Samstag, 4. März 2023

Was die Klimabewegung von früheren Erfolgen lernen kann

Standard  hier  Julia Beirer  3. März 2023

Bild hier aus vienna.at

Hainburger Au

In den 80er-Jahren verhinderten Umweltschutzbewegungen ein Kraftwerk in den Donau-Auen. Das Rezept für erfolgreichen Protest gilt auch heute noch

Männer und Frauen verkleidet als Auhirsch, Eisvogel, Rotbauchunke und Schwarzstorch. Was nach sehr spezifischen Faschingskostümen klingt, ist im Mai 1984 kein verspäteter närrischer Gag. Unter Hirschgeweih und Federkleid stecken Umweltschützerinnen und Umweltschützer. Sie haben zur "Pressekonferenz der Tiere" geladen.

Ihre Botschaft: Der Bau des Donaukraftwerks Hainburg im Bezirk Bruck an der Leitha in Niederösterreich müsse verhindert werden, er gefährde den Lebensraum der Tiere. Stattdessen fordern sie, das Gebiet zum Nationalpark zu ernennen.

Erfolgreicher Protest

Diese Forderungen verstärkten sie im Konrad-Lorenz-Volksbegehren. Benannt nach dem Verhaltensforscher und Nobelpreisträger, der während der Pressekonferenz im Publikum saß.

Die ungewöhnliche Pressekonferenz zeigte Wirkung. In Kombination mit Protestzügen durch Wien und der Besetzung der Hainburger Au kam es schließlich zum Baustopp des Donaukraftwerks. Zwölf Jahre später entstand 1996 der Nationalpark Donau-Auen. Aber was genau führte eigentlich zum Erfolg der Bewegung?

Damals und heute

Um die Erderwärmung zu stoppen und die Umwelt zu schützen, fordern Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten bei Fridays for Future oder der Letzten Generation auch heute Maßnahmen von der Politik; darunter etwa ein Klimaschutzgesetz, Tempo 100 oder ein Verbot gegen Öl- und Gasbohrungen in Österreich. Dafür protestieren sie auf angemeldeten Demos, kleben sich unangemeldet auf die Straße oder gehen im Schneckentempo vor einer Autokolonne mitten auf der Wiener Ringstraße.

Mit Plakaten und Bannern auf die Straße gehen, blockieren und anecken – ein Vergleich zwischen den Umweltschutzorganisationen in den 80er-Jahren und der aktuellen Klimaschutzbewegung zeigt durchaus Ähnlichkeiten.

1. Druck aufbauen

Karl Wagner ist überzeugt, dass derartige Aktionen nach wie vor zum Erfolg führen.
"Politiker reagieren auf zivile Gruppen, die Druck ausüben"
, sagt er. Das treffe insbesondere zu, wenn es um Themen wie den Klimawandel geht, der unangenehme Konsequenzen und Maßnahmen mit sich bringe.

Der 70-Jährige setzt sich bereits sein ganzes berufliches Leben für Umwelt- und Klimaschutz ein. Mittlerweile lobbyiert er dafür in Brüssel auf EU-Ebene. Vor rund 40 Jahren organisierte er mit Gleichgesinnten medienwirksam die Besetzung der Hainburger Au.

Wagner führt den Erfolg der Umweltbewegung damals auf den stetig gewachsenen Druck aus der Bevölkerung zurück. Auch auf politischer Seite wusste man um diesen Druck. Das erzählt N. im Gespräch mit dem STANDARD. Er war Kabinettsmitarbeiter in der Regierung Fred Sinowatz (SPÖ) und hat die Ereignisse im Bundeskanzleramt aus nächster Nähe miterlebt. Namentlich genannt werden möchte er nicht. Er wolle heute bei niemandem mehr anstreifen.

Protest mit langem Atem

Anstreifen und Druck erzeugen, das wollen Klimaschutzbewegungen heute genauso wie damals. Dafür gehen am Freitag tausende Menschen in Österreich und der Welt auf die Straße – Fridays for Future hat erneut zum weltweiten Klimastreik aufgerufen. Der erste weltweite Klimastreik fand vor vier Jahren statt.

Seither äußern Aktivistinnen und Aktivisten dutzender Klimaschutzorganisationen stetig Kritik an fehlenden Maßnahmen im Klimaschutz. Teilweise bereits mit Erfolg. Die Bewegung "Lobau bleibt" beispielsweise hat ihr Protestcamp an der Baustellen in Hirschstetten erst nach über vier Monaten verlassen, als Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) den Bau des Lobautunnels gestoppt hat.

Protestieren und sich auf die Straße kleben würde mehr Menschen erreichen, als es den Anschein hat, davon ist Karl Wagner überzeugt. Es rege zum Nachdenken an, dadurch entstünden politische Meinungen und letztlich auch eine kritische Masse in der Bevölkerung.

