Standard hier Julia Sica 12. September 2023
FLEXITARIER: Eine neue Studie berechnet, wie viel CO2 sich sparen lässt, wenn die Hälfte des Milch- und Fleischkonsums pflanzlich ersetzt wird. Den größten Unterschied macht Rindfleisch
So mühsam viele das Thema Klimaschutz finden: Es ist zuletzt in der öffentlichen Diskussion immer präsenter geworden, und die Bemühungen tragen bereits die eine oder andere Frucht.
Das betrifft auch die ressourcenintensive Produktion von Fleisch. Mittlerweile gibt es viele Ersatzprodukte, was es einfacher macht, öfter einmal auf Rinderpatties im Burger und Würstel aus Schweinefleisch zu verzichten.
Dabei müssten nicht alle vegetarisch oder vegan leben, um zum Tier- und Klimaschutz beizutragen. Wenn nur auf die Hälfte der fleischigen Mahlzeiten verzichtet würde, ließen sich beträchtliche Emissionen sparen und Ländereien massiv aufforsten. Das rechnet ein Forschungsteam um Marta Kozicka vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg in einer Modellstudie vor.
Angesetzt wird bei 50 Prozent des Konsums von Hühner-, Schweine- und Rindfleisch sowie tierischer Milch, den man im Gedankenexperiment durch Produkte auf Pflanzenbasis mit ähnlichem Nährwert ersetzt. Dies könne die Treibhausgasemissionen, die durch Landwirtschaft und Landnutzung entstehen, bis 2050 um 31 Prozent senken, schreibt das internationale Forschungsteam im Fachjournal "Nature Communications".
Das ist insofern wichtig, als die Nahrungsmittelproduktion für etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen sorgt. Es sei auf diese Weise sogar möglich, die Zerstörung von Wäldern und natürlichen Landflächen beinahe komplett zu stoppen. Bei der Studie handelt es sich den Fachleuten zufolge um die erste auf globaler Skala, die die Komplexität des Nahrungsmittelsystems berücksichtigt. Der Fleischersatz im Studienmodell bestand unter anderem aus Sojaprotein, Süßkartoffeln und Bohnen.
In Szenarien wurde errechnet, dass der halbierte Fleisch- und Milchkonsum bis 2050 in Vergleich zu 2020 diverse Auswirkungen hätte. So würden die für Landwirtschaft genutzten Flächen der Erde um zwölf Prozent zurückgehen, statt weiter zuzulegen. Ähnliches gilt für den Wasserverbrauch, der nicht steigen, sondern um zehn Prozent sinken würde.
Felder müssten nicht so stark gedüngt werden, die Menge an Stickstoff, die ausgebracht wird, ließe sich fast auf die Hälfte reduzieren. Im Modell würde allein durch diese Umstellung auf mehr pflanzenbasierte Nahrung die Unterernährung eingeschränkt werden. Der Unterschied von 3,8 zu 3,6 Prozent sieht vielleicht nicht nach einem immensen Umschwung aus, bedeutet aber immerhin 31 Millionen Menschen, die normal essen können, statt unterernährt zu sein.
Länder mit Höchstkonsum
Im Experiment machte das Ersetzen von Rind den größten Unterschied. Wenn man alle vier Tierprodukte ersetzt, sorgt allein der Bereich Rindfleisch für die Hälfte der Reduktionen von Treibhausgasemissionen. Schränkt man mehrere Produkte ein, entstehen zusätzliche Synergieeffekte.
Die Studie weist auch auf Unterschiede je nach Weltregion hin, was sich bereits aus der Tatsache ergibt, dass unterschiedliche Länder verschiedene Produkte bevorzugen. Die USA führen etwa beim Rindfleischkonsum, 15 Prozent werden allein in den Vereinigten Staaten gegessen. China liegt auf Platz eins beim Verzehr von Schwein (45 Prozent) und Huhn (15 Prozent). In Indien wird die meiste Milch verarbeitet, das Land macht 21 Prozent des globalen Tiermilchkonsums aus.
