Ein toller Artikel! Wenn die Klimawende so aussieht, dann freu ich mich darauf! Keine Agrarwüste mehr sondern lebende Flächen mit großer Biodiversität. Und das bei zumindest gleichem Ertrag. So kann man Bauern und Umwelt schützen!
Handelsblatt hier
SERIE: GRÜNER UMBRUCH
Angus-Beef mit 66 Prozent weniger Emissionen
Seine Kühe machen den Boden fruchtbar und regen das Gras zum Wachsen an – weil Öko-Bauer Benedikt Bösel eine entscheidende Sache anders macht als die allermeisten.
Benedikt Bösel greift in den Boden seines Versuchsfelds in der Mark Brandenburg. „Hier ist der Humus schön feucht und kühl, obwohl es seit Monaten kaum regnet“, sagt der Öko-Landwirt. Nebenan auf dem Feld mit Bio-Roggen zeigen sich Risse im Boden fast wie in der Sahara.
In Bösels Agroforst-Kulturen wachsen diverse Pflanzen in vier Etagen. Ganz unten Kräuter, dann Nutzsträucher wie Hasel oder Himbeeren, darüber Obstbäume und ganz oben Pappeln und Birken. Deren Laub dient als Windschutz gegen Erosion. Es spendet Schatten und nährstoffreiche Biomasse für Kräuter, Nüsse und Beeren.
Zwischen den geschwungenen Baumreihen im Abstand von je sechs Metern ist normaler Ackerbau möglich. Nach der Ernte können Bösels Hühner die Untersaat aus Kleegras fressen. „Agroforst ermöglicht mehrere Ernten unterschiedlicher Kulturen auf kleiner Fläche – ohne Dünger und Pestizide zu geringeren Kosten“, erklärt der 37-Jährige. „Das System hat das Potenzial, sich komplett autark am Leben zu halten.“
Als Bösel den 3000 Hektar großen Öko-Hof seiner Eltern in Alt Madlitz 2016 übernahm, merkte er schnell: „So kann es nicht weitergehen.“ Die Mark Brandenburg mit ihren sandigen Böden gehört ohnehin zu den trockensten Regionen Deutschlands. Doch bald stellten Dürren und Hitzesommer die Ernten infrage.
„Die landwirtschaftlichen Betriebe weltweit müssen sich dringend an den Klimawandel anpassen“, sagt Bösel. „Wir müssen raus aus einem industriellen Agrarsystem, das Umwelt und Klima zerstört und Bauern abhängig macht vom Zukauf von Saatgut, Dünger und Pestiziden.“ Sein 30-köpfiges Team experimentiert mit regenerativer Landwirtschaft, die dem Klimawandel aktiv entgegenwirken soll. „Die Agrarwirtschaft ist der mit Abstand wichtigste Hebel im Kampf gegen den Klimawandel“, erklärt der Landwirt.
Das sich etwas ändern muss, ist unbestritten. Denn die Klimabilanz des Agrarsektors ist verheerend. Laut Weltklimarat entstehen rund 31 Prozent der globalen CO2-Emissionen durch die Produktion von Nahrungsmitteln: Viehhaltung, Gülle, die energiereiche Produktion von Kunstdünger, Pestiziden, Verpackung sowie Transporte wirken sich negativ aus – genauso wie der Verlust von Wald, Moor und Humus.
Laut EU-Kommission sind 60 bis 70 Prozent der Böden wegen intensiver Landwirtschaft in keinem guten Zustand. Der Verlust von Humus und fruchtbaren Böden ist nicht nur eine große Bedrohung für die Welternährung, wie die Vereinten Nationen warnen.
Vor allem spielt Humus, der aus organischen Resten und zu 60 Prozent aus Kohlenstoff besteht, eine essenzielle Rolle bei der Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid. Nach den Ozeanen sind Böden die wichtigsten Kohlenstoffspeicher der Erde. Im Humus ist viermal so viel Kohlenstoff gespeichert wie in der oberirdischen Vegetation.
Konventionell bewirtschaftete Böden speichern jedoch weniger CO2 als naturbelassene Flächen. Aktiver Humusaufbau durch Landwirte, sogenanntes Carbon Farming, ist deshalb ein zentraler Teil des Green Deals der EU auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050.
In dieselbe Richtung geht die sogenannte Vier-Promille-Initiative der Pariser Weltklimakonferenz. Mit vier Promille mehr organischem Material in allen Agrarböden jedes Jahr könnten die globalen menschgemachten Treibhausgase ausgeglichen werden. Umstritten ist jedoch, wie messbar Humusaufbau ist und wie sinnvoll Zertifikate für Carbon Farming sind.
Bauer Bösel will zeigen, dass regenerative Landwirtschaft keine Ökospinnerei ist, sondern sich durchaus rentiert – nicht nur für das Klima. Die Investitionskosten für drei Hektar Agroforst betrugen 60.000 Euro. Nach fünf Jahren sind 60.000 Euro jährliche Erlöse zu erwarten, nach zehn Jahren bis zu 120.000 Euro, rechnet der ehemalige Investmentbanker vor und deutet auf das Roggenfeld nebenan. „Mit unserem klassischen Öko-Ackerbau könnten wir auf gleicher Fläche nur 2700 Euro erlösen.“
Bösel hat aus der ganzen Welt Wissen für klimafreundliche Böden in autarker Kreislaufwirtschaft gesammelt. „Die Methoden sind uralt. Egal in welcher Klimazone, das A und O ist eine hohe Biodiversität und ein ganzjähriger Bewuchs“, sagt er. Von allen Flächen hat er einen digitalen Zwilling angelegt. Per Drohne und GPS dokumentiert sein Team das Wachstum jeder Pflanze. Mithilfe einer eigenen Stiftung will Bösel das Wissen später teilen.
Der Weltklimarat betrachtet vor allem die Reduktion der globalen Ackerflächen als Lösung für das Klimaproblem der Landwirtschaft. Viele Wissenschaftler sehen dazu in weniger Tierhaltung den Schlüssel. Schließlich landen 59 Prozent der weltweiten Maisernte, 57 Prozent der Ölsaaten wie Raps und Soja und 20 Prozent des Weizens in den Mägen von Tieren, so Daten des Fleischatlas der Böll-Stiftung.
Dabei gehen über den Umweg Tier viele Kalorien verloren. Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien beträgt 3:1 bei Schweinen, Milch und Eiern und 7:1 bei Rindern, ermittelte die Welternährungsorganisation FAO.
„Umstellungen im Ernährungsverhalten sind eine wichtige Stellschraube, um die negativen Umwelt- und Klimaeffekte der Landwirtschaft zu reduzieren. Vor allen eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums spielt hier eine wichtige Rolle“, betont Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie der Universität Bonn.
Laut einer internationalen Expertenkommission könnten zehn Milliarden Menschen gesund ernährt werden, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten. Dafür müsste sich aber der Konsum von Fleisch und Zucker halbieren und der von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen verdoppeln.
Öko-Bauer Bösel indes integriert Tiere bewusst in seinen nachhaltigen Agrarkreislauf: „Kühe gelten als Klimakiller. Sie sind aber ein Schlüssel zum Humusaufbau gegen den Klimawandel. It’s not the cow, it’s the how“, sagt er. Seine Herde aus 150 Angus- und Salers-Rindern steht das ganze Jahr draußen. Im Winter fressen sie die Untersaat der Felder, auf denen Wintergetreide geerntet ist.
Derzeit grasen sie auf Ackerflächen Gräser und Klee. „Viermal am Tag wechseln sie die Rotationsweide“, erklärt Bösel. Die Hufe lockern den Boden, das Grasen regt die Wurzeln zum Wachsen an. So wird mehr Kohlenstoff und Wasser gebunden. Die Kuhfladen düngen den Boden und impfen ihn mit wichtigen Mikroben. Eine Studie der Universität Michigan zeigte: Emissionen von Rindern auf Rotationsweiden sind 66 Prozent niedriger als in Stallhaltung. Allerdings benötigen die Tiere die 2,5-fache Fläche.
Auch in Stallhaltung lässt sich der schädliche Methanausstoß von Kühen mindern. Die dänische Molkereigenossenschaft Arla testet an 10.000 Milchkühen in Deutschland, Dänemark und Schweden derzeit den Futterzusatz Bovaer des niederländischen Konzerns DSM. Dieser hemmt ein Enzym im Verdauungstrakt. Ein Viertel Teelöffel am Tag soll reichen, um die Methanmenge um 30 Prozent zu senken.
Wissenschaftler sehen viel Klimaschutzpotenzial allein durch effizientere Anbaumethoden – vor allem in der Subsahara, Indien und Teilen Lateinamerikas. Auf nur der Hälfte der globalen Ackerfläche könne durch gezielteren Einsatz von Dünger und optimierte Aussaattermine und Schädlings- und Krankheitsbekämpfung derselbe Ertrag erzielt werden. Das errechneten Forschende der Universitäten LMU München, Basel und Hohenheim für 15 Anbaupflanzen. Durch Renaturierung der Äcker ergebe sich ein zusätzlicher Kohlenstoffspeicher zwischen 114 und 151 Gigatonnen CO2.
Die Agrarindustrie will das Klima mit neuen Pflanzenzüchtungen schonen. Bayer etwa hat eine klimarobuste Maisart konventionell gezüchtet. Vitala-Mais ist kleiner und widerstandsfähiger gegen Wind. Da der Mais tiefer wurzelt, verträgt er Dürren besser. Tests in Mexiko zeigen, dass Vitala-Mais bis zu 30 Prozent weniger Anbaufläche benötigt.
Auch Agrokraftstoffe gelten bisher als Beitrag zum Klimaschutz. Allein für deutschen Biosprit werden mehr als 1,2 Millionen Hektar weltweit mit Raps oder Getreide bepflanzt. „Würde man diese Flächen der Natur überlassen, anstatt intensive Landwirtschaft zu betreiben, wäre dem Klimaschutz deutlich mehr gedient als durch den Ersatz von fossilem Sprit“, sagt jedoch Horst Fehrenbach vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung.
Statt Monokulturen könnte sich dort natürliche Vegetation entwickeln, die große Mengen CO2 bindet. Pro Jahr könnten 16,4 Millionen Tonnen CO2 absorbiert werden. Das sind 7,2 Millionen Tonnen mehr als Agrokraftstoffe in Deutschland laut amtlichen Angaben 2020 einsparten.
Ein wichtiger Hebel gegen klimaschädliche Agrar-Emissionen wird oft übersehen: der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. Knapp ein Drittel aller Nahrungsmittel endet auf dem Müll, schätzt die FAO. Das verursacht etwa 3600 Millionen Tonnen CO2. Die Hälfte der Abfälle entsteht bei den Verbrauchern. Allein in Deutschland wären 10 von 18 Millionen Tonnen Müll schon heute vermeidbar, meint die Naturschutzorganisation WWF.
2,6 Millionen Hektar würden „umsonst“ bewirtschaftet, eine Fläche von Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland zusammen. Würde diese Agrarfläche renaturiert, ließen sich 48 Millionen Tonnen Treibhausgas im Jahr einsparen. Es sind also nicht nur Erzeuger, die Emissionen in der Landwirtschaft senken können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen