Spiegel hier /Ein Essay von Susanne Götze
Grünes Wachstum und Klimakrise
Jahrzehntelang wurde Klimaschutz als »teuer« gelabelt. Auch im Wahlkampf ist Klima wieder nur ein Kostenfaktor. Doch dieses beliebte Argument der fossilen Lobbys ist schlicht falsch.
»Wer soll denn das bezahlen?« ist die derzeit meist gestellte Frage im Wahlkampf. Im sogenannten Triell vergangenen Sonntag wurde besonders die grüne Kanzlerkandidatin damit getriezt.
Je weniger die Kandidaten an Veränderung fordern (Armin Laschet), desto besser kamen sie bei der Frage weg.
Die Botschaft: Wer nichts verändert, muss auch nichts verbieten oder wertvolles Steuergeld verpulvern. Klimabewegte, so wird es dieser Tage kolportiert, schmeißen aber gern das Geld mit vollen Händen zum Fenster raus. Sie wollen Wind und Sonne »subventionieren«, Lastenräder fördern und ihretwegen muss sogar das gesamte Stromnetz umgebaut und der Verkehr neu organisiert werden.
Klimaforscher und Forscherinnen und Aktivisten stehen dann oft als wirtschaftlich inkompetent da. Und die Meinung der sogenannten Experten – häufig marktliberale Ökonomen oder konservative Politiker – ist entsprechend väterlich: Das ist ja alles gut gemeint mit dem Klima, aber leider nicht bezahlbar. Und auch für Konjunkturpakete eigne sich das »Klimathema« nicht.
Dieser Haltung liegt ein fundamentaler Irrtum zugrunde: Dass Deutschland am besten seinen Wohlstand erhält und mehrt, indem es sich möglichst nur moderat verändert, den Markt alles regeln lässt und der Wirtschaft nicht die »Luft abschnürt«.
Das ist an sich nichts Neues. Klimaschützer als naiv hinzustellen, hat Tradition: Vor zwanzig Jahren behaupteten dieselben Ökonomen und Industrievertreter noch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien technisch gesehen leider nicht möglich sei und Deutschland bei einem hohen Ökostromanteil im Dunklen sitze.
Gleiche Taktik: Die Windbauer und Solarfarmer seien alle eigentlich ganz sympathisch, hieß es – aber bleiben wir mal realistisch! Im Jahr 2021 haben wir in Deutschland nun einen Ökostromanteil von teils über 50 Prozent und die Straßenlaternen gehen abends immer noch an. Deutschland hat nicht nur Licht, sondern einen komplett neuen Wirtschaftszweig entwickelt.
Zerstörte Wohnzimmer, verschlammte Habseligkeiten
Die Floskel »Jetzt mal nicht überreagieren«
Naiv sind die anderen. Wie realitätsfern die große Mär vom teuren Klimaschutz und Wirtschaftskiller ist, zeigt sich eindrucksvoll im Ahrtal: Vor einer Woche konnte ich dort Betroffene interviewen, die alles verloren haben. Eine Frau um die 60 Jahre steht in ihrem zerstörten Wohnzimmer, die Entlüfter brummen, ihre verschlammten Dokumente und Habseligkeiten liegen auf einem großen Haufen auf der Straße. Sie sagt: Niemand habe mit dieser Naturgewalt gerechnet. Niemand habe sie gewarnt. Niemand habe Vorkehrungen getroffen. Und wenn es regnet, breche ihr Mann immer noch in Tränen aus. Zum Glück aber sei die Solidarität in der Bevölkerung groß und der Staat zahle 80 Prozent des Wiederaufbaus.
Doch wie viele Katastrophen pro Jahr kann sich der Staat langfristig »leisten«? Für wie viele Hitzesommer können Bauern und Waldbesitzer noch entschädigt werden? Dass die Häufigkeit von Katastrophen zunimmt, bestätigen auch Versicherer, die sich schon länger mit der Klimakrise beschäftigen als mancher Politiker. »Irgendwann wird auch der Staat nicht mehr einspringen, vor allem bei kleineren, nicht so medial wirksamen Ereignissen«, sagt ein Versicherer, der anonym bleiben will. Es wird also richtig teuer, wenn wir nichts tun. Und zahlen muss der im Wahlkampf gern herangezogene »kleine Mann« – oder »Bäckermeister«, wie Armin Laschet sagen würde.
Doch woher kommt die Erzählung vom teuren Klimaschutz? Und warum hält sie sich so hartnäckig? In den vergangenen Jahrzehnten verbreiteten besonders marktradikale Ökonomen – meist als unabhängige Wissenschaftler angepriesen – die Mär, dass der weltweite Wohlstand nur mit Öl, Gas und Kohle zu halten und zu steigern sei. Oftmals wurde diese Idee noch mit einer Prise Zweifel am menschengemachten Klimawandel garniert – oder zumindest mit einer Anti-Alarmismus-Rhetorik à la »Jetzt mal nicht überreagieren«.
Mittlerweile haben diese »Experten« etwas eingelenkt und das Narrativ angepasst. Die Klimakrise wird ernst genommen – auch weil sie einfach nicht mehr zu leugnen ist und ihre Folgen zu offensichtlich sind. Nun werden andere Strategien erprobt: Ein anschauliches Beispiel sind die Analysen des Washingtoner Peterson-Instituts, eines US-amerikanischen Thinktanks. Der gibt sich gern als »renommierte« Denkfabrik mit internationalen VIP-Ökonomen aus. Das mag stimmen – aber gleichzeitig ist die Liste seiner Spender aus der fossilen Lobbylandschaft lang: vom erzkonservativen Charles-Koch-Institute über BlackRock bis hin zu den Ölkonzernen wie Shell oder ExxonMobil.
Wenig verwunderlich daher die jüngsten Analysen des Thinktanks. Sie weisen darauf hin, dass die Kosten und Umbrüche des klimafreundlichen Umbaus oft unterschätzt würden. Außerdem warnen sie vor einem neuen Handelskrieg durch Klimazölle. Tenor: Ja, die Klimakrise ist da. Aber Klimaschutz wird der Wirtschaft schaden. Und ihre Unterstellung: Bisher hätte eine grüne Euphorie geherrscht – aber niemand würde die »wahren« wirtschaftlichen Folgen sehen. Es soll so aussehen, als stolperten die Regierungen den grünen Versprechen der Klimabewegung blind hinterher.
Dabei beschäftigen sich weitsichtige Ökonomen bereits seit Jahrzehnten mit den Folgen der Klimakrise auf die Weltwirtschaft: Vor mittlerweile 15 Jahren untersuchte der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern im berühmten »Stern-Report«, wie hoch die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten sein werden. Wenn Dürren, Überschwemmungen oder Stürme zur Regel werden, treffe das nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch den Tourismus, Straßen und Bahngleise oder auch ganze Industriezweige. Was damals wie ein Horrormärchen klang, ist nun auch in Industrienationen wie den USA, Australien oder auch Deutschland alltäglich geworden.
In der Neuauflage des Stern-Berichts hieß es dann, dass bis 2030 weltweit die gigantische Summe von 90 Billionen US-Dollar ausgegeben werden müsse, um die Klimakrise zu stoppen. Setzten die Staaten weiter auf fossile Rohstoffe, bauten weiter Kohlekraftwerke oder förderten Massentierhaltung, wären die Folgekosten dieser »alten Normalität« deutlich höher, warnte der Ökonom. Die Klimawandelfolgekosten könnten bei einem Weiter-so bald bis zu fünf Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts betragen – und zwar jedes Jahr und ohne absehbares Ende.
Es wird wehtun
Und es gibt auch eine eindrückliche aktuelle Zahl: Ein Forscherkonsortium hat im Juli dieses Jahres einmal die Kosten durch Umweltschäden für Deutschland geschätzt. Sie kamen auf jährlich zwischen 13 und 19 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Das sind zwischen 455 Milliarden und 671 Milliarden Euro – jährlich.
Hinter der Mär des »teuren Klimaschutz« steckt zudem die Behauptung, dass die Klimaschützer die gesellschaftlichen Brüche unterschätzen würden. Das Argument kommt immer häufiger, je länger mit dem Umbau der Gesellschaft gewartet wird.
Deshalb ist die ungeschönte Prognose für die nächsten 25 Jahre bis zur Klimaneutralität: Ja, mit »Friktionen« und Verlusten von Arbeitsplätzen ist zu rechnen. Aber das passiert uns auch nicht zum ersten Mal: Als von Pferdefuhrwerken auf das Automobil umgestellt wurde, gingen auch Jobs verloren. Durch die digitale Revolution fielen in den vergangenen 30 Jahren ebenfalls Millionen Jobs weg (und neue wurden geschaffen).
Und selbstverständlich werden durch den Umbau zu einer CO2-neutralen Volkswirtschaft Jobs wegfallen. Zum Beispiel bei den Zulieferern der Autoindustrie oder bei der Kohlekraft. Deshalb sind diese Branchen auch besonders hinterher, den Klimaschutz kleinzureden. Das taten die Fuhrwerkbetriebe Ende des 19. Jahrhunderts sicher auch (diese Blechkarossen sind doch viel zu gefährlich und teuer!). Diesen Prozess nennt man Entwicklung – eine Gesellschaft bleibt nicht stehen. Fortschritt lässt sich temporär aber nicht dauerhaft aufhalten. Nur ist es traurig, dass Unternehmen wie Gewerkschaften oftmals viel zu spät auf diese Veränderungen reagieren – und etwa ihre Mitglieder früh genug umschulen. Aber das kann man nicht dem Klimaschutz anlasten.
Das Ende des Wachstums, wie wir es kennen
Völlig absurd wird es, wenn man bedenkt, dass bis heute erneuerbare Lösungen und das fossile Energiesystem parallel nebeneinander existieren – und beide gefördert werden.
Milliardensubventionen fließen seit Jahrzehnten in die fossile Energiewirtschaft – bis heute. Der angeblich günstige Kohle- und Atomstrom wird direkt und indirekt mit Steuergeldern gepampert, die alle Deutschen zahlen müssen (Atomendlager, Subvention Steinkohle). Und auch der Diesel und das Flugkerosin genießen weiterhin Steuervergünstigungen.
Auch das ist Regulierung und Eingriff: Der Staat übernimmt Altlasten der Energiekonzerne, kümmert sich bei Katastrophen um die Menschen. Nur wollen viele Marktliberale nicht wahrhaben, dass zum Klimaschutz auch Regulierung gehört, damit etwas in Bewegung kommt.
Beim Kanzler-Triell am Sonntag gab es aber immer wieder die Frage: »Und was wollen Sie verbieten?«. Zum Beispiel ein Enddatum für Verbrennerautos. Das Wort »Verbot« an sich ist aber schon eine Wertung.Dabei kolportierten auch die RTL-Journalisten die Idee des bösen Staates und guten Marktes. Dabei hat die Stunde eindeutig nicht für die Anarchie des Marktes und einen schlanken Staat, sondern eher für die Krisenbekämpfung durch Investitionen – à la John Maynard Keynes – geschlagen.
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