Sonntag, 12. Oktober 2025

Die Welt der Energie verändert sich derzeit rasend schnell - Das geht nicht weg, wenn man sich die Finger in die Ohren steckt und laut „GasGasGasGasGas“ singt.

 Christian Stoecker LinkedIn

Kolumne: Die Bundesregierung setzt, im Sinne von Automobilzulieferern, Energiekonzernen und Springer, auf den Schutz schrumpfender Märkte und auf Subventionen für fossile Geschäftsmodelle. Das ist das Gegenteil von »freier Marktwirtschaft«. 

Die Welt der Energie verändert sich derzeit rasend schnell, nichts (außer Rechenzentren) boomt so sehr wie Erneuerbare, Speicher und Elektroautos. 

Das geht nicht weg, wenn man sich die Finger in die Ohren steckt und laut „GasGasGasGasGas“ singt. 


Spiegel hier Kolumne von Christian Stöcker 12.10.2025

Spickzettel zur Energiewende:

Diese Fakten werden Ihr Weltbild verändern

Auch gut informierte Menschen in diesem Land haben eine massiv verzerrte Vorstellung davon, wie sich die Welt gerade entwickelt. Gehören Sie dazu?

Gewaltige Veränderungen vollziehen sich gerade auf der Welt. Hier sind zehn, die man im Blick haben sollte:

  • Rund um den Planeten wird in Sachen Strom nichts mehr so massiv ausgebaut wie erneuerbare Energien, also Strom aus Sonne und Wind sowie Batteriespeicher. In die sogenannte Electrotech fließen  etwa doppelt so viele Investitionen wie in fossile Brennstoffe. 92,5 Prozent der neu gebauten Kapazität zur Stromerzeugung im Jahr 2024 weltweit waren erneuerbar . 2023 waren es 86 Prozent, 2022 auch schon 83 Prozent.

  • China hat im ersten Halbjahr 2025 doppelt so viel erneuerbare Energieversorgung zugebaut wie der gesamte Rest der Welt zusammen.

  • China verdient mit dem Export von Electrotech  schon seit mindestens 2024 Dutzende Milliarden Dollar mehr, als die USA, die größte Fossilexportnation der Welt, mit dem Export von Öl und Gas einnehmen. Der Abstand wächst. 70 (Wind) bis 90 Prozent (Solar, Batterien) der weltweiten Produktionskapazität für Electrotech  befinden sich in China.

  • In den USA bekämpft die Regierung Trump , ganz im Sinne des maßgeblich von der Ölbranche finanzierten und geformten »Project 2025«, aktiv und aggressiv erneuerbare Energien. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat deshalb ihre Wachstumsprognose für erneuerbare Energien in den USA fast 50 Prozent gesenkt.

  • Für die Welt insgesamt dagegen prognostiziert die IEA  eine Verdopplung der erneuerbaren Kapazität bis 2030, was etwa der kombinierten derzeitigen installierten Gesamtkapazität zur Erzeugung von Strom (über alle Energieträger hinweg) in China, der EU und Japan entspräche. Dazu muss man wissen: Die IEA ist berüchtigt dafür , das Wachstum erneuerbarer Energien wieder und wieder massiv zu unterschätzen. Diese globale Entwicklung ist eine direkte, kausale Folge deutscher Regulierung, so verrückt das klingt: Wir haben diesen Trend angestoßen, mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wenn wir klug handeln, verändert Deutschland die Welt zum Besseren. Wenn nicht, dann auch, aber anders.

  • In China und Indien sinken jetzt die CO₂-Emissionen  aus der Stromerzeugung, eine sensationell gute Nachricht. Das liegt an den erneuerbaren Energien.

  • Der weltweite Stromverbrauch wächst weiter schnell, was unter anderem an künstlicher Intelligenz und Rechenzentren, aber auch am rasanten Wachstum der Elektrifizierung generell liegt.

  • Das rasante Wachstum des Verbrauchs wird glücklicherweise vom noch schnelleren Wachstum der erneuerbaren Energien vollständig ausgeglichen, ja übertroffen: Weltweit wurden im ersten Halbjahr 2025 rund 369 Terawattstunden mehr verbraucht als im Vorjahreszeitraum, aber auch 403 Terawattstunden  zusätzlich aus Sonne und Wind erzeugt. Im ersten Halbjahr 2025 haben erneuerbare Energien Kohle als wichtigsten Energieträger für Strom weltweit abgelöst .

  • Der Markt für Verbrennungsmotoren schrumpft seit 2017. So wie bei der Stromerzeugung nur noch Erneuerbare und Speicher wachsen, wächst bei der Mobilität nur noch der Elektromotor, und zwar weiterhin beschleunigt . Das nennt man Disruption: Ein überlegenes, einfacher herzustellendes, am Ende günstigeres Produkt verdrängt die alte, teure Konkurrenz. So funktioniert Marktwirtschaft.

  • Unter den weltweit 20 meistverkauften Elektroautos  von Januar bis August 2025 sind zwei Tesla-Modelle (auf Platz 1 und 3), 17 chinesische Autos, darunter allein 9 von BYD – und ein einziges deutsches Elektroauto (der ID.4 von VW auf Platz 18).

Das alles geschieht vor einem beklemmenden Hintergrund: Einem beim Hamburger Extremwetterkongress vorgestellten Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) zufolge verläuft die Erderhitzung womöglich schneller als bislang angenommen: Schon bis 2050 könnte es demnach drei Grad wärmer sein als vor der Industriellen Revolution.