Der frühere Kabinettsmitarbeiter N. sieht gerade die Aktionen der Letzten Generation kritisch. Er hätte mehr Respekt, wenn sich die Aktivistinnen an einen Flüssiggasdampfer kleben würden als in Wien auf die Straße.

Kompromiss trotz Uneinigkeit

Die beiden Männer waren sich vor 40 Jahren nicht einig, was die beste Lösung für den Umweltschutz ist, und scheinen es auch heute nicht zu sein. Während Wagner zufrieden zurückblickt, sagt N., es wäre "gescheiter gewesen, das Projekt umzusetzen, vernünftiger war es damals aber, es nicht zu tun". Denn: Man könne ein derartiges Projekt nicht durchsetzen, wenn der einzige Verbündete die Polizei ist.

Das Donaukraftwerk Hainburg war die letzte Stufe eines jahrzehntelang geplanten und umgesetzten Projekts der Donaukraftwerke (DoKW) zur Stromerzeugung. Das Ziel waren ein "vernünftiges Energiekonzept und ein hohes Maß an Energieautarkie in Österreich", sagt N. Letzteres würde Österreich gerade in der aktuellen Energiekrise zugutekommen. In Österreich seien Kraftwerke bis dato mit breiter Unterstützung der Bevölkerung gebaut worden, "dass es in Hainburg schwieriger wird, haben wir schon frühzeitig gerochen", sagt der ehemalige Kabinettsmitarbeiter.

2. Mediale Kampagne

Maßgeblich zum Erfolg der "Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg" und der WWF-Aktion "Rettet die Auen" beigetragen hat die Berichterstattung der "Kronen Zeitung". Darin sind sich die beiden ehemaligen Kontrahenten einig. Wagner hat von Beginn an den Kontakt zum damaligen Herausgeber der "Kronen Zeitung" Hans Dichand gesucht. Er habe mit ihm "über die drohende Zerstörung eines Teils der Donau-Auen durch ein dort geplantes Wasserkraftwerk" gesprochen.

Einige Monate später sei dann der erste von vielen Artikeln über die Hainburger Au in der "Kronen Zeitung" erschienen. "Damals gegen die Meinung eines Großteils der eigenen Leserinnen und Leser", wie Wagner erzählt. Umwelt sei bis dato noch kein Thema gewesen. Als die Au im Dezember schließlich besetzt war, sei Hainburg zum großen Thema in europäischen Medien geworden. Diese Grenze hat die aktuelle Klimabewegung sehr rasch überschritten.

Titelseiten und Hauptabendprogramm

Das Medieninteresse war und ist enorm. Einerseits ist es wohl mit der globalen Bedeutung des Klimawandels zu erklären, andererseits sind die medialen Möglichkeiten heute um ein Vielfaches größer als vor 40 Jahren. Nicht nur in Europa, sondern weltweit füllen Bewegungen wie Fridays for Future Titelseiten. Greta Thunberg, Galionsfigur der Klimabewegung, zierte bereits 2019 als "Person of the Year" das Cover des "Time Magazine".

Auch kleinere Gruppierungen, wie etwa die Letzte Generation füllen während ihrer Aktionswochen täglich Zeitungen und Nachrichtensendungen. Martha Krumpeck, Klimaaktivistin der Letzten Generation, sagt in der "ZiB 2", dass die Sinnhaftigkeit ihrer Aktionen allein dadurch gegeben sei, in einem derartigen Nachrichtenformat aufzuzeigen, "wie die Klimapolitik völlig an dem vorbeigeht, wo wir eigentlich hinmüssten".

3. Kooperationen schmieden

Über die Protestmethoden sind sich die unterschiedlichen Organisationen durchaus uneinig. Für Lena Schilling, das wohl bekannteste Gesicht der Besetzungen der Baustellen im Protest gegen Stadtstraße und Lobautunnel, sind das Festkleben an Straßen oder das Anschütten von Gemälden mit Suppe nicht die richtigen Mittel.

Doch die verschiedenen Gruppen kooperieren auch miteinander. Während der Besetzung gegen den Lobautunnel hat etwa auch Fridays for Future zum Protest im Camp aufgerufen.

Auch beim weltweiten Klimastreik am Freitag gehen Menschen rund um den Globus von Neuseeland über Jakarta bis Kanada auf die Straße. Neben Fridays for Future haben sich wieder unzählige andere Gruppen angeschlossen, darunter auch Scientists for Future, die den wissenschaftlichen Unterbau für die Forderungen liefern. Nicht nur andere Umweltbewegungen, sondern auch Gewerkschaften, Unternehmen, kirchliche oder Menschenrechtsorganisationen unterstützen die Klimastreiks.

Greta Thunberg wurde vor wenigen Tagen bei einer Demonstration in Oslo gegen einen Windpark in Norwegen festgenommen, der die Rechte Indigener verletze. Thunberg sprach von grünem Kolonialismus. Immer öfter versteht sich Fridays for Future auch als Bürgerrechtsbewegung, kooperiert mit dieser, tritt nicht nur für Klimaschutz, sondern auch gegen Rassismus und für Frauenrechte auf.

Auch Karl Wagner hat sich mit seinen Mitstreitern ausgetauscht. Wöchentlich trafen sich Umweltschutz-Gruppen im Café Votiv in Wien, um Pläne zu schmieden. Wesentliche Partner der "Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg" waren Global 2000 und das Umweltreferat der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Man hätte eigene Aktionen geplant, aber immer wieder kooperiert und "gemeinsam gegen das Kraftwerk gekämpft".

Als die Au ab 8. Dezember schließlich besetzt war, habe die ÖH einen Busservice organisiert. Stündlich konnten Aktivisten zwischen der Uni und dem Camp pendeln. "Das hat die Politik am meisten gestört", sagt Wagner. Auch heute unterstützt die ÖH regelmäßig die Klimastreiks.

4. Besetzen und festkleben

Die Umweltbewegung in den 80ern setzte auf passiven Widerstand. Nach der Besetzung des Niederösterreichischen Landhauses in der Wiener Herrengasse schlagen die Protestierenden Zelte in der Hainburger Au auf. Karl Wagner ist "nicht im Wald gesessen". Er sei außerhalb des Camps als Koordinator tätig gewesen und in den Wald gekommen, um ausländische Journalisten hinzubringen oder herauszufinden, wann die Polizei aus der Kaserne ausrückt in Richtung Au.

Wichtig war den Aktivistinnen und Aktivisten, "irgendeine Zufahrt frei zu lassen", sagt Wagner. "Man kann nicht alles absperren, eine Zufahrt in den Wald musste frei bleiben – das war strategisch wichtig, ansonsten wären die politisch Verantwortlichen verrückt geworden."

Ob diese eine Zufahrt auch symbolisch verstanden werden kann, sei dahingestellt. Fest steht jedoch, dass auch die Letzte Generation während Straßenblockaden darauf achtet, eine Fahrbahn schnell räumen zu können. Da sich dahinter allerdings kilometerlang Stau bildet, ist ein Durchkommen im Notfall fraglich.

Kurz vor der Eskalation

Zudem steigt das Aggressionspotenzial gegenüber den Protestierenden. In Videos ist zu sehen, wie wütende Autofahrer versuchen, die Demonstranten wegzuzerren, sie beschimpfen oder sogar mit den Füßen treten. Die Stimmung, so wirkt es zumindest in den Videos, scheint zu kippen.

Auch während die Hainburger Au besetzt war, wurde in Wien zu Demonstrationen aufgerufen. Auf dem Heldenplatz seien nach dem Demonstrationszug,"zigtausende wütende Menschen" angekommen, erzählt Wagner. "Das ist der Augenblick, in dem die Politik reagiert, um zu deeskalieren." Denn in dem Augenblick dauere es nicht lange, und ein Auto brennt.

Als die Polizei versuchte, die Besetzung in Hainburg aufzulösen, wurden Personen auf beiden Seiten verletzt. Eine Konfrontation zwischen den Bürgern und der Polizei wünscht sich eine Regierung nicht, sagt Kabinettsmitarbeiter N. Daher habe sich Bundeskanzler Sinowatz "vergleichsweise früh entschlossen, das Projekt zu verschieben".

5. Klage einreichen

Beruhigung geschaffen hat laut Wagner ein Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichtshofs, das einen sofortigen Baustopp erwirkt hat. Eingereicht hat die Klage der WWF, begründet mit einem unzureichenden Naturschutzgutachten – laut Wagner eine "völlige Linke". "Die haben das in Rekordzeit durchgedrückt", sagt Wagner, weil die Situation derart heikel war.

Das Zwischenziel war mit dem Baustopp erreicht, und somit gab es laut Wagner auch keinen Grund, die Au weiter zu besetzen. Nach der von Bundeskanzler Sinowatz ausgerufenen Weihnachtsruhe hat sich die Besetzung aufgelöst. Zwölf weitere Jahre später wurde das Gebiet zum Naturpark ernannt.

Den juristischen Weg beschreiten seit kurzem auch zwölf Kinder und Jugendliche. Sie haben Klage beim Höchstgericht eingereicht. Weil Kinderrechte im aktuellen Klimaschutzgesetz in Österreich nicht berücksichtigt werden, sei dieses verfassungswidrig, heißt es zum Hintergrund der Klage vor dem Verfassungsgerichtshof.

Ob der Klage stattgegeben wird und wo die Proteste hinführen, wird die Zukunft weisen. Immerhin mussten die Umweltaktivisten in den 80ern auch zwölf Jahre auf ihr Naturschutzgebiet warten. (Julia Beirer, 3.3.2023)

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