Dienstag, 25. Oktober 2022

„Wie viel CO2 muss ich ausstoßen, um glücklich zu sein?“

 Frankfurter Rundschau  hier 25.10.2022  Von: Ruth Herberg, Friederike Meier

Ranga Yogeshwar zum Klimawandel

Der Journalist Ranga Yogeshwar über den aktuellen Einfluss des Klimawandels, falsche Anreize und fossiles Denken.

Herr Yogeshwar, angenommen, Sie treffen eine Person, die sich noch nicht mit der Klimakrise beschäftigt hat: Wie erklären Sie dieser Person das Problem?

Der Klimawandel erklärt sich von selbst, denn er wird immer sichtbarer. Nehmen Sie diesen Sommer: Die Dürre in Italien, die Flut in Pakistan oder die Waldbrände in Kanada und den USA. Ich war kürzlich in mit meiner Tochter im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien. Die enorme Hitzewelle dort war atemberaubend. Wenn Sie draußen unterwegs sind, haben Sie das Gefühl, zu nah an einem Grill zu stehen – aber Sie können nicht weglaufen. Durch die Waldbrände war die Luft beißend. Die Häufung und Intensität dieser Extremereignisse macht jedem klar: Da ändert sich etwas.

Nehmen Sie wahr, dass das passiert und die Menschen diesen „Aha-Moment“ haben?

Ja und Nein: Zwar sind wir uns des Phänomens bewusst, doch wir werden ständig durch die Medien abgelenkt. Ich springe mal zurück ins Jahr 2015. Das war das Jahr, in dem die sogenannte Flüchtlingskrise stattfand. In dem Jahr gab es nicht eine einzige Talkshow zum Thema Klimawandel. Heute ist das ähnlich. Wir reden viel über andere Themen, die natürlich auch wichtig sind, der Ukraine-Krieg ist da ein Beispiel. Aber: Wenn die ganze Welt – metaphorisch gesprochen –, in einem Haus leben würde, dann gäbe es dort zwei, die sich um ein Zimmer streiten, das ist der Krieg in der Ukraine. Und währenddessen brennt der Dachstuhl – das ist der Klimawandel. Dessen Dimension unterschätzen viele Leute immer noch.

Müssten wir Medien und auch die Wissenschaft noch extremer darüber berichten und sprechen?

Wir müssen vor allem unsere Narrative verändern. Weltuntergangsnarrative bewirken Angst und lähmen. Ich denke da an einen „Spiegel“-Titel aus den 1980er Jahren, auf dem der Kölner Dom unter Wasser stand. Solche Bilder erzeugen eher Hoffnungslosigkeit und Passivität. Weit wichtiger ist es, sehr konkret auf positive Veränderungen zu setzen und auf unsere momentanen Widersprüche hinzuweisen. Da gibt es viel zu tun.

Sehen Sie in solchen Fällen die Politik in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die so etwas nicht mehr möglich machen?

Die notwendigen Veränderungen gehen viel weiter. Im Kern müssen wir den Fortschritt selbst hinterfragen. Der Fortschritt, den wir bis dato zumindest hier in Westeuropa über Jahrzehnte erlebt haben, basierte auf Konsum und einem nicht nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und Energie. Wir merken manchmal gar nicht, wie sehr wir noch den Narrativen dieser fossilen Vergangenheit anhängen.

Haben Sie ein Beispiel?

Ja. Mit dem Cabrio durch die Toskana zu fahren, wie in einem Roadmovie, gilt als Synonym von Freiheit. Aber solche Bilder täuschen und haben nichts mit der Realität zu tun. Denn jeder, der das versucht, wird im Stau auf dem Brenner feststecken, bevor er Italien erreicht. Stattdessen sollten wir uns fragen: Was ist wirklich erstrebenswert? Wie viel CO2 muss ich ausstoßen, um glücklich zu sein? Das hat dann nichts mit Verzicht zu tun, sondern mit der Frage: Was bestimmt unser Glück? Und das ist garantiert nicht die Cabriofahrt nach Norditalien, die eine Fiktion ist und mit der Realität kaum etwas zu tun hat. Wir müssen unsere Kultur ändern und dabei endlich Frieden mit der Natur schließen.

Was wäre denn ein Beispiel für ein positives Narrativ, das Freiheit ausdrückt?

Noch vor wenigen Jahren habe ich mich für jede Beiratssitzung in Berlin morgens in den Flieger gesetzt und bin nach zwei Stunden Sitzung wieder zurückgeflogen. Heute kann ich das digital machen und zu Hause bleiben. Das ist nicht nur nachhaltiger, sondern ein Gewinn an Lebensqualität verglichen mit Tagen, an denen man auf dem Weg zur Arbeit im Stau steht oder sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Job quält.

Es gibt aber auch Bereiche, bei denen der ein oder die andere sagt: Das kann ich für mich nicht ins Positive wenden, weil das für mich nicht positiv ist. Wenn ich zum Beispiel gern surfe, muss ich dafür in der Regel irgendwohin fliegen.

Da bin ich sofort bei Ihnen. Ich sage das sogar mit einem kleinen Lächeln, weil ich selbst windsurfe und das gut nachvollziehen kann. Seit fast 30 Jahren reise ich jeden Sommer nach Griechenland zum Windsurfen. Dort gibt es den Meltemi, einen Wind, der im Sommer in der Ägais für wunderbare Surf-Bedingungen sorgt. Aber seit etwa drei Jahren merken wir, die Surfcommunity, dass der Wind sich völlig verändert. Der Klimawandel führt dazu, dass wir dort in Zukunft wohl nicht mehr surfen können.

Aber was ist mit den Menschen, die nicht viel Geld verdienen, die ihr Leben lang schuften für einen geringen Lohn und die vielleicht wenigstens ein, zwei Mal in den Urlaub fliegen wollen, weil sie das noch nie gemacht haben?

Zunächst, die größten Klimasünder sind wohlhabende Menschen, die Jahr für Jahr durch die Welt jetten, die große Häuser und dicke Autos besitzen. Reichtum ist derzeit gleichbedeutend mit übermäßigem Ressourcenverbrauch. Das muss sich ändern, denn dieses Verhalten hat eine Vorbildfunktion. Wir sollten den alten Traum von mehr Besitz durch den Traum von mehr Glück ersetzen. Der zweite Punkt ist: Wir müssen raus aus den alten Fallen. Das merken wir momentan in der Debatte über Strom- und Gaspreise, die gerade für die Menschen, die wenig im Portemonnaie haben, extrem sind. Ist Energie überhaupt ein Markt im klassischen Sinne? Der Markt basiert doch auf der Freiheit von Angebot und Nachfrage. Was zu teuer ist, kann ich mir nicht leisten. Aber beim Heizen stehen viele Menschen mit dem Rücken zur Wand. Was das Beispiel Heizen angeht, müssen wir außerdem schauen, wie wir die Nachfrage-Seite stärker an das Angebot anpassen können.

Das müssen Sie bitte erklären.

Ich finde es skurril, dass ein baden-württembergischer Ministerpräsident ein Video dreht, in dem er vorführt, wie man die Heizung abdreht – gleichzeitig haben wir in unseren Haushalten keine intelligenten Stromzähler, die Stromfresser erkennen. Warum sind intelligente Waschmaschinen nicht längst Standard, die dann waschen, wenn keine starke Stromnachfrage herrscht? Wieso nutzen wir nicht die Batteriespeicher der über 600 000 Elektrofahrzeuge, um Stromspitzen intelligenter abzufangen? In dem Punkt wünsche ich mir, dass die Politik endlich offensiver gestaltet. Nur mit Verboten und Einschränkungen kommen wir nicht weiter.

Sie haben zu Beginn gesagt, dass wir nicht genug tun, um Frieden mit der Natur zu schließen. Das klingt gut, nur: Wie fange ich damit an? Was heißt das konkret?

Forscher des israelischen Weizmann-Instituts haben ausgerechnet, dass wir Menschen seit 2020 mehr verbauen, als die Natur produziert. Eine epochale Wende! Die Masse an Beton und Asphalt übersteigt inzwischen die aller Bäume und Sträucher. Die Menschheit produziert doppelt soviel Masse an Kunststoff, als es Tiere gibt. Ohne eine konsequente Kreislaufwirtschaft haben wir in Zukunft keine Chance, denn die Natur schlägt immer stärker zurück. Wir reden momentan über den Krieg in der Ukraine, aber wenn wir uns anschauen, was in derselben Zeit weltweit an Katastrophen bedingt durch den Klimawandel passiert, von Ernteausfällen und Dürren bis hin zu Überschwemmungen und Bränden, dann müssen wir angesichts dieser Zerstörungen und Opferzahlen feststellen: Das ist ein neuer Krieg. Daher müssen wir Frieden schließen mit der Natur.

Dem stehen oft der innere Schweinehund oder eine gewisse Bequemlichkeit gegenüber. Viele Menschen sehen, was um sie herum passiert, und trotzdem kommen sie nicht ins Handeln. Wie lässt sich das ändern?

Das eigene Verhalten ist wichtig, doch wir müssen die systemischen Regeln ändern. Es sind Gesetze, die die Wende bringen. In meinen Vorträgen stelle ich dem Publikum die Frage: Wie gelingt der Wandel? Sind es technische Veränderungen oder braucht es eine veränderte Kultur? Etwa 70 Prozent der Menschen stimmen für den kulturellen Wandel. Aus diesen beiden Aussagen lässt sich einiges ablesen.

Was genau?

Es geht eben um weit mehr als um eine technische Optimierung unserer bisherigen Lebensweise. Beispiel Mobilität: Das Elektroauto ist eben nicht die Antwort, es geht um die tiefgreifende Veränderung unserer Mobilitätsmuster. Doch wir mogeln uns an dieser Realität vorbei und beziehen beim Auto viele Dinge nicht ein: die Kosten für die Infrastruktur, für die Autobahn, für die Konflikte, die wir haben, um das Öl zu sichern –, die Geräusch- und Luftbelastung in unseren Innenstädten, den Preis für die Klimaschädlichkeit. Würden wir diese Gesamtrechnung ehrlich aufstellen würde sich etwas ändern, doch wir verharren in der Selbsttäuschung und träumen von der Cabriofahrt in der Toskana.

Als einzelne Konsumentin kann ich also nur bedingt etwas ändern?

Wir können als Einzelne immerhin insistieren, dass es eine andere Politik gibt. Menschen in meinem Alter werden die gravierenden Folgen der Klimakrise wohl nicht mehr erleben. Doch seit 2020 bin ich Opa und frage mich: Wollen wir ernsthaft aus Bequemlichkeit den nächsten Generationen all diese Probleme hinterlassen? Wir müssen daher jetzt den Veränderungsprozess einleiten.

Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir – in der kurzen Zeit, die uns hoffentlich noch bleibt – es schaffen, uns so aufzustellen, dass wir noch möglichst gut leben können auf der Erde?

Schaut man sich um, dann sieht man, dass ein weltweiter Veränderungsprozess einsetzt. Die Stadt Oslo etwa hat sich binnen weniger Jahre in eine grüne Metropole verwandelt. Bei der Gasdebatte vergessen wir, dass in diesem Jahr selbst in Deutschland der Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung über 50 Prozent beträgt. Die Welt ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits an vielen Stellen besser geworden: Die Lebenserwartung hat global zugenommen, so auch die Zahl der Demokratien. Die Zahl der Analphabeten hat weltweit abgenommen, genauso die extreme Armut. Nun stehen wir vor einer neuen Phase und an deren Ende steht nicht der Verlust, sondern der Gewinn an Lebensqualität und Glück. (Interview: Friederike Meier und Ruth Herberg)


Zur Person

Ranga Yogeshwar (63) ist Wissenschaftsjournalist und Autor. Bekannt ist der studierte Physiker vor allem als Moderator verschiedener Fernsehformate wie etwa „Quarks & Co“. Seit 2008 arbeitet Yogeshwar als freier Journalist und Autor. In seinem Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“ beschäftigt er sich damit, wie der Fortschritt den Menschen verändert. FR

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