Mittwoch, 11. September 2024

Für den Erfolg braucht es einen guten Mix

  hier  Frankfurter Rundschau 02.09.2024, Von: Jörg Staude

Studie zu Klimapolitik: „Ein Politikmix ist erfolgreicher“

Forscherin Stechemesser über effektiven Klimaschutz und was sie Deutschland für die Zukunft empfiehlt. / Ein Interview von Jörg Staude

Frau Stechemesser, in Ihrer Studie haben Sie 1500 klimapolitische Schritte aus dem letzten Vierteljahrhundert analysiert. Davon waren nur 63 insofern erfolgreich, als sie spürbare CO2-Minderungen erzielten. 

Bleibt die Klimapolitik bislang in Worten stecken?

Schaut man sich die Entwicklung genauer an, ergibt sich aus unserer Studie eine gute Nachricht. Noch bis 2022 lag die Anzahl an Klimapolitiken pro Land im Schnitt zwischen vier und acht. Die von uns verwendeten neuartigen und umfassenden Politikdaten der OECD zeigen aber zugleich: Gerade in den letzten zehn Jahren haben sich Klimapolitiken immer mehr durchgesetzt, weil Regierungen diese aktiv angingen. Dass die Anzahl der Klimamaßnahmen, die eine nennenswerte Emissionsreduktion nach sich zogen, vergleichsweise gering ist, weist auf eine Wissens- und Evaluationslücke hin. Offenbar ist zu wenig bekannt, welche Maßnahmenkombinationen wirklich aufs Klima wirken. Diese Lücke schließen wir mit unserer Studie. Die 63 Fälle erfolgreicher Klimapolitiken können uns helfen, wichtige Merkmale erfolgreicher Klimamaßnahmen besser zu verstehen. 

So zeigen unsere Ergebnisse, dass ein Politikmix, der sich auch auf preisliche Instrumente wie etwa CO2- und Energiesteuern stützt, gerade in wirtschaftlich entwickelten Ländern deutlich erfolgreicher ist.

Dass Klimapolitik in einem Politikmix besser wirkt, ist nicht neu . So brachte der Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland erst mit dem Kohleausstieg eine wirkliche CO2-Reduktion. Und höhere Benzinpreise wirken erst, wenn es auch klimafreundliche Alternativen gibt.

Dass Politikmixe erfolgreicher sind, ist keineswegs so unumstritten. Unsere Studie weist das erstmals für eine gewichtige Zahl von Ländern und Sektoren nach. Welcher Politikmix der richtige ist, hängt dabei – auch das zeigt unsere Studie – vom Zustand des ökonomischen Sektors und dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand des Landes ab.

Was ist damit gemeint?

Wir stellen zum Beispiel fest, dass etwa im Industriesektor die Preisgestaltung sowohl in entwickelten Ländern als auch in Ländern des globalen Südens eine wichtige Rolle spielt, jedoch auf unterschiedliche Weise. In entwickelten Volkswirtschaften ist sie als Einzelmaßnahme am effektivsten, während sie im globalen Süden die größte Synergie mit anderen Politiken zeigt.

Die Klimawissenschaft geht davon aus, dass das 1,5-Grad-Limit in den nächsten Jahren gerissen wird. Müssen Klimapolitiken heute nicht anders konzipiert und umgesetzt werden als zu Zeiten, als zum Beispiel noch das Zwei-Grad-Limit galt?

Gerade weil Klimaschutz immer dringlicher wird, konzentriert sich unsere Evaluation ausdrücklich auf Kombinationen von Maßnahmen, die zu großen Emissionsminderungen führten. Entscheidend für gut gestaltete Politikmixe ist dabei, dass Steuer- und Preisanreize einbezogen werden. Würden mehr Länder auf solche Maßnahmen setzen, ließe sich die verbleibende Emissionslücke für 2030 um 26 bis 41 Prozent schließen, ergab unsere Studie. Auch das ist erst einmal eine gute Nachricht. Natürlich konnten wir nur Maßnahmen evaluieren, die in der Vergangenheit bereits realisiert wurden. Wir erwarten für die Zukunft auch neue Ideen für den Klimaschutz. Tatsächlich sehen wir in den Politikdaten eine große und steigende Vielfalt der politischen Ansätze beim Klimaschutz. Unsere Ergebnisse können dabei auch bei der Gestaltung neuer Klimainstrumente ein Fingerzeig für die richtige Richtung sein.

Annika Stechemesser forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Ihr Schwerpunkt ist die datengestützte Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf Wirtschaft und Gesellschaft. Sie hat Mathematik studiert und am Potsdam Institut promoviert. 

Stärker stellt sich künftig die Frage nach Klimagerechtigkeit. Länder wie die Schweiz, Österreich und Kanada gleichen steigende CO2-Preise mit der Zahlung von Klimaprämien oder einem Klimageld aus. Gehört diese Kombination nach Ihrer Untersuchung auch zum Kanon der erfolgreichen?

Für die CO2-Reduktion haben sich in entwickelten Ländern gerade solche Preisinstrumente als erfolgreich erwiesen. Würden mehr dieser Instrumente eingesetzt, könnten übrigens nicht nur Emissionen effizient reduziert werden. Es würden sich auch neue Möglichkeiten eröffnen, die Einnahmen in sozialer Hinsicht einzusetzen.

Ihre Studie gibt der Politik Hinweise, welcher Politikmix zum Erfolg führen könnte. Mit so einem „Etikett“ verbindet sich offenbar auch die Hoffnung, dass sich eine ehrgeizige Klimapolitik leichter begründen und umsetzen lässt. Aber gibt es derzeit überhaupt genügend politischen Willen, beim Klimaschutz erfolgreich zu sein?

Die internationale Gemeinschaft hat das Pariser Klimaabkommen als gemeinsames Ziel zur Bekämpfung des Klimawandels vereinbart. Um die globale Erwärmung zu begrenzen, gibt es keine Alternative zur Reduktion der CO2-Emissionen. Unsere Studie zeigt Politikmixe auf, die für Länder wie Deutschland erfolgversprechend sein können. Damit verringern wir die Wissenslücke, die über wirklich effektive Klimamaßnahmen besteht. Natürlich spielt bei alldem eine Rolle, wie ehrgeizig der politische und gesellschaftliche Wille zum Klimaschutz generell ist.

Welche der erfolgreichen Maßnahmen würden Sie denn Deutschland empfehlen?

Politikmixe, die auch auf preisgestützte Instrumente setzen, wie etwa CO2- und Energiesteuern, sind gerade in wirtschaftlich entwickelten Ländern wie Deutschland deutlich erfolgreicher. Schweden ist zum Beispiel ein Fall, der zeigt, dass im Gebäudesektor eine Kombination aus CO2-Bepreisung und Förderprogrammen für Sanierungen und den Heizungstausch erfolgreich sein kann. Mehr solcher Fälle, aus denen Deutschland lernen kann, finden sich in unserem Web-Dashboard.


Standard  hier im Klimaklartext

Von grünen Maßnahmen und Klimaschutz ist in der Politik häufig die Rede. Aber was ist nicht nur Greenwashing, sondern hilft wirklich dem Klima? 

Diese Frage hat sich ein Team einiger renommierter Klimaforscherinnen und Klimaforscher kürzlich gestellt. Das Ergebnis der Studie klingt zunächst ernüchternd: Von 1500 Klimaschutzmaßnahmen in 41 Ländern, darunter auch Österreich, haben lediglich 63 zu einer erheblichen Senkung der Treibhausgasemissionen geführt. Welche waren das?

Die Antwort der Wissenschafterinnen und Wissenschafter: Es kommt vor allem auf den richtigen Mix an Maßnahmen an. Ein einzelnes Verbot, etwa von Kohlekraftwerken, oder ein einzelner Anreiz, etwa durch CO2-Steuern, habe meist keinen so großen Einfluss auf die CO2-Emissionen. Erst in Kombination entfalten solche Maßnahmen ihre Wirkung. 

In Österreich gelang ein deutlicher Bruch etwa 2006 durch Reformen der Lkw-Maut und einer höheren Mineralölsteuer. Diese Maßnahmen trugen laut Forschenden zu einer Senkung der Verkehrsemissionen um 11,3 Prozent im Vergleich zu jenem Szenario bei, in dem das Land diese Maßnahmen nicht ergriffen hätte. In Deutschland seien ebenfalls die Einführung der Lkw-Maut 2005 sowie die Ökosteuerreform ab 1999 erfolgreich gewesen. In den USA halfen Effizienzstandards und Anreize für umweltfreundliche Fahrzeuge.

Die gute Nachricht für Österreich: Es tut sich auch jetzt etwas beim Klimaschutz. 2023 sind die Emissionen im Vergleich zum Jahr davor um 6,4 Prozent zurückgegangen. Die vorangegangene Studie zeigt aber auch, dass viele Maßnahmen aktuell noch nicht ausreichen, um die Emissionen in den kommenden Jahren massiv zu senken. 

Potenzial gibt es in Österreich laut den Forschern etwa bei Gebäuden, um auf klimafreundliche Heizungen umzusteigen, und bei der Mobilität. Zu letzterem zählen auch eine Reformierung des sogenannten Dieselprivilegs, also der niedrigeren Besteuerung von Diesel im Vergleich zu Benzin, und der Pendlerpauschale. 

Vielleicht klingen viele Maßnahmen aber auch deshalb noch nicht ansprechend, weil häufig von Verboten, Verzicht und Einschränkungen die Rede ist, anstatt von mehr Lebensqualität durch saubere Luft und einem kühleren Klima. Gut umgesetzt können am Ende alle vom Klimaschutz profitieren, aber ganz besonders die, die sich keine Klimaanlage für den Hitzesommer leisten können.


Viel Freude beim Lesen wünscht

Jakob Pallinger

 

Standard  hier  Julia Sica  22. August 2024

KLIMAPOLITIK: Von 1500 Maßnahmen für weniger Emissionen waren nur 63 sehr erfolgreich

Eine internationale Analyse zeigt, dass auch Österreich ambitioniertere Maßnahmen braucht. Eine Änderung im Verkehrssektor sticht deutlich positiv hervor

Gute Nachrichten hatte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am Donnerstag zu verkünden. Die Treibhausgasemissionen sind 2023 in Österreich im Vergleich zum Jahr davor um 6,4 Prozent gesunken, wie die grüne Ministerin und das Umweltbundesamt mitteilten. Das entspricht 4,7 Millionen Tonnen an eingesparten CO2-Äquivalenten, insgesamt emittierte das Land rund 68 Millionen Tonnen. Bereits 2022 war ein Rückgang um 5,8 Prozent zu verzeichnen. "Mutige Klimapolitik wirkt", lautet Gewesslers Fazit.

Das ist nicht ganz unberechtigt. Wie ein Forschungsteam um Tobias Eibinger von der Universität Graz berechnete, waren die Gründe für die Einsparungen nicht nur milde Winter und schwaches Wirtschaftswachstum. Der Anteil der erneuerbaren Energie ist stark gestiegen, vor allem, weil die Preise für fossile Energieträger ab 2020 erhöht wurden. Das ergibt hierzulande ein Emissionsniveau, "wie wir es seit den 1970er-Jahren nicht gesehen haben", sagt Eibinger.

Alternative Realität

Gleichzeitig seien diese Maßnahmen nicht genug, um die Pariser Klimaziele zu erreichen: Mehr als das Vierfache der Anstrengungen wäre nötig. Blickt man auf die vergangenen 20 Jahre Klimapolitik, führten international nur 63 von 1500 Maßnahmen zu einer erheblichen Senkung der Emissionen, wie ein Forschungsteam nun im Fachjournal Science berichtet. Analysiert wurden Daten aus 41 Ländern, darunter Österreich. Es ist die größte systematische Auswertung von Politikmaßnahmen. Beteiligt waren neben Leitautorin Annika Stechemesser vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auch etwa die Österreicher Moritz Schwarz und Felix Pretis, die beide an der Universität Oxford forschen.

Das Team suchte gezielt nach Brüchen im Verlauf der Emissionskurven und spürte auf, welche politischen Bestimmungen dafür verantwortlich waren. Die heimische Klimapolitik verzeichnete bis 2021 demnach nur einen deutlichen Bruch. Er fällt auf das Jahr 2006 in den Bereich Mobilität: Damals schafften es Reformen der 2004 eingeführten Lkw-Maut und zur höheren Mineralölsteuer im Jahr 2007, dass die Verkehrsemissionen um 11,3 Prozent sanken – im Vergleich zur modellierten alternativen Realität, in der Österreich diese Mittel nicht ergriffen hätte. Substanzielle Rückgänge in den Bereichen Industrie, Energie und Gebäude blieben hingegen aus.

Vorbilder

"Das heißt: Österreich macht natürlich etwas", sagt Schwarz im STANDARD-Gespräch. "Aber die wirklich massiven Veränderungen zur CO2-Reduktion sehen wir nur im Jahr 2006." Herausgerechnet wurde der Einfluss von Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung. In den folgenden Jahren stiegen die Emissionen speziell im Verkehrssektor, als sich die Welt von der Finanzkrise erholte. Der nächste deutliche Einschnitt kam durch die Covid-19-Pandemie ab 2020.

Was macht erfolgreiche Maßnahmen aus? Eine Antwort leitete das Team aus den 63 vorbildlichen Fällen ab, die jeweils im Durchschnitt zu 19 Prozent weniger Emissionen führten. "Viel hilft nicht automatisch viel", sagt Studienautor Nicolas Koch vom PIK, "es kommt vielmehr auf den richtigen Mix der Maßnahmen an." 

Es gab keinen Fall, bei dem ein einzelnes Verbot – etwa von Kohlekraftwerken oder Verbrennerautos – ein deutliches CO2-Minus brachte. In Kombination mit Steuern und Preisanreizen (etwa CO2- und Energiesteuern) können solche Regulierungen oder Subventionen sehr wohl einen klaren Unterschied machen. Das spricht gegen die Kritik, dass Maßnahmenmischungen redundant sein könnten.

In Deutschland zeigte sich ebenfalls die Einführung der Lkw-Maut 2005 erfolgreich sowie die Ökosteuerreform ab 1999. In den USA halfen Effizienzstandards und Anreize für umweltfreundliche Fahrzeuge. In China wiederum wirkten sich im Bereich der Industrie zurückgeschraubte Subventionen für fossile Energieträger, Finanzierungshilfen für Energieeffizienz und ein Emissionshandelssystem vorteilhaft auf sinkende CO2-Emissionen aus. Im Globalen Süden war Bepreisung weniger effektiv, hier dürften insbesondere Förderungen nützen. Diese Ergebnisse lassen sich auch in einem interaktiven Onlinetool namens Climate Policy Explorer nachvollziehen, das das Forschungsteam zur Verfügung stellt.

Zuckerbrot und Peitsche

Für Österreich ist die Ausgangslage laut Schwarz prinzipiell nicht schlecht, etwa in den Bereichen Strom und Industrie. Verbesserungspotenzial gebe es etwa im Sektor Gebäude bei angepassten Standards und Anreizen, um auf CO2-sparsame Heizsysteme umzusteigen. Auch bei der Mobilität erweisen sich CO2- und Fossilen-Steuern als zentrale, extrem effektive Maßnahmen – sogar ohne die Kombination mit anderen Mitteln. "Bei der Umsetzung muss man aber immer die sozialen Auswirkungen mitdenken, etwa für Menschen in einkommensschwachen Situationen, die kaum öffentlichen Verkehr zur Verfügung haben und auf ihr Auto angewiesen sind", sagt Klimaökonom Schwarz.

Für eine Kombination aus Anreizen und Einschränkungen, also "Zuckerbrot und Peitsche", sprachen sich kürzlich im STANDARD-Gastkommentar auch die Fachleute Monika Schnitzer und Gernot Wagner aus. Dass dabei das Zuckerbrot zugunsten der sozialen Akzeptanz immer zuerst kommen müsse, hält Schwarz eher für kontrovers, etwa wenn man den europäischen Emissionshandel seit 2005 betrachtet, den man als "Peitsche" verstehen könne. Gleichzeitig gebe die rechtzeitig ergriffene, langfristige Perspektive Unternehmen und Einzelpersonen langfristige Planungssicherheit. "Ich glaube, wir sollten von dieser Bestrafungslogik wegkommen und für Anreize, aber auch Möglichkeiten für den Umstieg sorgen", sagt Schwarz.

Langfristige Effekte

Ökonom Tobias Eibinger, der an der internationalen Studie nicht beteiligt war, hält sie für äußerst gut gemacht und umfangreich. Hier wurde nicht wie üblich eine Maßnahme gewählt und auf ihre Folgen hin analysiert, sondern umgekehrt Veränderungen gesucht und die zeitlich passenden Maßnahmen dazu herausgesucht. Das untersuchte Zeitfenster betrug zwei Jahre nach der Implementierung.


Was dabei jedoch fehlt, sind Strategien, die erst über mehrere Jahre hinweg einen Effekt zeigen. Dafür könne etwa die Normverbrauchsabgabe NoVA ein Beispiel sein, die Autos mit hohen CO2-Emissionen teurer macht, sagt Eibinger: "Bis solche Maßnahmen, die Neuzulassungen betreffen, in Sachen Emissionen sichtbar werden, vergehen wahrscheinlich fünf bis zehn Jahre." Veränderungen mit geringen Effekten fallen mit dieser Methode nicht auf. "Die Studie zeigt aber auch, dass es viel mehr und stärkere Maßnahmen brauchen wird."

Der internationale Vergleich kann für Österreich eine gute Orientierung geben. "Natürlich kann man von anderen Ländern lernen, aber die Rahmenbedingungen sind oft länderspezifisch", ergänzt Karl Steininger, der mit Eibinger am österreichischen Emissionsbericht der Uni Graz gearbeitet hat. "In den USA gehen Preisänderungen politisch oft nicht durch, und die alternativen Maßnahmen wie CO2-Effizienzstandards sind weniger effektiv. Nur bei jenen Änderungen, die in der Vergangenheit tatsächlich eingeführt wurden, könne man zuverlässig bestimmen, wie wirksam sie waren. (Julia Sica, 22.8.2024)

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