Mittwoch, 30. August 2023

Samengarten in Salem: Vergessenes aus Omas Gemüsebeet

 Südkurier hier 27.08.2023

Bild: Blick auf den in der Landschaft eingebetteten Samengarten vor der Häuserkulisse mit Kirchturm von Mimmenhausen

Seit neun Jahren bewirtschaftet die Initiative Saatgutbildung ihren 4000 Quadratmeter großen Sortengarten am Ortsrand von Mimmenhausen. Ehrenamtlich werden dort mit großer Liebe und Sorgfalt alte und regionale Gemüsesorten für den Küchengarten angebaut, die Samen gewonnen und bei einer jährlichen Saatgutbörse kostenlos weitergegeben.

Fast täglich im Garten

Hiltrud Hegmann ist von Anfang an dabei und im Vorstand des Vereins aktiv. Die inzwischen über 80-Jährige ist den Sommer über fast täglich im Sortengarten bei der Arbeit. Ihr besonderes Augenmerk gilt den Tomaten. Unter ihren Händen gedeihen Sorten mit wohlklingenden Namen wie „Sannuner Herz“ oder „Haubners Vollendung“, eine robuste Salattomate, die seit 1960 in Owingen angebaut wurde.
„Jede Tomatensorte pflanzen wir sowohl unter Dach als auch ohne Dach an“, erläutert Hiltrud Hegmann den Anbau der alten Tomatensorten bei der Initiative Saatgutbildung.

Früchte dürfen nachreifen

Gewässert wird auf dem Areal nicht. So soll getestet werden, wie die Sorten mit unterschiedlichen Bedingungen und auch mit dem Klimawandel zurechtkommen. „Wir suchen eben gezielt nach Sorten, die hier in unserer Gegend gut gedeihen und gut schmecken. Dieses Saatgut wollen wir dann an Gärtner weitergeben“, erklärt Hegmann beim Besuch dieser Zeitung.
Um die Tomatensamen aus den reifen Früchten zu gewinnen, lässt die Gärtnerin die Früchte nach der Ernte erst einige Tage zum Nachreifen liegen. Dann werden sie aufgeschnitten, die Samen im Sieb unter Wasser ausgewaschen und vom Fruchtfleisch befreit. Anschließend kommen sie für ein bis zwei Tage mit etwas Zucker in ein Glas Wasser, danach werden sie noch einmal abgewaschen und schließlich getrocknet.

Nahrung für Bienen

Auch Edelgard Stier engagiert sich im Vorstand des Vereins. „Die katalanische Gemüsezwiebel ist dieses Jahr besonders schön“, sagt sie beim Rundgang durch den Garten stolz und zeigt auf die kugeligen Blütenstände, auf denen es vor Bienen nur so summt. „Diese Zwiebel kommt aus dem Süden, vielleicht ist das eine Sorte für die Zukunft“, mutmaßt Hiltrud Hegmann im Hinblick auf den Klimawandel.

Die Pflanzen wurden als Zwiebel überwintert, im Frühjahr wieder ausgepflanzt und sind jetzt zur Blüte eine tolle Bienenweide. Bald könnten die kleinen schwarzen Samen geerntet werden, sagen die beiden Gärtnerinnen. Auch die Samen der verschiedenen Salatsorten, wie beispielsweise des „Großen bunten Forellensalats“, würden bald von Hand ausgedroschen, erklärt Hiltrud Hegmann.
Dass der Salat schießt, ist in Salem ausdrücklich erwünscht. Die hochgewachsenen Salatpflanzen mit ihren rispenartigen Samenständen sind überdacht; ein Regenguss könnte die zarten Blüten verkleben und die Befruchtung und Samenbildung verhindern, erklärt Hegmann. 

In der Mitte des kreisförmig angelegten Sortengartens liegt ein großes Kräuterbeet, das Beate Gewinner betreut. Hier geht es nicht um Saatgutgewinnung, sondern um die Bewahrung von Kräutern und des Wissens um ihre Verwendung. Klassische Küchenkräuter wie Melisse, Minze und Dost haben hier ebenso ihren Platz wie Wildkräuter und Heilpflanzen, wie die Nachtkerze oder das Marienblatt. „Viele Sachen kamen hier von ganz allein“, erzählt die Kräuterexpertin. Die habe sie einfach gelassen. „Mit mir gewinnt man wieder ein Stück Natur zurück“, scherzt Beate Gewinner augenzwinkernd. „Das Wissen über essbare Wildkräuter kommt wieder“, ist sie überzeugt und zeigt auf die süßen, essbaren Stängel des Kompasslattich und das entgiftende „Greisenverjüngungskraut“.

Gerda Baier gehört ebenfalls zu den aktiven Gärtnerinnen des Sortengartens. Sie schaut gerade nach der lila blühenden Stangenbohne Nr. 272. „Das ist die Salemer Gartensorte“, erklärt sie. An alten regionalen Busch- und Stangenbohnen wie der „Hagnauer Buschbohne“ oder der „Markdorfer Hofsorte“ gibt es eine große Vielfalt im Salemer Sortengarten. Einige davon, beispielsweise „Hankas Gefleckte“ oder die „Rumänische Braune“, seien schon vor Jahrzehnten von Migranten aus Rumänien, Ungarn oder Bosnien mitgebracht und dann hier weiter angebaut und vermehrt worden.

Junge Aktive werden gesucht

Über Mithilfe beim Gärtnern freut sich die Initiative Saatgutbildung jederzeit. „Eigentlich sind wir zu wenige“, bedauert Gerda Baier im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Aber junge Berufstätige hätten einfach zu wenig Zeit. Auch Nicolas Dostert und Maria Schlegel, die beiden Vorsitzenden der Initiative Saatgutbildung Salem, wünschen sich mehr junge Aktive im Samengarten. „Uns ist wichtig, dass das Thema Ernährungssouveränität noch mehr ins Bewusstsein rückt und noch mehr Menschen Gemüse im Garten anbauen“, sagt Dostert. So könne man sich innerlich ganz anders mit den Nahrungsmitteln verbinden und sich auch selbst versorgen. Für Maria Schlegel ist der soziale Aspekt des Samengartens wichtig: „Hier wird man Teil einer Gemeinschaft, lernt viel und tut etwas für die Allgemeinheit.“

Der Sortengarten

Der 4000 Quadratmeter große Sortengarten der Initiative Saatgutbildung in Mimmenhausen wurde 2014 angelegt. Die Mitglieder bauen dort ehrenamtlich über 60 Gemüsesorten an, vor allem Bohnen, Tomaten, Paprika und Chili, Gurken und Salat. Im Anbau sind Hof- und Gartensorten ohne Sortenschutz oder solche, deren Schutz nach 25 Jahren erloschen ist. Pro Jahr wird rund die Hälfte der angebauten Sorten vermehrt und die Samen werden bei der jährlichen Saatgutbörse kostenlos abgegeben. Der Verein ist an alten Hof- und Gartensorten interessiert. Weitere Informationen https://saatgutbildung.org

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