christian Stöcker  04.02.2024

 - Warum steigt Merz nicht ab?

Ohne ständige Steuerhilfen ist Atomstrom nicht finanzierbar. Bauprojekte dauern stets länger und kosten viel mehr als geplant. Warum wollen Union und FDP nicht davon ablassen? Vernunft ist nicht der Grund.

Zum Einstieg eine persönliche Frage: Wie sind Sie zu Hause vorbereitet, falls einmal der Strom ausfällt? Gut, die Wahrscheinlichkeit, dass das tatsächlich passiert, ist äußerst gering, denn das deutsche Stromnetz ist eines der stabilsten in Europa  und auch weltweit . Die Versorgungssicherheit nimmt sogar immer weiter zu. Obwohl Friedrich Merz persönlich noch im Herbst 2022 gewarnt hat, Deutschland drohe ein »Blackout«. Es ist eines der Narrative, die Merz von ganz weit rechts übernommen hat .

Aber zurück zur Frage: Falls es wider Erwarten doch mal kurz dunkel wird, wie sind Sie vorbereitet? Kerzen griffbereit, Taschenlampe in der Küchenschublade?

Wie auch immer Ihre Antwort ausgefallen sein sollte, sie war wohl nicht: »In meinem Keller läuft zur Sicherheit das ganze Jahr ein Dieselgenerator.« Das wäre ja widersinnig, lästig und teuer.

Eher wie die Taschenlampe

Und doch entspricht diese erkennbar absurde Methode strukturell dem Plan, die – weltweit – rapide wachsenden erneuerbaren Energien mit Atomkraftwerken zu unterstützen. Ein Atomkraftwerk kann man nämlich nicht mal eben aus- und dann wieder einschalten. Es gibt immer mal Phasen, die meisten davon ziemlich kurz , in denen Wind- und Solarstrom auch bei noch viel stärker als heute ausgebauten erneuerbaren Energien nicht reichen würden, um den deutschen Bedarf zu decken.

Das Netz kann man in solchen Fällen vorübergehend mit Batteriespeichern stabilisieren. Im ehemaligen Kernkraftwerk Brokdorf zum Beispiel  soll so einer entstehen, in Niedersachsen wird dieses Jahr der Bau einer solchen Anlage beginnen . In Australien ist das ein Erfolgsmodell . Laut dem Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme ISE hatten Batteriespeicher aber auch hierzulande schon 2023 einen Anteil von 3,15 Prozent an der verfügbaren Leistung .

Batteriespeicher, Gas- und später Wasserstoffkraftwerke kann man sehr schnell hoch- und runterfahren. Sie sind eher die Taschenlampe in der Küchenschublade als der ständig laufende Dieselgenerator im Keller.

Kosten mehr als verdoppelt

Atomkraftwerke zu bauen, die das ganze Jahr laufen, damit wir in den wenigen Wochen im Jahr, an denen in Zukunft der erneuerbare Strom einmal nicht ganz reicht, eine Ausweichmöglichkeit haben, hat dagegen eine Reihe von großen Nachteilen.

Vor allem sind Atomkraftwerke unglaublich teuer. Sie werden so gut wie nie zu den ursprünglich geplanten Kosten und so gut wie nie zum geplanten Termin  fertig. In Großbritannien zum Beispiel wird seit 2016 das Atomkraftwerk Hinkley Point C errichtet. Eigentlich sollte es 2025 fertig werden, dann 2027, mittlerweile wurde das Datum zur Inbetriebnahme auf womöglich erst 2031 verschoben. Die erwarteten Kosten haben sich seit Baubeginn mehr als verdoppelt und liegen jetzt vermutlich, Inflation eingerechnet, bei 46 Milliarden Euro – wenn das reicht .

Die teuerste Ausfallversicherung der Welt

Ein chinesischer Investor hat sich aus dem Projekt wegen der gewaltigen Kosten mittlerweile zurückgezogen, Frankreich will, dass Großbritannien noch mehr Geld zuschießt . Der – staatliche – französische Atomkonzern EDF, der Hinkley Point baut, macht permanent hohe Verluste und ist schon jetzt hoch verschuldet . AKW sind die teuerste Ausfallversicherung der Welt.

Der Chef des deutschen Energieversorgers und ehemaligen Atomkraftbetreibers EnBW sagte dem »Handelsblatt« kürzlich , ihm sei »schleierhaft«, wie in Hinkley Point »jemals kostendeckend Strom erzeugt werden soll«. Neue Atomkraftwerke seien »nicht die Lösung für die Energieversorgung«. Der Bundesverband der Energiewirtschaft sieht das genauso .

»Massiv subventioniert«

Der Sektor Atomkraft wird wegen der hohen Risiken und der Finanzierungsprobleme nicht nur in Frankreich, sondern auch sonst überall »massiv von Regierungen subventioniert«. So war es gerade in der »Financial Times« zu lesen . Vor diesem Hintergrund ist es besonders merkwürdig, dass gerade Parteien wie Union und FDP, die sonst bei jeder Subvention für nicht-fossile Energieversorgung »Planwirtschaft« rufen, diese nur mit vielen Steuergeldern überlebensfähige Form der Energieversorgung so bevorzugen.

Atomkraftfans sagen derzeit gern, all das werde sich mit sogenannten Small Modular Reactors (SMRs), also kleineren, womöglich transportablen Atomreaktoren bald ändern. Ein erstes derartiges Pilotprojekt des Betreibers NuScale in den USA wurde aber gerade wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt . SMRs sind bislang Luftschlösser.

Viele Deutsche scheinen trotz alledem an Atomkraft festhalten zu wollen  – was vermutlich vor allem daran liegt, dass sie schlecht informiert sind.

Die Betreiber winken genervt ab

Die FDP hält staatliche Investitionen in Stromerzeugung aus Kraftwerken für Gas (kurzfristig) und Wasserstoff (mittelfristig) im Umfang des Gegenwertes von etwa einem Hinkley-Point-AKW für »jenseits von realistisch« . Ihre Vertreter reden aber gern von Atomkraft (dauerhaft teuer) und Fusionskraftwerken (nicht existent).

Hinzu kommen andere unschöne Aspekte nuklearer Energieerzeugung. Zum Beispiel, dass etwa die Hälfte aller Anreicherungskapazität für Uran in Russland beheimatet ist , also dem Land, von dem wir uns ja in Zukunft nicht mehr erpressen lassen wollen. Die größte Uran-Abbaumenge erreichte im Jahr 2022 Kasachstan, das autokratisch regiert wird und politisch instabil ist, ein »großes Risiko für die Energiemärkte«.

Ja, auch in China

Überall auf der Welt – auch in China , von dem gern das Gegenteil behauptet wird – wachsen erneuerbare Energien immer schneller. Viel schneller als Atomkraft. Etwa 80 Prozent aller weltweit zugebauten Erzeugungskapazität war 2023 erneuerbar. Zudem haben laut Nathanial Bullard von Bloomberg NEF  die Investitionen in Speichertechnologie vergangenes Jahr erstmals die in Atomkraft überholt. Die ersteren wachsen rasant, die letzteren kaum bis gar nicht.

Von 2022 bis 2023 hat sich der Zubau von Batteriespeichern weltweit verdreifacht. Und die Preise für Batteriespeicher fallen weiterhin exponentiell, genauso wie die Preise für erneuerbar erzeugten Strom. Der weltweite Anteil erneuerbar erzeugten Stroms steigt kontinuierlich , der atomare Anteil fällt kontinuierlich. Die viel beschworene »Renaissance der Atomkraft« ist bislang vor allem eine Fiktion.

Woher kommt also das verbissene Festhalten mancher Politiker an Atomkraft als »Option«? Obwohl die Union und die FDP selbst ja 2011 den Atomausstieg beschlossen haben und unter der schwarz-roten Regierung noch kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode drei der letzten sechs Atomkraftwerke abgeschaltet wurden?

»Einseitig«?

Die Erklärung dürfte mit einem Konzept zu tun haben, das Friedrich Merz, aber auch Christian Lindner offenbar nur sehr selektiv in ihre taktischen Erwägungen einfließen lassen. Es war in dieser Kolumne schon mehrfach Thema: »Issue Ownership«. Der Begriff aus der Politikwissenschaft bedeutet: Es gibt bestimmte Themen, die in der Wahrnehmung der Wahlberechtigten bestimmten Parteien »gehören«. Wenn über diese Themen viel gesprochen wird, dann profitieren diese Parteien. Beim Thema Migration ist das die AfD, aber das wollen etwa Friedrich Merz, Markus Söder oder FDP-Generalsekretär Christian Dürr offenbar weiterhin nicht wahrhaben.

Das Thema erneuerbare Energien (EE) dagegen gehört am ehesten den Grünen, denn Union und FDP haben den EE-Ausbau über Jahre gezielt torpediert. Für Friedrich Merz ist deren großer Erfolg deshalb unangenehm. Also schimpfte er diese Woche, die Energieversorgung werde »zu einseitig auf Wind und Sonne ausgerichtet«. Angesichts dank EE fallender Strompreise und Emissionen eine bizarre Aussage. 2023 deckte Deutschland bereits fast 60 Prozent seines gesamten Strombedarfs erneuerbar.

Weil mittlerweile auch Union und FDP nicht mehr damit durchkommen, offen für mehr fossile Brennstoffe zu werben, bleibt als vermeintliche Alternative nun eben nur das tote Pferd Atomkraft übrig. Dass das Pferd tot ist, weiß selbstverständlich auch Friedrich Merz, deshalb gebraucht er Wendungen wie »Option« oder »ob man es dann tatsächlich braucht  und macht, ist eine andere Frage«.

Es geht nur darum, bis zur nächsten Wahl so zu tun, als habe man eine Alternative anzubieten. Einmal an der Regierung beteiligt, wird man diese Alternative, die in Wahrheit keine ist, stillschweigend zu kassieren versuchen. 

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