Mittwoch, 15. November 2023

Milliarden für Autobahnen, Sparkurs fürs Fahrrad

Gerade kam die Eilnachricht dass das Bundesverfassungsgericht gegen die Umwidmung der Corona-Milliarden entschieden hat. Bewahrt uns das vor weiteren Autobahn-Bauten? Wahrscheinlich eher nicht, fürchte ich.

Manager Magazin hier Von Lutz Reiche 15.11.2023

Der Verkehrshaushalt soll bis Monatsende stehen – und sorgt weiter für Streit. Solange das Auto Vorrang genieße, könne die Verkehrswende nicht gelingen, sagen Kritiker. Ein Überblick über Fördersummen und Sparvorgaben.

Feilschen um Milliarden: In der Frage der Bedeutung des Autos für die Mobilität in Deutschland liegen Verkehrsminister Volker Wissing und Finanzminister Christian Lindner nicht weit auseinander.

Der Verteilungskampf um Steuermilliarden geht in dieser Woche in die entscheidende Phase: Am Donnerstag wird der Haushaltsausschuss in seiner "Bereinigungssitzung" erneut über die strittigen Punkte diskutieren. Nach viertägigen Beratungen im Bundestag wird dann, so der Plan, am 1. Dezember über den Bundeshaushalt 2024 abgestimmt. Zu den umstrittensten Einzelposten gehört der Verkehrsetat: Wie viel Geld soll in Straßen, Schienen, Rad- und Fußwege sowie den öffentlichen Nahverkehr fließen?

Die Gewichtung der staatlichen Gelder und der Fördermix sind entscheidend für die angestrebte Verkehrswende und das Erreichen der Klimaschutzziele in Deutschland. Dass dort Handlungsbedarf besteht, ist unstrittig. Deutschland werde sein Klimaziel 2030 nicht erreichen, urteilte Ende August der Expertenrat der Bundesregierung. Selbst unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung ersonnenen 130 Maßnahmen zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes werde es nicht gelingen, hieß es in der 72-seitigen Stellungnahme . Und ein besonders schlechtes Zeugnis stellten die Experten dem Verkehrssektor aus, dessen Anteil an klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland laut Bundesumweltamt mittlerweile ein Fünftel beträgt . Selbst im optimistischen Szenario des Berichts wird der Verkehrssektor sein Klimaziel deutlich um 187 Millionen Tonnen (kumuliert bis 2030) CO2-Äquivalent verfehlen.

Diese Sektorziele sollen künftig sogar noch gelockert werden. Eine umstrittene Novelle des Klimaschutzgesetzes  soll die Verantwortung der einzelnen Sektoren, ihr Einzelziel zu erfüllen, künftig aufheben. Überzieht etwa der Verkehrssektor rechnerisch sein jährliches Emissionsbudget, sollen es andere Sektoren wie Energie- oder Landwirtschaft ausgleichen können. Auch die Pflicht, mit einem Sofortprogramm gegenzusteuern, soll entfallen. Sachverständige haben bei einer Anhörung  des Klimaschutz- und Energie-Ausschusses des Bundestages vor wenigen Tagen die Novelle daher scharf kritisiert. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft etwa sprach sich wie die Umweltorganisation German Watch klar gegen eine Aufweichung der Sektorziele aus. Eine fehlende Strategie im Verkehrs- und Gebäudebereich, die schon in der Vergangenheit ihre Ziele nicht erreicht hatten, wäre "grob fahrlässig", so German Watch.

Den Verdacht, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (53, FDP) werde sich eher auf die Reduktionsbemühungen der anderen Ressorts verlassen, weisen Regierung und Ministerium zurück. Am Streit über den neuen Verkehrsetat lassen sich die Prioritäten jetzt festmachen.