Und so sehen Deutschlands Antworten auf all das im Moment aus:

  • In einem Kommentar unter dem Titel »Der Klima-Sozialismus muss weg, wenn unsere Kinder in Deutschland eine Zukunft haben sollen«, schreibt »Bild«-Chefredakteurin Marion Horn, VW müsse in Deutschland Elektroautowerke stilllegen, »weil es zu wenig Nachfrage nach diesen Autos gibt«. Was die Nachfragesituation im größten Wachstumsmarkt der Automobilbranche und die Absatzprobleme von VW mit »Sozialismus« zu tun haben sollen, erklärt Horn aber nicht, wie Deutschland mit der Klimakrise umgehen soll, auch nicht.

  • Der ehemalige Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kämpfte im Amt intensiv für den Verbrennungsmotor und die Gasheizung, im Gleichklang mit »Bild« und im Interesse des damaligen Springer-Großaktionärs, dem massiv in fossile Brennstoffe investierten Private-Equity-Fonds  KKR. Christian Lindner hat jetzt einen neuen Job: Er arbeitet künftig für ein Unternehmen, das Springer und KKR gehört .

Großspeicher brauchen keine Subventionen,
Gaskraftwerke schon

  • Bundeskanzler Friedrich Merz ist der Meinung, es sei »falsch«, wenn in Europa nicht auch nach 2035 noch neue Autos verkauft werden dürfen, die beim Fahren CO₂ produzieren. Die Union und die europäische Volkspartei EVP sind von dem Thema regelrecht besessen.
    Ein Papier der Union zum Thema Auto enthält ganze Passagen, die wortwörtlich vom Verband der deutschen Automobilindustrie  (VDA) stammen. In diesem Verband sind nicht nur die großen Hersteller organisiert, sondern vor allem auch sehr viele Zulieferer. Viele dieser Zulieferer stellen Teile her, die man nur für Autos mit Verbrennungsmotor braucht.

  • In Deutschland liegen Abertausende Netzanschlussbegehren  für Großspeicher vor, die private Unternehmen ohne jede Subvention bauen und an das Stromnetz anschließen möchten. Das würde das Netz stabilisieren , die Netzentgelte senken und so den Strom schnell billiger machen. Es gibt aber organisatorische und regulatorische Hürden, die den Ausbau derzeit massiv bremsen. Für die großen Stromkonzerne ist ein derartiges, stärker dezentrales und damit übrigens auch resilienteres Stromsystem keine attraktive Aussicht – sie verdienen dann nämlich weniger.

  • Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat bislang nichts unternommen, um den rein marktwirtschaftlich getriebenen Ausbau dieser Speichersysteme zu vereinfachen, für den Milliarden Euro an Investitionen hier in Deutschland bereitstehen. Im Gegenteil: Sie hat kürzlich ein Modell veröffentlichen lassen, in dem bis 2035 nicht mehr Großspeicher an das Netz angeschlossen sind als jetzt.

  • Reiche möchte stattdessen Gaskraftwerke in großem Stil bauen lassen. Das ist attraktiv für alle, die Gas verkaufen möchten, und attraktiv für die großen Stromkonzerne, die diese Kraftwerke betreiben und dafür mit üppigen Subventionen aus Steuergeldern belohnt werden würden: Großspeicher brauchen keine Subventionen, Gaskraftwerke schon. Subventionen dürfen aber nicht so genannt werden und heißen im Wirtschaftsministerium deshalb »Anreize« .

  • Als Reiche kürzlich das von ihr selbst bestellte »Energiewendemonitoring« vorstellte, zeigte sich ein erstaunlicher Effekt : Im Bericht steht zwar es bleibe »ein hohes Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien« notwendig. Reiche interpretierte das von ihr selbst georderte Papier aber genau andersherum: Erneuerbare bremsen, Gaskraftwerke bauen.
    Der »Zehn-Punkte-Plan«, den Reiche flankierend anschließend vorlegte, passt zwar nicht so recht zum von ihr selbst bestellten Expertenbericht – enthält aber »erstaunliche Ähnlichkeiten«  zu Papieren der großen Stromkonzerne RWE und E.ON.

Zusammengefasst:
Das Energiesystem des Planeten Erde
 verändert sich derzeit rasant, aber weiterhin viel zu langsam.
Im Interesse aller Menschen (auch hierzulande) wäre es,
wenn Deutschland, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, dazu beitrüge, das Tempo weiter zu beschleunigen.


All das ist extrem kurzsichtig: Die Bundesregierung setzt derzeit, augenscheinlich im Sinne von Automobilzulieferern, Energiekonzernen und Springer, auf den Schutz schrumpfender Märkte und auf Subventionen für fossile Geschäftsmodelle. Das ist das Gegenteil von »freier Marktwirtschaft«. Die Exportnation Deutschland hat in erster Linie ein Nachfrageproblem . Das wird man auf diese Weise nicht lösen, sondern verschärfen.

Es ist nicht zu spät. Deutschland könnte wieder zu den Vorreitern aufschließen, indem man die Wachstumsbereiche der Autoindustrie (auch kommunikativ) fördert, nicht ständig für ihre Schrumpfungsbereiche wirbt; indem man vormacht, wie eine Industrienation mit Elektrotech und intelligenter Systemintegration die elektrifizierte Zukunft gestaltet – kompatibel mit den Klimazielen. Stichwort »deutsche Ingenieurtugenden«.

VDA, RWE, E.ON, Friedrich Merz und Katherina Reiche versuchen derzeit gemeinsam, die fossile Vergangenheit zu retten. Das ist zum Scheitern verurteilt – und verantwortungslos. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen