siehe dazu auch: Bundestagswahl in der Süddeutschen Zeitung hier
Auszüge in blau
Wer profitiert, wer verliert
Wahlkampf? Manche Bürger halten dieses politische Großereignis für eine fade Sache. Die etablierten Parteien unterscheiden sich doch kaum, finden sie. Schwer, sich überhaupt für eine zu entscheiden – so die Ansicht. Doch für den Wahlkampf 2021 stimmt das nicht. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat für die Süddeutsche Zeitung berechnet, was zentrale Vorschläge der Parteien für den Geldbeutel der Bürger bedeuten. Und siehe da: Die Unterschiede sind gewaltig.
Die ZEW-Forscher konzentrieren sich auf die Steuer-, Sozial- und Familienpolitik, deren Wirkung für einzelne Haushalte in Deutschland bezifferbar ist. Jedenfalls nach Annahmen, die unten im Kapitel "Wie die Forscher gerechnet haben" erklärt sind. Das bedeutet: Diese Ergebnisse gelten nicht für die Wahlprogramme als Ganzes, weil Pläne zum Beispiel zu Klimaschutz oder Digitalisierung nicht auf einzelne Haushalte herunterzubrechen sind – oder zu vage formuliert wurden.
Trotzdem zeigt die Analyse zentraler Politikbereiche dem Wähler eines klar: Welche Partei sich um wen besonders kümmert. „SPD, Grüne und Linke möchten am meisten für Haushalte mit niedrigem Einkommen tun“, analysiert ZEW-Ökonom Florian Buhlmann. Anders bei der Mitte der Gesellschaft. Für sie haben alle fünf Parteien etwas in petto.
Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) reserviert seine Wohltaten vor allem für Gutverdiener ab
80 000 Euro, so wie es sonst nur die FDP vorsieht. Die Konsequenz: Die berechneten Vorschläge von Union und Liberalen vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich. Gemessen am wissenschaftlichen Ungleichheitsmaß Gini nehmen die Unterschiede zwischen den Schichten zu. Die Pläne des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock oder der Linken reduzierten das Gini-Maß um vier bis 15 Prozent – die Gesellschaft würde etwas gleicher.
Generell sieht die Union ein Finanzplus von zwei Prozent erst ab Einkommen von 80 000 Euro vor, keine andere Gruppe profitiert so stark. Dabei hilft die Union damit nur einer Minderheit: Weniger als jeder siebte steuerpflichtige Deutsche verdient so viel.
Mit ihrer Offensive für Gutverdiener agiert die Union an einigen Menschen vorbei, die bei der Bundestagswahl 2017 für sie stimmten. Sie plant mehr Finanzplus für damalige Wähler der Grünen (plus 2,2 Prozent des Einkommens) und der FDP (plus 2,3 Prozent) als für die eigene Klientel, die im Schnitt weniger verdient als Wähler von Grünen und FDP.
Warum tut sie das? Die Union möchte sich als Partei der Wirtschaft profilieren. Viele Unternehmer zahlen Einkommensteuer und klagen, Deutschland sei ein Hochsteuerland. Der Ökonom Jens Südekum von der Uni Düsseldorf hat noch eine Erklärung: Die Union will der FDP Stimmen abjagen, um zu verhindern, dass die Liberalen mit Grünen und SPD eine Mehrheit bekommen – und die Union nach 16 Jahren Regierung die Macht verliert.
Linke, SPD und Grüne gleichen die Kosten ihrer Pläne durch zusätzliche Einnahmen aus. Allerdings ist es möglich, dass diese Rechnung nicht aufgeht: etwa weil die belasteten Topverdiener ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern oder anders Steuern vermeiden.
Union und FDP dagegen agieren ganz anders, als es ihr wirtschaftsnahes und finanzsolides Image nahelegt. Sie reißen entgegen ihren sonstigen Positionen ein zusätzliches Loch von 30 beziehungsweise 90 Milliarden Euro in die Staatskasse – jedenfalls wenn man die vom ZEW berechneten Pläne betrachtet. Das liegt daran, dass beide Parteien höhere Steuern und zusätzliche Schulden vermeiden wollen. Die Union beispielsweise setzt darauf, dass ihr Programm ein Turbo-Wachstum entfacht – das soll dann ihre Versprechen an die Bürger finanzieren. Ob diese Rechnung aufgeht, weiß niemand.
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