Dienstag, 21. Juni 2022

Landwirtschaft und Klima: Klimaretterin Kuh

 Ein wichtiger Artikel um die nachhaltige Landwirtschaft rund um das Vieh zu verstehen. Nicht umsonst ist Viehhaltung ein wichtiger Eck-Pfeiler der biologischen Landwirtschaft, man darf die natürliche Düngung der Böden nicht vergessen.

TAZ  hier

...Seine Erläuterungen beginnen mit einem Fußballfeld. Windisch rechnet gern in Fußballfeldern. Eine landwirtschaftliche Fläche eben dieser Größe, erklärt er, benötige man heute, um drei Menschen zu ernähren. Aber 2050 müsse man auf demselben Feld schon mehr als fünf Menschen satt bekommen. Dabei seien nur die Strafräume Ackerfläche, also für den Anbau veganer Lebensmittel geeignet. Man muss kein Fußballexperte sein, um zu erkennen: Das wird eng.

Schuld daran sind in Deutschland etwa der Flächenfraß, der beispielsweise in Bayern täglich mehr als zehn Hektar beste Böden in Betonwüste verwandelt, aber weltweit fielen die Böden vor allem auch Erosion und Verwüstung anheim – Folgen des Klimawandels. Dazu kommt natürlich das Wachstum der Weltbevölkerung.

Weizen als Tierfutter, das geht gar nicht

Schön und gut, aber was hat das nun mit der Kuh zu tun? Hat da nicht der Professor mit seinem Strafraum-Beispiel den Gegnern jeglicher Nutztierhaltung gerade das beste Argument an die Hand gegeben? Schließlich weiß doch jeder: Um ein Kilo tierisches Eiweiß herzustellen, braucht man ein Vielfaches an pflanzlichem Eiweiß. Je nach Quelle unterscheiden sich zwar die Angaben, aber selbst die niedrigsten Berechnungen gehen noch vom Fünffachen aus. Sprich: Jeder Fleck des Fußballfeldes, den wir Tieren abtreten, ist doch reinste Verschwendung.

Einspruch, ruft da Windisch, so einfach sei es nun auch wieder nicht. Was man da oft an Argumenten aufgetischt bekomme, sei ein „Konglomerat von Narrativen, von Verkürzungen“. Eine dieser Verkürzungen beispielsweise ist die Annahme, man müsse Tiere mit denselben Lebensmitteln ernähren wie Menschen. Eine Annahme, die darauf fußt, dass es ja zu einem Großteil tatsächlich so praktiziert wird. In Deutschland, erzählt Windisch, werde etwa die Hälfte der Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter verwendet, zum Großteil Silomais. Die Hälfte!

Zwei andere Zahlen: Ein Drittel der globalen Getreideernte und über drei Viertel der Sojaernte landet im Futtertrog. „Wir haben tatsächlich eine intensive Tierproduktion, die enorme Mengen an Lebensmitteln verbraucht“, so Windisch. An das heutige Hochleistungsgeflügel zum Beispiel würden fast ausschließlich hochwertige Ackerprodukte verfüttert. Bei der Kuh sei der Anteil deutlich niedriger, aber auch rund 30 Prozent des Rinderfutters in Mitteleuropa bestünden aus Getreide und anderen Ackerpflanzen. Ein Unding, das findet auch Windisch. „Da bin ich völlig d’accord mit dem veganen Konzept: Was wir selbst essen können, sollten wir nicht an Tiere verfüttern.“ Das Stichwort lautet: Nahrungskonkurrenz.

Nur: Was, wenn das Tier dem Menschen gar nichts wegfrisst? So wie die Kühe der Bajohrs. Sie ernähren sich ausschließlich von Gras und Heu, Pflanzen, die der härteste Veganermagen nicht verwerten könnte. Und damit kommt Windisch zurück auf die Kuh als Geniestreich der Evolution. Kuh und Grasland hätten sich gleichzeitig entwickelt – vor über 30 Millionen Jahren. Ohne Gras kein Rind, ohne Rind aber auch kein Gras.

Umwandlung von Grünland? „Geht gar nicht!“

Und schon sind wir tief drin im Pansen, dessen Funktionsweise zu erklären sich Wilhelm Windisch nicht zweimal bitten lässt: „So eine Kuh, die frisst ja gar kein Gras“, erklärt der Wissenschaftler mit seinem leicht fränkischen Einschlag dann auch gleich, „sondern die füttert ihren Pansen mit Gras.“ In dem prominentesten der vier Mägen der Kuh seien Bakterien, die das ansonsten nicht verdaubare Gras zu Eiweiß verarbeiteten. Erst dieses Produkt sei dann die eigentliche Nahrung der Kühe, die sie beim Wiederkäuen fräßen und ihrerseits wieder in Milch und Fleisch überführten. Das Ergebnis: Der Mensch erhält zusätzliche Lebensmittel, ohne dafür auf eine einzige Kartoffel, eine Weizenähre oder ein Salatblatt verzichten zu müssen.

