Freitag, 18. Februar 2022

Wie klappt Verkehrswende auf dem Land?

Nachdem nun unser Bahnhof Salem unerwartet aufgewertet wurde durch die jüngste Fahrplanänderung der Bodenseegürtelbahn, fragen wir uns im Aktionsbündnis: Wie können wir diesen Fortschritt in die Fläche tragen? Wir wissen dass eine Verkehrswende ansteht, um dem Klimawandel und dem Flächenfraß zu begegnen. Doch wie fangen wir es an? Wo lassen sich sinnvolle Möglichkeiten einrichten, die auf Dauer unseren Autoverkehr einschränken? Eine Flächengemeinde wie Salem ist wahrscheinlich die größte aller Herausforderungen, aber auch bei uns geht es nicht endlos so weiter mit dem persönlichen Auto für jeden.

Utopia  hier   von 

Wir brauchen mehr öffentlichen Nahverkehr auf dem Land. Doch reichen mehr Busse und Bahnen aus, um die Verkehrswende voranzutreiben?
Ein Twitter-Thread zeigt Probleme auf – betrachtet das Thema aber auch aus verschiedenen Perspektiven.

Damit die Verkehrswende auf dem Land gelingt, muss öffentlicher Nahverkehr ausgebaut werden.
Doch auch dort, wo es bereits neue Verbindungen gibt, werden diese teils nicht angenommen. Davon berichtet zum Beispiel ein Twitter-Thread, unter dem zahlreiche User:innen über die Vor- und Nachteile von Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn auf dem Land diskutieren.

Twitter-Thread: „Wir haben viel ÖPNV, aber er wird kaum angenommen.“

So beginnt ein Twitter-User seinen „kleine[n] Rant am Montagmorgen“. Bei ihm habe man vor kurzem ÖPNV („gemeint ist damit vor allem der Bus“) massiv aufgestockt: „Teils von 5 bis 23 Uhr kommt man stündlich, im Berufsverkehr sogar halbstündlich, in die nächste Stadt“, erklärt der User.

Es gäbe einen direkten Übergang zur Bahn, eingesetzt würden moderne Busse mit bequemen Sitzen, USB-Steckdosen an jedem Sitzplatz, mit Platz für Rollstuhl und Fahrrad. Auf einer bestimmten Linie fahren sogar Doppeldeckerbusse. Insgesamt sei dies ein „Zustand von dem viele ländliche Gebiete nur träumen können“, findet der User.

Ausgelastet sind die modernen Busse leider kaum – und das verursacht Beschwerden. Wie der Urheber des Threads erzählt, höre er im Dorf und im Bekanntenkreis ständig Kommentare wie „Ich verstehe gar nicht, warum hier so viele Busse am Tag fahren. Fährt doch kaum einer mit.“

Daraus folgert er: „Das Problem ist nicht das Angebot, sondern die eingefahrenen bequemen Strukturen.“ Als Beispiel dafür führt er unter anderem Menschen an, die für die paar Kilometer in die Stadt lieber das Auto nehmen. Andere würden mit dem Auto zur Arbeit fahren, obwohl diese weniger als einen Kilometer entfernt ist.

„Es ist für viele einfacher sich Argumente einfallen zu lassen, warum man auf gar keinen Fall mit dem Bus fahren kann“, argumentiert er weiter. Zwar gebe es auch einige Menschen, die tatsächlich auf das Auto angewiesen sind. Doch er sei inzwischen der Überzeugung, dass der Wechsel für die Leute erst attraktiv wird, wenn sie sich das Auto wirklich nicht mehr leisten können.

Mit seinen Aussagen scheint der Urheber des Threads einen Nerv getroffen zu haben. Einige User:innen stimmen ihm schlicht zu und machen eigenen Ärger Luft: „Das gern vorgeschobene Argument ‚JA, aber erst mal muss ja ein Angebot da sein, dann würd ich auch das Auto stehen lassen‘ ist schlicht gelogen.“

Doch viele erzählen auch von eigenen Erfahrungen und Problemen mit den Öffentlichen: Die Fahrzeiten seien länger und Verspätungen seinen leider die Regel, erklärt zum Beispiel ein User. Eine Userin beschwert sich, dass Änderungen an Fahrzeiten, Haltestellen und Linien nicht angekündigt würden.

Andere setzen wiederum auf konstruktive Vorschläge: Viele schlagen zum Beispiel vor, den ÖPNV günstiger anzubieten. Bei vergleichbaren Fahrzeiten zeigen sich User:innen optimistisch, dass man Teile der Bevölkerung überzeugen könnte, umzusteigen. Auch die Verfügbarkeit von Parkplätzen und Parkgebühren seien entscheidend. Andere setzen ihre Hoffnung auf die nächste Generation, „für die der ÖV selbstverständlich ist“.

Der Twitter-Thread ist bestimmt nicht der erste, zu dem Thema, aber er ist exemplarisch. Dass die Bevölkerung auf dem Land viel mehr auf das Auto angewiesen ist, ist ein Fakt – doch gibt es für das Problem schnelle Lösungen?

Auch Studien haben sich dem Thema bereits gewidmet, mit teils überraschenden Ergebnissen: Bei einer Umfrage des Institut für Demoskopie Allensbach gaben 79 Prozent der Befragten aus Dörfern an, dass das Auto für sie „unverzichtbar“ sei – doch auch bei Menschen aus Großstädten waren es immerhin 53 Prozent. Auch die Stadtbevölkerung, die über ausgebauten öffentlichen Nahverkehr verfügt, misst dem Auto weiterhin also einen hohen Stellenwert zu.  

Die Umfrage ergab auch: Schlechte Anbindungen an den öffentlichen Nahverkehr ist nicht unbedingt das größte Hemmnis bei der Umstellung. Nur 34 Prozent der Befragten, die etwas an ihrer Mobilität ändern wollen, fühlten sich dadurch behindert. Der häufigste Grund: Laut 54 Prozent der Befragten ist es „einfach am bequemsten, das Auto zu benutzen“.

Der öffentliche Nahverkehr ist also (noch) nicht attraktiv genug, vor allem auf dem Land. Macht es dann Sinn, ihn auszubauen?

Utopia meint: Auf jeden Fall. Denn je besser die Infrastruktur, desto besser die Fahrzeiten, desto weniger Verspätungen – und desto bequemer. Das Prinzip hat sich in Großstädten bereits bestätigt: Würde es mit Bus und U-Bahn doppelt oder dreifach so lange dauern zum Ziel zu gelangen, dann wäre auch hier der öffentliche Nahverkehr deutlich weniger besucht. Erschreckend ist jedoch, dass auch in Städten das Auto für viele noch nicht wegzudenken ist. Denn hier sind eigentlich deutlich weniger Menschen darauf angewiesen. Das zeigt: Wir müssen nicht nur auf dem Land noch attraktivere Alternativen schaffen, sondern auch in Städten, in ganz Deutschland.

Natürlich ändern sich Gewohnheiten nicht sofort. Doch wenn man nicht die Möglichkeiten zur Verfügung stellt, dann haben Menschen, die ihren Teil beitragen wollen, nicht einmal die Chance dazu.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen