BR hier Von Simone Reber / Über dieses Thema berichtete kulturWelt am 27.09.2023
Mit einem Tweet zur Farb-Attacke der "Letzten Generation" auf das Brandenburger Tor, hat die Historikerin Hedwig Richter auf X, ehemals Twitter, für Aufsehen gesorgt. Ihre Position weiß sie gegen den Shitstorm zu verteidigen.
Hedwig Richter sieht nicht aus, als wäre sie geknickt über den Sturm der Empörung, den ihr Kommentar bei X – ehemals Twitter – ausgelöst hat.
Ja, sagt sie, das Brandenburger Tor sei der richtige Ort, um auf ein so dringliches Problem wie den Klimawandel aufmerksam zu machen: "Es ist ja in gewisser Weise auch eine Wunde. Und diese Wunde, die man hier am Brandenburger Tor angebracht hat, ist eine Erinnerung an die Zerstörung, die die Menschen tagtäglich vollbringen."
Wird der Demokratie die Grundlage entzogen?
Die Frage an die Historikerin lautet allerdings, ob eine solche Aktion auch tatsächlich dazu beiträgt, dass die gesellschaftliche Zustimmung zum Klimaschutz steigt. Richter, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte, hat 2020 ein Buch über die deutsche Demokratie veröffentlicht, das vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart reicht. Als Demokratieforscherin sei sie der Meinung, dass mit der Zerstörung des Planeten, mit einer ungebremsten Klimaerwärmung, dem Artensterben usw. auch der Demokratie die Grundlage entzogen würde.
Dennoch bleibt ein Dilemma, dass auch Menschen, die von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugt sind, den Aktionen der "Letzten Generation" skeptisch gegenüber stehen. Kartoffelbrei auf ein Gemälde von Monet, Ankleben an Raffaels Sixtinische Madonna und jetzt die Einfärbung des Brandenburger Tors.
Historikerin: Radikale Gruppe legitimiert weniger radikale
Hedwig Richter führt die Theorie vom "Radical flank effect" an. Sie entstand in den 1970er- und 80er-Jahren bei der Erforschung der Frauen- und Bürgerrechtsbewegung. "Radical flank theory bedeutet", so erklärt Richter: "Eine radikale Gruppe wird aktiv und legitimiert durch ihre Radikalität und ihre Unbeliebtheit die weniger radikale Gruppe. Das wäre bei uns 'Fridays for Future', sodass die Auftrieb bekommen durch die Last Generation."
Allerdings, die letzte Großdemonstration von "Fridays for Future" verlief in Berlin drei Tage vor der Aktion am Brandenburger Tor ohne allzu großes Medienecho – obwohl 250.000 Menschen gekommen waren. Sind also spektakuläre Aktionen zwingend, um die Politik "wachzurütteln"?
Richter: Umweltschutz zur bürgerlichen Tugend erklären
Richter sieht zum einen die Regierung in der Pflicht: Als Demokratie-Historikerin plädiert sie für ein Eingreifen der Regierung: In einer liberalen Demokratie sei die Regierung unwahrscheinlich wichtig. Und in einer repräsentativen Demokratie könne die Regierung sehr, sehr stark auch Dinge tatsächlich exekutieren. Demokratie sei nicht Demoskopie, sie müsse nicht darauf schielen, was Mehrheiten bringe.
Zum anderen schlägt sie vor, den Schutz der Erde zur selbstverständlichen bürgerlichen Tugend zu erklären. "Also, dass wir uns dessen bewusst werden, wie zutiefst unanständig das ist, ein großes Auto zu haben. Mit dem durch die Gegend zu fahren, zu fliegen. Fleisch zu essen. Das würde ich total wichtig finden."
In ihrer Forschung geht Richter auch der Frage nach, wie der Umgang mit dem Körper Hinweise auf die Qualität von Demokratie liefert. Das Festkleben, das Sitzen, das Blockieren interpretiert die Wissenschaftlerin als eine Geste der Verzweiflung: Sie empfinde das sehr stark, dass diese Menschen sich auslieferten und dass sie dadurch auch sehr stark ein Zeichen setzten, wie sehr unsere Körper ausgeliefert seien. Der Klimawandel und das Artensterben, die Transformationen, die wir beobachten, führten uns - so Richter - noch einmal ganz deutlich vor, wie stark wir körperlich von der Umwelt abhängig seien. So würden zum Beispiel Ernten wahrscheinlich durch die Hitze geringer.
Akademiemitglieder fordern Tempolimit
Die Spuren des stummen Protestes der "Letzten Generation" am Brandenburger Tor sind inzwischen weitgehend verschwunden. Dafür tauchen jetzt an der Fassade der Akademie der Künste direkt neben dem Brandenburger Tor Statements von Akademiemitgliedern zum Klimaschutz auf: "120 auf der Autobahn" fordert der Schriftsteller Uwe Timm. Und die Komponistin Iris ter Schiphorst mahnt: "Hören Sie auf, die Bevölkerung zu polarisieren".
Richter, nach ihrem Statement zum Klimaschutz gefragt, antwortet: "Wahrscheinlich tatsächlich ganz optimistisch, wir können das, aber wir müssen es jetzt auch wirklich machen."
Süddeutsche Zeitung hier 26. September 2023,Von Hilmar Klute
Ziviler Widerstand: Orange? Na, logo
Vom Brandenburger Tor geht die Farbe der "Letzten Generation" nicht mehr ab. Nicht so schlimm, wirklich nicht.