Wissing hat von den insgesamt geplanten 446 Milliarden Euro Gesamtausgaben im Haushaltsentwurf traditionell den größten Block für Investitionen von allen Ministerien. Zwar musste auch er im Vergleich zum Vorjahr kürzen. Dank der Milliardeneinnahmen der ab 2024 geltenden neuen Lkw-Maut, die Speditionen und Unternehmen zum Umstieg auf emissionsfreie Schwerlaster und Transporter bewegen soll, soll der Etat des Ministeriums aber auf 38,7 Milliarden Euro steigen. Das wären gut drei Milliarden Euro mehr als 2023.

Radverkehr: Investitionen bis 2024 fast halbiert

Wer Mobilitätsexperten oder Vertretern der Fahrradlobby zuhört, gewinnt jedoch den Eindruck, dass es an Abstimmung und auch an Aufbruchstimmung fehlt. Viel Geld fließe in Projekte zugunsten des Autoverkehrs, während für Projekte zur klimafreundlichen Mobilität an anderer Stelle die Mittel gekürzt werden. Die Koalition räumt zum Beispiel im Zuge neuer Verkehrsgesetze rund 138 Autobahnprojekten wegen eines "überragenden öffentlichen Interesse" den Vorrang ein.

Tatsächlich will Bundesfinanzminister Christian Lindner (44, FDP) in Abstimmung mit seinem Ressort- und Parteikollegen Wissing die Mittel zum Ausbau des Radverkehrs für 2024 weiter auf 400 Millionen Euro zusammenstreichen, im Jahr 2022 waren es noch 750 Millionen Euro. "Das ist das Gegenteil der vom Finanzministerium angekündigten zukunftsorientierten Finanzpolitik für ein modernes Verkehrssystem", kritisiert Wasilis von Rauch, Geschäftsführer "Zukunft Fahrrad". Die Ampel erreiche ihre Klimaziele nicht, halbiere aber die Förderung für das klimafreundlichste Verkehrsmittel – ein "Hammer", schimpft auch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub" (ADFC) und fordert die Bundestagsmitglieder dazu auf, die "falschen Prioritäten im Verkehrshaushalt" bei der geplanten Abstimmung am 1. Dezember nicht durchgehen zu lassen.

Der ökologische Verkehrsclub Deutschland argumentiert in die gleiche Richtung. Um das im Nationalen Radverkehrsplan  festgeschriebene Ziel zu erreichen, die in Deutschland gefahrenen Rad-Kilometer bis 2030 zu verdoppeln, sei jährlich mindestens eine Milliarde Euro nötig. Diese Summe forderten bereits die Verkehrsminister der Länder ein, wenn Deutschland wie angekündigt bis 2030 zum "Fahrradland" werden soll.

Weitere Förderung für Lastenräder unsicher

Die geplanten Investitionen bleiben zaghaft. Um zum Beispiel die Innenstädte vom herkömmlichen Lieferverkehr zu entlasten, fördert die Regierung den Kauf von elektrischen Lastenfahrrädern in Industrie, Handel, Gewerbe und Kommunen. Der Bund gibt bis zu 2500 Euro hinzu, bis Mitte November hat das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle rund 4,8 Millionen Euro für etwa 3320 elektrische Lastenfahrräder und Lastenanhänger ausgezahlt. Das Programm läuft bis Ende Februar 2024.

Im Sommer erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage des manager magazins, das Förderprogramm werde über dieses Datum hinaus fortgesetzt. Das ist jetzt offenbar nicht mehr sicher. Auf erneute Anfrage sprach das Ministerium nun von einer "möglichen Fortführung der Förderung von E-Lastenrädern im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative".

Auto statt Bahn: Deutschland noch weit abgeschlagen

Die größten Posten im Etat sind vorgesehen für den Bau und Betrieb der Bundesfernstraßen (rund 12,8 Milliarden Euro) – und zur Sanierung des maroden Schienennetzes der Deutschen Bahn (rund 16 Milliarden Euro inklusive möglicher vier Milliarden aus dem Klimafonds ). Bahnchef Richard Lutz (59), der etwa einmal pro Woche mit Minister Wissing Kontakt hat , bekommt deutlich mehr als in den Vorjahren und soll ein Projekt angehen, das beide "Generalsanierung" nennen.

Dass versäumte Investitionen in die Schiene nötig sind, bestreitet niemand. Deutschland lag zwischen 1995 und 2018 bei den Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur auf Rang zwölf in Europa, zeigte eine im Herbst vorgestellte Studie  vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie im Auftrag von Greenpeace. In das Straßennetz investierte der Staat kumuliert in der Phase etwa doppelt so viel Geld (278 Milliarden Euro) wie in die Schiene (132 Milliarden Euro). Das Verhältnis verbesserte sich zwischen 2018 und 2021 nur geringfügig zugunsten der Schiene – während andere Staaten wie Italien, Frankreich oder Großbritannien ihre Prioritäten umgekehrt setzten und mehr in die Schiene steckten.

Auch absolut gesehen hängt Deutschland zurück. Nach Angaben der "Allianz pro Schiene"  für das vergangene Jahr liegen die Pro-Kopf-Investitionen mit 114 Euro immer noch weit abgeschlagen hinter Luxemburg (575 Euro), Schweiz (450) oder auch Tschechien (171). "Die täglichen Meldungen von verspäteten Zügen und ganzen Ausfällen sind dabei nur die Übersetzung dieser mangelnden Investitionen", sagt der Mobilitätsexperte und Zukunftsforscher Stefan Carsten.

Kostenlose Busse und Bahnen als Hebel für die Verkehrswende

Carsten wünscht sich noch deutlich mehr für den öffentlichen Nahverkehr. "Die Einführung eines kostenfreien ÖPNVs für alle Bürgerinnen und Bürger würde den Staat zwischen 12 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr kosten", rechnet er vor. Die kleinen EU-Staaten Malta und Luxemburg , die oft für ihren landesweiten, kostenlosen Nahverkehr hervorgehoben werden, haben auf lokaler oder regionaler Ebene bereits Nachahmer gefunden. Auch in Deutschland experimentieren bereits eine Handvoll Städte mit einem – wenn auch unterschiedlich begrenzten – Gratis-Nahverkehrsangebot; in Erlangen etwa startet ab 1. Januar ein dreijähriger Modellversuch.

Hoch umstritten: Fahrrad- und Umweltverbände kritisieren die bereits im März veröffentlichte langfristige Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministers. Sie zementiere die Vorrangstellung des Autos und unterschätze unter anderem massiv die Rolle des Fahrrads an der Mobilitätswende.

Die Auswertung der Experimente und damit die Frage, ob die Angebote tatsächlich zu weniger Autoverkehr in der Stadt beitragen, steht noch aus, berichtet der "Tagesspiegel" . Gratis-Nahverkehr an sich, das steht aber schon fest, ist dabei kein Erfolgsgarant für eine Verkehrswende: In der estnischen Hauptstadt Tallin, wo der ÖPNV seit gut einem Jahrzehnt kostenlos ist, stieg in den vergangenen Jahren der Anteil der Pendler mit dem Auto sogar .

"Das heutige Verkehrssystem rechnet sich in keiner Weise"

In Deutschland können Bürgerinnen und Bürger immerhin für 49 Euro monatlich mit Regional- und S-Bahn sowie Bus unterwegs sein. Bund und Länder fördern das Deutschlandticket insgesamt mit rund drei Milliarden Euro, die weitere Finanzierung über das kommende Frühjahr hinaus ist allerdings noch offen. Gut möglich also, dass das Ticket teurer wird.

Den erhofften Impuls auf die Klimaziele hat das Instrument allerdings nicht. Gemessen an der tatsächlichen CO2-Ersparnis gilt es Kritikern bereits heute als viel zu teuer erkauft. Ein echter CO2-Killer und signifikanter Beitrag zur Verkehrswende könnte das Ticket nur dann werden, wenn es den Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn erzwinge. So sind die staatlichen Milliarden nicht effizient eingesetzt. 

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