Dienstag, 5. September 2023

Ein Plädoyer für eine überparteiliche Klimapolitik innerhalb der planetaren Grenzen

 Scientists 4 future  hier


Keine Parteigrenzen für die Klimapolitik 

Die Bundesregierung bezeichnet ihre Klimapolitik als „ambitioniert“. Der Klimakrise angemessen ist sie jedoch nach wissenschaftlicher Einschätzung nicht, wie zuletzt der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hervorhob. Aber auch die Vorschläge der parlamentarischen Opposition halten einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand.

Auf Anfrage der Tagesschau zu einem offenen Brief zur Klimapolitik unter dem Hashtag #UnsereGenerationUnserJob hatte die Bundesregierung erklärt, sie verfolge eine „ambitionierte Klimaschutzpolitik”. Wir erkennen an, dass die Regierung, verglichen mit früheren Regierungen, eine aktivere Klimapolitik betreibt. Die erdgeschichtliche Dimension der auf uns zukommenden Klimakrise ist den Parteien der Regierung wie der Opposition aber offenbar noch nicht bewusst.

Aus Sicht der Klimawissenschaften ist die Lage kritisch. Die wissenschaftlichen Daten und die weltweiten Nachrichten zeigen tagtäglich die Gefahren der sich verschärfenden Klimakrise. Wir sehen die Lebensgrundlagen für Mensch und Natur in höchstem Maße als gefährdet an und sind daher tief besorgt. 

Unserer Einschätzung nach genügen die bisherigen Maßnahmen der Regierung nicht. Mit diesem Statement schlagen wir vor, die Parteipolitik um ein überparteiliches Element zu erweitern.
Der Schutz unserer Lebensgrundlagen verlangt entschlossenere Anstrengungen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD erkennen die Realität der menschengemachten Klimakrise und die Notwendigkeit fairer, internationaler Lösungen formal an.
Mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens sind alle zustimmenden Parteien der Regierung und der Opposition gemeinsam für dessen Umsetzung verantwortlich.

Als Basis für eine überparteilich koordinierte, angemessene und ambitionierte Klimapolitik schlagen wir drei Kriterien vor:

1) Begrenzte Verschmutzung / Treibhausgasbudget: Die deutsche Politik folgt der Klimaforschung. Sie bekennt sich zu einem begrenzten Anteil Deutschlands an den verbleibenden globalen Emissionen und macht diesen Anteil zum Ausgangspunkt der Klimapolitik. Insbesondere wird das Klimaschutzgesetz im Einklang mit diesem deutschen Restbudget weiterentwickelt. Somit wird die Verschmutzung unserer Lebenswelt durch Treibhausgase reduziert und perspektivisch beendet.

Eine Einrechnung von CO2-Entzug aus der Luft (Negativ-Emissionen) befreit nicht von der Pflicht zu rechtzeitigem Klimaschutz. Wenn solche Maßnahmen eingesetzt werden, sind sie absehbar umsetzbar und ökologisch vertretbar. Dazu gehört es, sowohl heute als auch später anfallende Kosten bereits bei der Einrechnung zu berücksichtigen (beispielsweise im Haushalt, per Rücklage oder per Sonderfonds).

Internationale Energiepartnerschaften werden nur eingerechnet, wenn Partner nachweislich bereit stehen und das Finanzbudget dafür eingeplant ist.

2) Fairness / internationale Anerkennung: Das deutsche Budget ist in dem Sinne fair berechnet, dass es auch international als akzeptabel angesehen werden kann.

3) Verantwortung: Wenn die beschlossenen Klimaziele verfehlt werden, bekennt sich Deutschland zu seiner Verantwortung und beteiligt sich anteilig an den weltweit entstehenden Schäden. Je nach Umfang des Verfehlens der Klimaziele kann dies sehr hohe Kosten in den kommenden Dekaden für die Gesellschaft bedeuten.

Eine Initiative für ein überparteiliches und gesamtgesellschaftliches Handeln auf dieser empirisch gesicherten und zugleich fairen Basis ist nicht nur erforderlich, es wird zudem auf andere Länder ausstrahlen und Menschen auf historisch beispiellose Weise ermutigen, die Herausforderung der Klimakrise gemeinsam anzugehen.

Im Einzelnen ist festzustellen:

● Das Klimaschutzprogramm 2023 entspricht nicht den Anforderungen an ein Klimaschutzprogramm gemäß Klimaschutzgesetz. Daraus und aus den europäischen Vorgaben zur Lastenteilung ergibt sich “unmittelbarer und erheblicher Handlungsbedarf” (1).

● Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung zum Ausrichten auf ein Treibhausgas-Budget verpflichtet. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und der Expertenrat für Klimafragen (ERK) empfehlen, die Klimapolitik an den Erkenntnissen der Klimaphysik und damit an einem maximalen Treibhausgas-Budget auszurichten . Der SRU hat einen Rechenweg ausgearbeitet und ein konkretes – großzügig berechnetes – Budget begründet und empfohlen (2). Alternative Wege müssen ebenso wohlbegründet sein. Der gewählte Weg muss transparent gemacht werden, um ihn unter physikalischen und politischen Gesichtspunkten diskutieren zu können

● Die im Klimaschutzgesetz aufgestellten Ziele genügen nicht für einen ausreichenden, angemessenen und gerechten Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele von Paris, wie der SRU darlegt. Der im Klimaschutzgesetz vorgeschlagene Maßnahmenkatalog entspricht etwa 2 °C globaler Erwärmung (bei 83% Wahrscheinlichkeit, die Erwärmung hierauf zu begrenzen). Ab 1,5 °C steigen die Risiken und Schäden stark an.

● Negative Emissionen sind gemäß SRU derzeit weitgehend spekulativ. Sie sind daher vorerst nicht in einem Restbudget zu verrechnen und aktuell nur für unvermeidbare Restemissionen vorzusehen. Unabhängig davon ist es wichtig, die Weichen für negative Emissionen zu stellen, um langfristig in einen Bereich innerhalb der planetaren Grenzen zurückkommen zu können .

● Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dürfen Negativemissionstechnologien aufgrund ihrer Unsicherheiten nicht in Emissionsminderungspfade einbezogen werden, da damit Risiken und Freiheitseinbußen unzulässig auf künftige Generationen verlagert werden.

● Für einen zuweilen ins Spiel gebrachten Budgetzukauf aus dem Ausland fehlen bislang Klimapartnerschaften sowie entsprechende Haushaltstitel

● Im Jahr 2022 sanken die Treibhausgas-Emissionen gegenüber dem Vorjahr um rund 15 Mio. t CO2-Äquivalente (1,9 Prozent, Umweltbundesamt / ERK). Um das Klimaschutzgesetz einzuhalten, dürfte mindestens das Dreifache erforderlich sein .

● Der Rückbau des fossilen Kapitalstocks und der Aufbau von nicht-fossilen Alternativen verlief laut ERK auch im Jahr 2022 deutlich langsamer als in Klimaneutralitätsszenarien vorgesehen .

● Wie der ERK feststellt, wird das Klimaschutzgesetz von verschiedenen Sektoren nicht eingehalten (Verkehrssektor 2021, 2022; Gebäudesektor 2020-2022). In anderen Sektoren (Energie, Industrie), wird das Klimaschutzgesetz nur knapp und teilweise wahrscheinlich nur durch temporäre Sondereffekte (kriegsbedingter Produktionsrückgang / warmer Winter / verteuerte Energiepreise) eingehalten.

● Für die Lage im Sektor der CO2-Senken, also Landnutzung und Forstwirtschaft, legt das Klimaschutzgesetz Zielwerte für Emissionssenken für die Jahre 2030, 2040 und 2045 fest, die nach aktueller Abschätzung in keinem dieser Jahre erreicht werden 

● Den gesetzlichen Steuerungsmechanismus über die Vorlage von Sofortprogrammen hat die Bundesregierung laut ERK bisher nur mit – im Verkehr erheblichen – Einschränkungen umgesetzt .

● Die vorgeschlagenen technischen Eingriffe in die Strahlungsbilanz der Atmosphäre führen nach heutigem Kenntnisstand zu unkontrollierbaren Effekten, sie bergen die Gefahr der Militarisierung und es ist nicht erkennbar, wie sie durch globale Abkommen stabilisiert werden könnten.

● Wir empfehlen dringend, den Verlust der Biodiversität mit gleicher Dringlichkeit zu verlangsamen. Alle planetaren Grenzen müssen eingehalten werden .

Aufgrund der enormen sachlichen, zeitlichen und politischen Herausforderung braucht es die gemeinsame Entschlossenheit der Parteien, der Interessengruppen und der Gesellschaft, um einen überzeugenden Entwicklungsplan für ein zukunftsfähiges Deutschland aufzustellen und umzusetzen. Grundlage hierfür sind die objektiven Maßstäbe eines deutschen Treibhausgas-Budgets, das zudem fair, im Sinne internationaler Akzeptanz, ist. Um die Gesellschaft als Ganzes bei den nötigen Transformationen mitzunehmen, empfehlen wir dringend, auf eine sozial gerechte Verteilung der Lasten zu achten.

Wir empfinden es als bestürzend und unverständlich, wie Vertreterinnen oder Vertreter der Parteien – sei es in der Regierung, sei es in der Opposition – die gegenwärtige Klimapolitik als ausreichend oder gar als überambitioniert bezeichnen können.

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