Aber könnten wir nicht einfach die Wiesen und Weiden zu Äckern machen und für den Anbau von veganen Lebensmitteln nutzen, anstatt Kühe darauf zu stellen? Nein, sagt Windisch. Zum einen werde bei der Umwandlung von Grünland in Acker unglaublich viel CO2 freigesetzt. „Das ist wie das Abholzen von Wald oder das Trockenlegen von Mooren. Geht gar nicht.“ Zum anderen seien alle Flächen, die sich als Acker eigneten, längst Ackerland. Und selbst dort fällt noch Futter für Nutztiere an. „Auf einem Getreidefeld wachsen ja keine Körner“, sagt Windisch. „Da wachsen ganze Pflanzen.“ Pro Kilogramm pflanzliches Lebensmittel fielen vier Kilogramm für den Menschen nicht essbare Biomasse an. Verfüttert man auch diese, erhält man nach Windischs Berechnungen ein weiteres Kilo tierische Lebensmittel. „Sie verdoppeln über die Nutztiere praktisch die vegane Basisproduktion – ganz ohne Nahrungskonkurrenz.“

Auf diese Weise, so Windisch, könne man die Bevölkerung mit Hilfe von Wiederkäuern auch weiterhin gut ernähren. Dass das unter dem Strich jedoch bedeuten würde, dass wir dann deutlich weniger tierische Produkte auf dem Teller hätten, steht für Windisch außer Frage. Er klappt sein Laptop auf, öffnet eine Powerpoint-Präsentation. Auf einer Folie ist ein von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften für die Schweiz berechnetes Szenario dargestellt: Würde man dort Nutztiere nur noch mit nicht essbarer Biomasse füttern, müsste man den Konsum von Schweinefleisch um 70 Prozent, den von Geflügel sogar um 99 Prozent und den von Eiern um 95 Prozent reduzieren. Bei Milch wären es nur 30, bei Rindfleisch 40 Prozent.

Bleibt dennoch das Problem der Klimakillerkuh. Klar, ohne Methanbildung geht es nicht, sagt Windisch. „Es ist der Preis, den ich bezahlen muss, damit ich sehr große Mengen an nicht essbarem Material in etwas Essbares überführen kann.“ Die unmittelbare Treibhauswirkung des Gases sei rund 85-mal so stark wie die von CO2Ein klimatischer Hufabdruck, der es in sich hat. Aber immerhin: Während CO2 Jahrtausende in der Atmosphäre verweile, habe Methan eine relativ kurze Halbwertszeit und sei schon nach wenigen Jahrzehnten kaum noch nachzuweisen. Dadurch akkumuliere sich das Methan in der Atmosphäre nicht. Es gebe aber einen ständigen Sockel, der sich immer wieder erneuere. Daher sei es wichtig, die Methanbürde so gering wie möglich zu halten, den Sockel ein wenig abzutragen. Eine Stellschraube hierfür sei beispielsweise das Tierwohl. Wenn die Milchkühe gesund seien und vor allem länger lebten, reduziere sich auch die Methanlast pro Liter Milch. In Deutschland sinke der Methanausstoß der Rinder infolge der niedrigeren Bestandszahlen ohnehin seit mehreren Jahrzehnten. Inzwischen produzierten die Rinder hierzulande weniger Methan als vor der Industrialisierung....


„Also ich denke, ohne Tiere auf der Weide geht es nicht“, sagt Bajohr. „Das ist unser großer Fehler, dass wir sie aus der Gleichung rausgenommen haben, denn das Ökosystem Grünland funktioniert nur mit biologischer Vielfalt – mit Kühen, Insekten und anderen Tieren.“ Am besten auch mit Hecken und Bäumen – eines der nächsten großen Projekte der Bajohrs.

Ein ausgefeiltes Weidemanagement für das Klima

Die Bäuerin zeigt noch schnell die benachbarte Weidefläche, auf der die Tiere vier Tage zuvor waren. Das Gras steht noch zehn bis zwanzig Zentimeter hoch – und das ist Absicht. „Wenn sie nur einmal abgebissen haben, ist es ideal“, erklärt Bajohr. Die Pflanze werde dadurch in ihrer Photosyntheseleistung gefördert und müsse nicht an ihre Reserven gehen. Zudem bleibe mehr Biomasse zurück, höhere Halme und Stängel, die ein hervorragendes Habitat für Insekten böten. „Der Boden trocknet auch nicht so schnell aus, es ist ein ideales Mikroklima.“ Das ist der Grund, warum die Rinder auf dem Kugelsüdhanghof immer nur auf einer vergleichsweise kleinen Fläche weiden dürfen, dafür aber recht häufig den Platz wechseln. Es ist ein Mehraufwand, aber es deutet alles darauf hin, dass er sich lohnt.

Bajohr lässt das Gras jetzt drei, vier Wochen nachwachsen, dann wird hier gemäht und Heu gemacht. Nach 45 Tagen dürfen dann wieder die Rinder auf die Weide. Mit einem ausgefeilten Weidemanagement lässt sich viel für Kuh und Klima erreichen. Deshalb ist es auch ein zentrales Anliegen des Projekts „KUHproKLIMA“, das Bajohr vor drei Jahren initiiert hat und jetzt leitet. Wird Grünland vernünftig beweidet, so der Gedanke, ist der Humusaufbau größer, als wenn nur gemäht wird. Insgesamt sieben landwirtschaftliche Betriebe im Allgäu wollen in dem Projekt „verschiedene Herangehensweisen hin zu einer standortgerechten, klimafreundlichen, resilienten Grünlandbewirtschaftung erproben“, so die Projektbeschreibung.....

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen