Montag, 14. Oktober 2024

Atomkraft: Stochern im Laufzeitnebel

 Es ist ein wahres Trauerspiel, das sich hier abzeichnet. Es ging nie um wirkliche Wahrheitsfindung, sondern immer nur um polemisches Schau-Boxen gegen den politischen Gegner. Auch interessant ist der Artikel darunter, der dies noch weiter ausführt: "Kehrt Deutschland zur Kernkraft zurück?"

hier  Süddeutsche Zeitung  Von Michael Bauchmüller, Berlin 10.10.24

Wäre es rechtlich überhaupt möglich gewesen, die Atommeiler weiterzubetreiben? 

Wollten Ministerien aus politischen Gründen vereiteln, dass Atomkraftwerke noch länger am Netz bleiben? Ein Untersuchungsausschuss soll das klären, und schon die erste Befragung zeigt: Das wird eine zähe Angelegenheit.

Schon der erste Zeuge behauptet von sich, dass er eigentlich der Falsche ist. Mit dem Untersuchungsgegenstand, sagt der Beamte, sei er eigentlich „nur sporadisch und am Rande“ befasst gewesen. Was natürlich die Opposition in Raum 4.200 des Paul-Löbe-Hauses nicht davon abhält, ihn jetzt erst einmal ordentlich zu grillen. Es wird zwischenzeitlich sogar einmal etwas laut in dem Sitzungssaal des Bundestagsgebäudes. Viel erfahren werden die Abgeordneten von dem Mann trotzdem nicht.

Seit diesem Donnerstag erforscht der Bundestag die wirren Zeiten nach Beginn des Ukrainekriegs, und hier im Speziellen die Genese der Laufzeitverlängerung. Mails und Vermerke sind aufgetaucht, sie nähren aus Sicht der Opposition den Verdacht, die zuständigen Ministerien für Wirtschaft und Umwelt hätten nicht unvoreingenommen geprüft, ob längere Laufzeiten für die letzten drei Atomkraftwerke des Landes die Energiekrise hätten abpuffern können. Jene drei Reaktoren, die schließlich auf Geheiß des Kanzlers dreieinhalb Monate länger liefen und damit über den kritischen Winter hinweg. Damit hätte es sein Bewenden haben können. Doch die Opposition wittert einen Skandal, den es aufzuklären gilt. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun die Hintergründe klären, er tagt bis weit in das Wahljahr 2025 hinein. Das Untersuchungsmaterial wird in Gigabyte gemessen, allein in jüngerer Zeit kamen noch einmal 60 000 Seiten hinzu.

Doch wie schwierig und zäh die Aufklärung werden könnte, davon gibt der Auftakt einen Vorgeschmack. Im Mittelpunkt steht ein Vermerk, den Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) angefordert hatte – zu der Frage, ob ein Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke rechtlich überhaupt möglich ist. Gefertigt wurde er schon Anfang Februar 2022, also gut zwei Wochen, ehe mit Russlands Angriff auf die Ukraine auch die Energiekrise ihren Lauf nahm.

300 Zeugen stehen auf der Liste. Kaum möglich, alle zu befragen

„Ich war etwas überrascht von dem Arbeitsauftrag“, räumt der Beamte ein, ein Referent im Ministerium. Wie üblich sei der Auftrag aber erledigt worden, auch mithilfe anderer Referate. Und sonderlich überraschend ist das Ergebnis auch nicht: 

Schließlich war der Ausstiegstermin zu diesem Zeitpunkt beschlossene Sache,
schwarz auf weiß festgehalten im Atomgesetz.
Auch eine Reihe anderer Argumente,
die gegen einen weiteren Betrieb sprechen, listet der Vermerk auf.

Einflussnahme von oben habe es aber nicht gegeben. „Dass politische Botschaften von uns eingefügt werden sollen, habe ich ehrlich gesagt noch nicht erlebt“, sagt der Beamte. Nach einer guten Stunde ist die Befragung vorbei. Nummer eins von 300.

So viele Zeugen jedenfalls umfasst bisher die Befragungsliste, die ersten fünf werden am Donnerstag abgearbeitet. Und es stehen noch nicht einmal alle darauf. Robert Habeck etwa, der grüne Wirtschaftsminister, fehlt auf der Liste noch. „Sie können aber sicher sein, dass wir auch ihn noch befragen“, sagt der CDU-Abgeordnete Stefan Heck, der den Ausschuss leitet. Erst einmal müsse man sich aber ein Bild machen. Dabei soll ein Ermittlungsbeauftragter helfen; darauf hat sich der Ausschuss im Grundsatz schon verständigt. Da er immer nur donnerstags in den Sitzungswochen tagt, kann er 300 Zeuginnen und Zeugen unmöglich befragen, realistisch hat er dafür nur bis zum Frühsommer 2025 Zeit. Auf Zeugen wie die zuständigen Minister wird er aber gewiss nicht verzichten wollen.

Manche in der Koalition wittern deshalb eher ein „Wahlkampfmanöver“, etwa der SPD-Abgeordnete Jakob Blankenburg. Man gehe aber ganz entspannt in die Untersuchungen. „Wir haben nur ein großes Fragezeichen, ob wir in diesem Ausschuss zu neuen Erkenntnissen kommen.“ Das sieht die Unionsfraktion anders. „Wir gehen davon aus, dass nicht offen geprüft worden ist“, sagt der CSU-Politiker Andreas Lenz. „Viel spricht nach dem Aktenstudium dafür, dass ein sicherer Weiterbetrieb möglich gewesen wäre.“ Natürlich gehe es letztlich auch um den Atomausstieg an sich. Und selbst der zähste Ausschuss dürfte es schaffen, dieses Thema im nächsten Wahlkampf zu platzieren.



Telepolis hier Artikel von Christoph Jehle  14.10.24

Kehrt Deutschland zur Kernkraft zurück?

Kernkraft-Debatte in Deutschland neu entfacht. CDU/CSU fordern Reaktivierung alter Meiler. Doch wer würde die Kosten und Risiken eines Neustarts tragen?

Obwohl sich derzeit immer deutlicher zeigt, dass das französische Atomstrompreiswunder eine ausgewachsene Mogelpackung war und die Bevölkerung aktuell mit drastisch steigenden Preisen und hohen Staatsschulden beglückt wird, fordert man jetzt in Deutschland die Wiederaufnahme der Stromproduktion auf der Basis von Kernkraft. Man bezieht sich dabei auf die verstaatlichte französische Framatome, die ohne staatliche Hilfe längst Geschichte wäre.

Der hohe Kühlwasserbedarf der Kernkraftwerke sorgt auch im atomverliebten Frankreich gerade in der Sommerzeit, wenn viele Klimaanlagen betrieben werden, immer wieder zu Produktionseinschränkungen bei den thermischen Kraftwerken und damit zu teurer Ersatzbeschaffung in Deutschland, die hierzulande den Strompreis nach oben treiben.

Dass der deutsche TÜV-Verband schon 2021 für eine Weiterführung der deutschen Kernkraftwerke eintrat, lässt sich schlüssig aus dem Wunsch erklären, dass für die deutsche TÜVs nicht unerhebliche Geschäftsfeld der Kernkraftwerkssicherheit noch möglichst lange zu erhalten.

Als Leitfigur der Christenparteien dient der Spezialist für einfache Lösungen, der zuletzt den Beschäftigten in den Kernkraftwerken den Ruhestand verweigern wollte. Offensichtlich aus Angst vor den Wahlerfolgen der AfD bei den letzten Wahlen will jetzt die CDU/CSU über dieses Stöckchen springen. Dabei sind die deutschen Stromversorger keinesfalls daran interessiert, sich wieder in der Kernkraft zu engagieren, wo man deren Risiko gerade erfolgreich auf den Steuerzahler übertragen hat.

"Die Betreiber der drei letzten vom Netz gegangenen Atommeiler betonen, dass ihre Kraftwerke aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen nicht wieder hochgefahren werden können", sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).

Der Kernkraftanteil an der deutschen Stromversorgung schrumpfte seit Jahren

Das Merit-Order-Modell erklärt, welche Stromerzeuger im wettbewerblichen deutschen Markt zum Zuge kommen. Grundsätzlich wird immer der preiswerteste Anbieter im deutschen Strommarkt ausgewählt, bis der aktuelle Bedarf gedeckt ist. Die allesamt schon wirtschaftlich abgeschriebenen deutschen Kernkraftwerke hatten 2021 noch einen Marktanteil von knapp 12 Prozent, der im Folgejahr auf knapp 6 Prozent sank.

Vor dem Hintergrund, dass die letzten Kernkraftwerke in Deutschland im Jahre 2022 endgültig vom Netz gehen sollten, hielt man es für vertretbar, auf die letzte 10-Jahreswartung zu verzichten. Diese Revisionen wurden in Deutschland klassischerweise nicht von den Kraftwerksbetreibern selbst, sondern von kleinen Subunternehmen durchgeführt, die sich inzwischen auf Dienstleistungen beim Kraftwerksrückbau umgestellt haben.

Dennoch bekennen sich CDU und CSU klar zur Kernenergie. Im Falle eines Wahlsiegs bei der nächsten Bundestagswahl wollen die Unionsparteien die zuletzt vom Netz genommenen Atomkraftwerke reaktivieren. Die letzten Atomkraftwerke seien zwar abgeschaltet, der Rückbau habe aber bisher nicht begonnen, glaubt man bei den Christenparteien.

Man habe sich bei Framatome, einem Tochterunternehmen des französischen Energiekonzerns Areva, schlau gemacht, das bestätigt habe, dass fünf bislang nicht abgebaute Atommeiler ″unkompliziert reaktiviert und schnellstmöglich wieder ans Netz gehen könnten″. Dass Framatome inzwischen eine Mehrheitsbeteiligung der mehrheitlich staatlichen EdF ist und Areva nur noch das Projekt Olkiluoto 3 in Finnland sowie einen Anteil von 40 Prozent von Orano im Portfolio hat, scheint auf dem Weg durch die Partei verloren gegangen zu sein.

Wer übernimmt die Kosten für einen KKW-Weiterbetrieb?

Beklagten sich Kernkraftwerksbetreiber schon über eine beeinträchtigte Rückbauplanung durch die letzte Laufzeitverlängerung, ist die Bereitschaft zu einem weiteren Politikwechsel im Zusammenhang mit dem ungeliebten Kernkraftthema eher marginal. Letztlich müsste der Steuerzahler sämtliche anfallenden Kosten schultern, hätte jedoch nur einen marginalen Nutzen von dieser Aktion, weil CDU/CSU den Strom nur der Industrie zur Verfügung stellen wollen, die vielfach auch noch von den Netzkosten befreit ist, die auf die privaten Endkunden umgelegt werden, welche für gerade einmal 20 Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich sind.

Wollte man, wie von der CDU/CSU gefordert, die letzten fünf stillgelegten Kernkraftwerke wieder in Betrieb nehmen, müsste man einen Betreiber finden, welcher im ersten Schritt die dringend fälligen und bislang immer wieder verschobenen Revisionen schultert, das benötigte Personal anwirbt und qualifiziert ausbildet und die Brennstoffversorgung sicherstellt.

Das einzige Land, das heute noch über eine stabile Lieferkette für Kraftwerksuran verfügt, ist Russland, dessen einschlägige Lieferungen daher auch keinerlei Sanktionen unterliegen. Wie die deutsche Politik, die bislang ihr Heil in der zunehmenden Sanktionserweiterung gegen Russland sieht, diese Abhängigkeit beim Kernbrennstoff vertreten will, ist bislang nicht einmal ansatzweise geklärt.

Insgesamt kann man vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren und dem Umbau des deutschen Strommarktdesigns davon ausgehen, dass die Kosten für einen zeitlich befristeten Neuaufbau einer deutschen Kernkraftwirtschaft aufgrund der starken Abhängigkeit von politischen Entscheidungen nicht marktwirtschaftlich, sondern nur über den Ausbau staatlicher Subventionen und wiederum staatlicher Risikoübernahme möglich wäre, was letztlich vom Steuerzahler zusätzlich zum nominellen Strompreis zu finanzieren wäre.

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