Inzwischen kommt man nicht mehr umhin, dies hier zu konstatieren: Die Frauen und Männer der "Letzten Generation" sind wirklich die größten Nervensägen. Eine Zeit lang waren sie erfrischend in ihrer Radikalität und auf vertrackte Art sympathisch, weil ihre Botschaft stimmte.
Mittlerweile hat ihre Nervigkeit viel vom Charme der Anarchie verloren, auch weil die Dringlichkeit ihrer Anliegen durch die groteske Überformung der Proteste überblendet wird. Auf Autodächern klebende Menschen machen ja eher Performance zulasten ihrer Botschaft. Wer sich an ein Dirigentenpult klebt und am Ende an genau diesem leicht zu entfernenden Pult in der Kulisse herumsteht und dumm guckt, entzieht der eigenen Bewegung ihre Wirkungsmacht durch unfreiwillige Selbstkarikierung.
Die Menschen der "Letzten Generation" sitzen inzwischen sogar dort, wo eigentlich kaum klimaschädliche Vorgänge stattfinden: beim Marathon, vor Bahnhöfen - kürzlich besprühten sie dann also das Brandenburger Tor mit oranger Farbe. Man sieht es immer noch, das Zeug geht nicht mehr richtig ab. Gemein! In den Köpfen vieler Berliner nistet sich gerade die bange Frage ein, ob die so siedend heiß geliebten Säulen dieses vollkommen unvergleichlichen Bauwerks nun für immer orange bleiben werden. Alles bekleckern diese Klimaleute mit Orange. Am Orange sollt ihr sie erkennen. In orangefarbenen Westen lassen sie sich in die Grünstreifen zerren, sie schweigen dabei pathetisch, manchmal schreien sie auch vor Schmerzen auf, wenn Polizisten sie vor laufender Handykamera wegtragen wollen. Reden sollen und wollen sie nicht, weil es für sie nichts mehr zu reden gibt. Im Angesicht des Kipppunkts erlischt die Strahlkraft eines jeden Arguments. Was bleibt: sitzen, schweigen, sprühen.
Das Tor ist nur mittelgroß. Aber es macht was her in einer sonst eher hässlichen Hauptstadt
Das Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels konnten die Orangewesten zwar immer noch nicht in die Köpfe der Deutschen kleben. Dafür haben sie in ihnen eine bis heute ungeahnte Liebe zu ihrem Chef-Denkmal geweckt. Seit der Besprühung des im internationalen Vergleich nur mittelgroßen Brandenburger Tores tun jetzt alle, als sei Deutschland verwundet. Das Brandenburger Tor, als Triumphbogen nach dem im allgemeinen Bewusstsein eher unbekannten Triumph Preußens über die Niederlande gebaut und 1793 mit der Quadriga von Gottfried Schadow gekrönt, sei vor allem ein Symbol der Freiheit und des Sieges über die totalitäre Herrschaft des Ostens, heißt es. Die Bürger der DDR seien als freie Menschen hindurchspaziert, hier verlaufe die Naht, mit der zusammengewachsen sei, was zusammengehöre. Wer dieses Denkmal schände, der beschmutzte die Werte der Einheit und beleidige die freundlichen Kräfte, die in guter und völkerverbindender Absicht zwischen diesen - nun orangen - Säulen schon hindurchgeschritten sind.
Mag alles sein, und trotzdem ist auch diese wie alle Apotheosen deutscher Geschichtszeugnisse nur um den Preis der Leugnung mancher düsterer Seiten zu haben. Am späten Abend des 30. Januar 1933 zogen nämlich auch Hunderte SA-, SS- und Stahlhelm-Männer durch das Brandenburger Tor. Drei Jahre später waren es deutlich mehr, und man könnte gut und gerne sagen, dass sich eine nachhaltigere Beschmutzung des Bauwerks kaum denken lasse.
Im Alltag heutiger Berliner ist das Brandenburger Tor vor allem ein Sieg der Souvenirindustrie und der Tourismusbranche über die architektonische Sensationsarmut dieser im Vergleich zu etwa Paris, Madrid oder London wirklich nicht schönen Hauptstadt. Das Brandenburger Tor ist ein Logo, das in echt am Pariser Platz steht.
Ob es aber nun eine farbliche Nuancierung trägt oder nicht, ändert nichts daran, dass die Kraft symbolischer Bauwerke zusehends schwindet. ......
Schon einmal, zu Zeiten Napoleons, blickten die Berliner auf das Tor und schämten sich
...Zu einer Zeit, als Sitzblockaden noch nicht so in Mode waren, hockte sich Günter Bruno Fuchs an die beschneite Treppe zur Berliner Goldelse und stellte ein Schild vor seine Füße: "Milde Gaben erbeten zum Abriss der Siegessäule." Der Mann wollte eben nicht, dass ein Denkmal für die drei Deutschen Einigungskriege über die ganze Stadt strahlen darf. Fuchs starb früh, die Goldelse blieb, heute blockieren hier regelmäßig die Angehörigen der "Letzten Generation" vier Fahrspuren am Großen Stern. Das Brandenburger Tor hat es insofern etwas besser, als dort keine Autos durchfahren dürfen. Für die Orangefarbenen ist der Ort eigentlich uninteressant......
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