Montag, 20. Juni 2022

Gemeinschaftlich Strom produzieren

 RND  hier   von Thoralf Cleven   20.06.2022

Warum müssen sich Versorger nicht vor Energy Sharing fürchten, Claudia Kemfert?

Europäisches Recht räumt Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit ein, in Gemeinschaften eigenen Strom zu produzieren, zu handeln und zu speichern.
In Deutschland ist das noch nicht umgesetzt, kritisiert DIW-Expertin Claudia Kemfert.
Kann Energy Sharing ein zentraler Bestandteil des künftigen Systems sein?

Professorin Claudia Kemfert (53) ist im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verantwortlich für Energie, Verkehr und Umwelt.

Frau Professor Kemfert, seit 2019 ist es laut EU-Recht möglich, dass sich Bürger zu Gemeinschaften zusammenschließen können, die eigenen Strom produzieren, konsumieren, speichern und handeln können. Ist das sinnvoll?

Absolut. Das sogenannte Energy Sharing  (oben genauer erklärt) ist ein zentraler und integraler Bestandteil des zukünftigen Energiesystems. Deutschland sollte diese EU-Verordnung schnellstens umsetzen.
Energy Sharing kann dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürger die Energiewende nicht mehr nur passiv beobachten, sondern aktiv daran teilnehmen. Das steigert die Akzeptanz.



Denn die Gemeinschaften profitieren unmittelbar davon, indem sie die erneuerbaren Energien, also vorrangig Wind- und Solarenergie, selbst verbrauchen. Energy Sharing als feste Komponente im Energiesystem wirkt zudem preissenkend auf die Strompreise, indem es mehr Wettbewerb schafft und das Angebot erneuerbarer Energien vergrößert.

Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung hält es für möglich, dass 90 Prozent der deutschen Haushalte von günstigeren Strompreisen durch Energysharing profitieren könnten. Teilen Sie diese Einschätzung?

Durchaus, das Potenzial ist riesig! Die Kosten erneuerbarer Energien sind gering und niedrige Strompreise zudem möglich, weil die dezentrale Vor-Ort-Produktion der Energie die Systemkosten senkt. Das Marktpotenzial wird desto eher ausgeschöpft, je besser die Rahmen­bedingungen sind. Also Umso schneller speziell für Energy-Sharing-Konzepte existierende Barrieren wie hohe Abgaben und Umlagen abgebaut und Vergütungssysteme attraktiv gestaltet werden, umso eher wird die breite Bevölkerung von Energy Sharing profitieren.

Ihre Forscherkollegen gehen ebenfalls davon aus, dass solche Bürger­projekte Privat­investitionen in Höhe von bis zu 12 Milliarden Euro im Bereich Energiewende auslösen könnten. Ist das realistisch?

Auch hier stimme ich voll und ganz zu! Und diese Investitionen sind mehr als überfällig. In der Vergangenheit wurden Energiewende und Bürgerenergie massiv ausgebremst. Eine protestierende Minderheit dominierte die öffentliche Diskussion und führte zu falschen politischen Schlussfolgerungen. Dabei begrüßt schon lange eine Mehrheit die Energiewende und möchte sie sogar aktiv mitgestalten.

Diese Menschen brauchen attraktive Rahmenbedingungen, damit sie sich aktiv an den Erneuerbaren und deren Verteilung beteiligen und so auch finanziell profitieren können. Solch eine Regelung gab es vor mehr als zehn Jahren schon; sie wurde dann jedoch leider massiv runtergefahren.

Ein Grund waren damals die hohen Mitnahmeeffekte, oder nicht?

Ich halte das für vorgeschoben. Wenn innovative Geschäftsmodelle zu Gewinnen führen, werden sonst ja auch nicht gleich die gesetzlichen Rahmenbedingungen verschlechtert. Ja, es gab höhere Renditen, aber vor allem gab es attraktive Beteiligungs­möglichkeiten, die massiv verschlechtert wurden.
Das war meines Erachtens eine Attacke auf die Energiewende und die damit verbundene Konkurrenz für die wenigen großen Konzerne.

Bei der Bürgerenergie geht es nämlich nicht nur um Gewinne, sondern um Menschen, die sich selbst und vielleicht noch ihre Nachbarschaft mit Strom aus einer eigenen Solaranlage versorgen wollen. Heute ist der bürokratische Aufwand für die Installation leider enorm. Das kostet Zeit und Nerven, die viele Menschen nicht aufbringen. Diese Barrieren müssen fallen, wenn wir es ernst meinen mit der Energiewende.

Was solche Gemeinschaften dürfen und nicht dürfen, darum ringen Regierung und Bundestag gerade. Was macht es schwierig, einen Rahmen zu setzen?

Die EU-Vorgaben müssen in das existierende deutsche Energierecht überführt werden. Grundsätzlich gibt es ja bereits Genossenschaften. Bürger­energie­projekte werden aber zu Stromlieferanten, für die es spezielle juristische Anforderungen gibt.

Dabei geht es beispielsweise darum, wie die Versorgungs­sicherheit insgesamt gewährleistet werden kann, denn die Gemeinschaften sind ja Teil eines größeren Energiesystems. Oder um die Frage, wie solche Gemeinschaften unternehmens­recht­lich gesehen werden, denn sie produzieren nicht nur Strom, sie handeln ja auch damit. Grundsätzlich soll alles leicht, schlank und einfach umsetzbar werden, wie es die EU vorsieht. Das fällt den Fachleuten offenbar schwer.

Müssen klassische Energieversorger die Bürgerenergie fürchten?

Manche scheinen sich davor zu fürchten. Unnötigerweise. Denn Energy Sharing ist eine gute Ergänzung, denn auch kommunale Versorger haben ein Interesse daran, dass die Energiewende vor Ort gelingt. Und je mehr Partizipation, desto besser.

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