Montag, 7. Februar 2022

Großbritanien: Mobilitätswende der Zukunft

Gerade eben ist der Antrag auf "Kreis-deckendes Tempo 30 innerorts" im Kreistag Ravensburg abgeschmettert worden (hier). Voller Empörung seitens der CDU-Fraktion. Laut Schwäbischer Zeitung wundert diese Kritik den Grünen-Fraktionsvorsitzenden Bruno Sing überhaupt nicht. Sein Kommentar dazu: „Die CDU hat die Mobilitätswende nicht auf dem Schirm“.

Die Ravensburger Kreisräte vielleicht noch nicht, manche Städte im Umfeld dagegen schon (hier) Und was macht man andernorts beim Thema Mobilitätswende? Großbritanien macht uns gerade was vor !!! Aber Hallo!


Stern hier  von Gernot Kramper 

Radfahrer mitten auf der Straße, Autofahrer am Ende der Hackordnung

In Britannien gilt eine neue Verkehrsordnung.

Autofahrer müssen jetzt ganz tapfer sein, ihre Rechte und Gewohnheiten werden massiv beschränkt.
"Es sollte keinen Mut erfordern, mit Kindern eine Straße zu überqueren oder zur Schule zu fahren, aber manchmal fühlt es sich so an", so der Verkehrsbeauftragte Chris Boardman. "Diese Änderungen der Straßenverkehrsordnung zeigen unsere Verantwortung füreinander und bekräftigen, was gute Verkehrsteilnehmer bereits tun. Diese Auffrischung bietet jedoch mehr als nur Orientierung, sie macht unsere Städte und Dörfer zu schöneren Orten zum Leben."

Verantwortung tragen

Im Einzelnen verschiebt sich die Verantwortung. Je schneller und gefährlicher man unterwegs ist, umso mehr Verantwortung trägt man auch. Radfahrer werden auch ermahnt, gegenüber Pferden und Fußgängern Abstand zu halten und das Tempo zu verringern, aber im Kern treffen die Neuerungen die Kraftfahrer.

Radfahrer werden aufgefordert, in vielen Situationen nicht am Straßenrand, sondern in der Mitte der Fahrbahn zu fahren, vor allem dann, wenn sie sich Kreuzungen und Straßenverengungen nähern. Die Idee dahinter lautet, zu verhindern, dass die Radler übersehen, an den Rand gedrückt oder beim Abbiegen überfahren werden. Die notwendige Folge der Neuerung wird sein, dass die Kraftfahrzeuge in vielen Fällen hinter den Radlern herfahren müssen. Und das mit einem ungewohnten  Tempo von etwa 20 km/h.

Aus Boris Johnson Post-Brexit Britannien hört man selten gute Nachrichten, doch Radfahrer und auch Fußgänger haben jetzt Grund zum Jubeln. Ein Update der britischen Straßenverkehrsordnung stärkt die Position der schwächeren Teilnehmer und stellt die bisherige Hierarchie auf den Kopf.

Dabei sind die Briten weit mutiger als Berlin.

Die Änderungen sind deutlich vom Ziel von "Null Verkehrstoten" inspiriert. Skandinavische Städte machen vor, wie das geht. Dazu müssen die schwächeren, unfallgefährdeten Verkehrsteilnehmer konsequent geschützt werden, und das geht nur, wenn die Denke der Nachkriegszeit – "Freie Fahrt für den Schnelleren und Stärkeren" – überwunden wird. Es ist ein "Konzept, das die Verkehrsteilnehmer, die im Falle einer Kollision am stärksten gefährdet sind, an die Spitze der Hierarchie stellt", so der Kodex.

Lebensraum statt Verkehrsraum

Überholen bei Gegenverkehr wird praktisch unmöglich. Radfahrern wird ausdrücklich das Recht eingeräumt, nebeneinander zu fahren. Sie sollen es sogar machen, wenn sie in größeren Gruppen unterwegs sind oder wenn sich Kinder oder weniger erfahrene Fahrer in der Gruppe befinden.

Eine weitere Neuerung macht das Leben für Autofahrer auch nicht leichter: Radler dürfen Autos im Stau und zäh fließenden Verkehr rechts und links überholen. Eine explizite Pflicht, einen Radweg zu benutzen, gab es in GB anders als in Deutschland nie. Der neue Kodex stellt ausdrücklich klar, dass Radfahrer "nicht verpflichtet" sind, Radspuren und Wege zu benutzen. Und dass es in ihrem Ermessen steht sie zu nutzen, wenn es die "Fahrt sicherer und einfacher" macht.

Die Situation an Kreuzung präzisiert die bislang geltende Rechtslage: Radfahrer, die geradeaus fahren wollen, haben Vorrang vor dem abbiegenden Verkehr – es sei Verkehrszeichen geben etwas anders an. Neu ist, dass auch Fußgänger Vorrang vor dem abbiegenden Verkehr haben – also auch vor abbiegenden Radfahrern.

Kodex orinetiert sich an der Rechtssprechung

Bei der Einführung des neuen Kodex am letzten Wochenende kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen. Vielen Kraftfahrern waren die Neuerungen im Detail gar nicht bekannt, andere wollten die neue Position am Ende der Hackleiter wohl nicht akzeptieren. Gleichzeitig führten Rad-Aktivisten genüsslich ihre neuen Rechte vor. Tatsächlich sind die neuen Bestimmungen des Kodex nicht so revolutionär, wie es zunächst scheint. Vor allem ist es kein Alleingang der Regierung. Die meisten Änderungen und Präzisierungen nehmen die Rechtsprechung der letzten Jahre auf und gießen diese Einzelfälle in verbindliche Regeln.

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