"Wenn wir die Folgen von Ernährungsumstellungen verstehen, erweitert das unsere Möglichkeiten, Treibhausgasemissionen zu senken", betont Erstautorin Kozicka. So ließen sich etwa 1,6 Gigatonnen CO2-Äquivalente jährlich einsparen. Dabei sind nicht einmal zusätzliche Kohlenstoffspeicher auf Landflächen eingerechnet, die landwirtschaftlich verschont bleiben. "Eine Umstellung der Ernährung könnte auch enorme Verbesserungen für die biologische Vielfalt mit sich bringen", sagt die Forscherin.
Schutz der Ökosysteme
Gerade Ökosysteme im Globalen Süden würden von 50 Prozent weniger Tierkonsum profitieren. Das ist auch im Zuge der historischen Verantwortung des Globalen Nordens wichtig, wo mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert die Explosion der Emissionen eingeleitet wurde.
In Afrika südlich der Sahara, China und Südostasien würde die biologische Vielfalt weit weniger stark zurückgehen. Verbessert werden könnte die Speicherung von Kohlenstoff ebenfalls vor allem in Subsahara-Afrika, aber auch in südamerikanischen Staaten wie Brasilien, was für den Amazonas-Regenwald Hoffnung gibt. Generell könnte man den befürchteten Schaden an Ökosystemen, der für 2050 prognostiziert wird, durch die Ernährungsumstellung um mehr als die Hälfte eindämmen.
Bei Lebensmitteln aus tierischer Quelle anzusetzen ist sinnvoll: Sie liefern weniger als 20 Prozent der Energie, die Menschen weltweit durch ihre Nahrung erhalten. Gleichzeitig ist ihre Produktion immens aufwendig, immerhin müssen die Tiere zunächst selbst jahrelang mit pflanzlicher Nahrung gemästet werden, bevor man sie schlachtet. Ihr Verzehr – oder das ungenutzte Wegwerfen der Produkte – hat daher die größten Nachteile für Landnutzung und biologische Vielfalt. Auch Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen steigen dadurch am stärksten.
Eine halbe Woche fleischlos
Es brauche mehr als nur einen fleischlosen Tag in der Woche, sagt Studienautorin Eva Wollenberg, die in den USA an der University of Vermont forscht. "Fleischersatz auf pflanzlicher Basis ist nicht nur eine neue Art von Lebensmitteln", es sei zudem eine große Chance, um Ernährungssicherheit, Klimaschutz, Gesundheit und Biodiversität massiv zu verbessern. Das sei jedoch nicht einfach und erfordere technologische Innovationen und politische Maßnahmen.
Die Autorinnen und Autoren sind sich bewusst, wie wichtig Viehhaltung und Fleisch für viele Menschen sind. Sie können einerseits vor allem in Ländern mit niedrigen Einkommen einen wichtigen Pfeiler bei der Ernährung und als Einkommensquelle für Kleinbauern bilden und von kultureller Relevanz sein. Andererseits bedrohen sie durch die Verschärfung des Klimawandels auch die Existenzgrundlage dieser Personen. Daher brauche es rasches politisches Handeln, um die Menschen zu unterstützen und gleichzeitig die Klimakrise einzudämmen.
Wenn es gelänge, jede zweite Mahlzeit, die Fleisch oder Milch beinhaltet, rein pflanzlich zu gestalten, wäre bereits viel erreicht. Dass Klima- und Biodiversitätsschutz nicht ohne Verzicht möglich ist, betonen Fachleute seit langem. Vor allem wollen sie nicht die Illusion aufkommen lassen, dass sich alles durch künstliche CO2-Speicherung lösen ließe. Gerade bei der Ernährungsfrage gibt es noch Spielraum. Um die Klimaziele zu erreichen, muss dieser Spielraum wahrgenommen werden, auch wenn er nur einen Teil der Gesamtemissionen ausmacht. (Julia Sica, 12.9.2023)
Studie Nature Communications: "Feeding climate and biodiversity goals with novel plant-based meat and milk alternatives"
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