Donnerstag, 24. November 2022

»Es ist eine Gelddruckmaschine«

 


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Fotovoltaikpflicht, Bewegungsmelder an Straßenlampen, Abwärme aus dem Klärwerk: Tübingen unter OB Palmer reduziert seinen CO₂-Ausstoß mit ungewöhnlichen Methoden – und es rechnet sich.
Ein SPIEGEL-TV-Film von Melina Hemmer und Yuvina Kostrzewa  23.11.2022

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26. November 2022 | Karl Lüdecke

Provokanter Bürgermeister krempelt Stadt radikal um: Erst kommt der Klimaschutz

Boris Palmer macht Tübingen zum ökologischen Vorzeigeprojekt

Dass er es mit der ökologischen Transformation ernst meint, beweisen nicht nur Zielvorgaben (Klimaneutralität Tübingens bis 2030) und Sätze wie: "Ich habe eine klare Überzeugung: Klimaschutz ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts." Es sind vor allem die bereits erzielten Erfolge, die den oft provokant agierenden Boris Palmer gut dastehen lassen – und zugleich das Versagen anderenorts offenlegen. Zwischen 2006 und 2019 wurde der durchschnittliche CO₂-Ausstoß pro Kopf in Tübingen um 40 Prozent reduziert. Davon kann man bundesweit nur träumen. Wie aber macht Boris Palmer das?

In einem Interview, das spiegel.de, veröffentlicht hat, finden sich einige Beispiele. Da geht es zum Beispiel um eine Photovoltaik-Anlage an der Bundesstraße, die nach einem sage und schreibe achtjährigen Genehmigungsverfahren in nur acht Wochen gebaut werden konnte. Heute, so Oberbürgermeister Boris Palmer, versorge sie 260 Haushalte mit Ökostrom und sei eine "Gelddruckmaschine". Der Strom koste in der Produktion rund sechs Cent pro Kilowattstunde, verkaufen könne man ihn an der Strombörse für 30 Cent. Und Palmer fügt gleich noch hinzu: "Der billigste Strom, den wir in Deutschland heute herstellen, ist der aus Wind und Sonne."

Dass Genehmigung Jahre dauern, sieht Palmer nicht ein. Ginge es nach ihm, könnten alle Flächen zwischen den Auf- und Abfahrten von Bundesstraßen und Autobahnen standardmäßig mit Solaranlagen bestückt werden. In diesen Zonen, die für den Straßenbau schon aufgebaggert und untersucht wurden, gebe es keine seltenen Pflanzen und Tiere. Es sei einfach ungenutzter Platz, der für die Energiewende genutzt werden könne, ereiferte er sich erst kürzlich bei "Markus Lanz" im ZDF. Gegenargumente waren keine zu hören.

Fahrradfahrer haben in Tübingen Vorrang, Photovoltaik ist Pflicht

In Tübingen sind die Parkgebühren für Autos hoch, dafür gibt es Hunderte moderne Stellplätze für Fahrräder an zentralen Orten wie dem Hauptbahnhof, viele davon kostenlos. Eine blau gekennzeichnete "Radvorrangroute" zieht sich quer durch die Stadt. Seit 2018 besteht in Tübingen eine Photovoltaik-Pflicht für Neubaudächer. Die behagt nicht allen, aber die Dächer liefern Strom.

Es sind nur einige Beispiele von vielen, und nicht einmal die spektakulärsten. Man könnte auch auf die Kläranlage verweisen, die Faulgas zum Heizen des nahe gelegenen Wohngebiets liefert – und so knappes und teures Erdgas ersetzt. Oder auf die LED-Straßenbeleuchtung, die Palmer zufolge entgegen geltenden Normen dank Bewegungssensoren und intelligenter Vernetzung gedimmt wird, wenn niemand vorbeikommt. Stromersparnis laut Palmer: 80 Prozent.

Die selbst dimmende Beleuchtung soll in den kommenden Jahren in weiteren Stadtteilen Tübingens installiert werden. Und in der Kläranlage arbeitet man daran, auch die Wärme des Abwassers für grünen Strom zu nutzen.

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