Freitag, 17. November 2023

Warum beim Klimawandel nicht „die Anderen“ schuld sind

 Focus hier  Gastautorin Dr. Kiri Trier  Freitag, 17.11.2023

Globale Probleme müssen global gelöst werden? Der „rote Hering“ in Nachhaltigkeitsdebatten schlechthin. Ein Argument, das den wichtigen Diskussionen zur nachhaltigen Transformation ein Ende setzt. Und ein Argument, das schlichtweg falsch ist. 

Denn global – das sind wir alle. Gleichermaßen Teil des Problems und Teil der Lösung.

„Globale Probleme müssen global gelöst werden!“ Das habe ich in meinem Job als Beraterin immer wieder gehört, gerade auch im Top Management. Ein verlässliches K.O.-Argument, um wichtige Debatten und Diskussionen zu beenden, bevor sie richtig gestartet sind. Dabei liegt eine Wahrheit auf der Hand – im Kampf um die Gesundheit dieses Planeten, die direkt mit unserer eigenen Gesundheit zusammenhängt, im Versuch die Klimakrise zu bewältigen und wertvolle Ressourcen zu schützen, gibt es „Die Anderen“ nicht – es gibt nur ein WIR.

Anstatt darauf zu warten, dass es ein anderer richtet, sollten Ende 2023 alle Nachhaltigkeitsinitiativen signifikant verschärft sein – und zwar nicht nur auf Ebene der Politik oder der Unternehmen, sondern auf jeder einzelnen Ebene, bis hin zu jedem einzelnen Menschen.
Dabei, und das möchte ich explizit betonen, geht es mir nicht darum, die Verantwortung auf die Schultern von Einzelnen zu laden. Es geht mir viel mehr darum, deutlich zu machen, dass wir alle gleichermaßen Teil des Problems und der Lösung sind. 

Expertin: Warum beim Klimawandel nicht „die Anderen“ schuld sind

Nehmen wir das viel gescholtene Beispiel des individuellen CO2-Fußabdrucks, der von einem Mineralölkonzern eingeführt wurde. Kritiker:innen verwehren ihm die Gültigkeit, denn er wäre ein Sinnbild des Greenwashings, das Konsument:innen in die Pflicht nimmt und Unternehmen von ihrer Verantwortung freispricht. Ich finde – bei aller berechtigten Kritik – ganz so einfach ist es nicht. Wenn wir bei dem Beispiel fossile Treibstoffe bleiben, muss die Frage doch lauten: Ist die Methodik des individuellen CO2-Fußabdrucks wirklich falsch?

Fakt ist: Durch Verkehr verursachte CO2-Emissionen sind in Deutschland in den letzten beiden Jahren gestiegen. Und diesen Sachverhalt dürfen wir weder hinnehmen noch abstrahieren, denn wir Menschen fahren diese Autos. Wenn ich morgens aufstehe und es regnet und ich bin spät dran, dann ist es eine sehr individuelle Entscheidung, ob ich lieber den Autoschlüssel für meinen Verbrenner vom Haken nehme, anstatt den Regenschirm, um zum Bus zu laufen. 

In dem Moment, wo ich auf der Stadtautobahn mit hunderten anderen Autos im Stau Richtung Innenstadt stehe, muss mir aber klar werden, dass ich eben nicht nur eine:r bin, sondern eine:r von Vielen. Mit meiner Autofahrt trage ich also dazu bei, dass unter anderem klimaschädliches CO2 ausgestoßen wird und die Emissionen im Verkehrssektor steigen. Das ist individuell betrachtet natürlich eine minimale Menge – aber ich fahre nun mal nicht als Einzige:r mit dem PKW durch die Gegend. Und in dieser kleinen Erkenntnis, im Anerkennen des Faktes, dass ich mit meinem Handeln zu etwas Klima- oder Umweltschädlichem beitrage, liegt auch gleichzeitig die Möglichkeit, Lösungen zu finden, um das Gegenteil zu erreichen – und besser zu handeln.

Schnitzel, Autofahren oder Vollbald: Jede Alltagsentscheidung kann auf Klimaschutz einzahlen

Selbstwirksamkeit ist in meinen Augen der Schlüssel –
und deswegen meine persönliche Mission.
Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen bewältigen zu können,
ist ein – in meinen Augen – völlig unterschätzter Erfolgsfaktor
für die Nachhaltigkeitstransformation,
die wir gesamtgesellschaftlich durchlaufen müssen. 

Denn, ja, natürlich wirken die aktuellen Herausforderungen massiv. Für den Einzelnen nahezu unlösbar. Seit Jahren diskutieren wir schon über CO2-Emissionen und die Notwendigkeit der Reduktion bis zur Netto-Null. Doch statt Erfolgen lesen wir in den Schlagzeilen über zu langsam sinkende, teils sogar steigende Werte. 

Wir lesen Hiobsbotschaften darüber, dass die 1,5°-Grad Schwelle deutlich schneller überschritten werden könnte als angenommen, dass unumkehrbare Kipppunkte jederzeit erreicht sein können und Negativ-Rekord nach Negativ-Rekord bei Hitzewellen, Dürren, Waldbränden und Extremwetter gebrochen wird. Die Nachrichtenlage macht uns nicht gerade zu Protagonisten. Anstatt unsere Zukunft aktiv zu gestalten, fühlen wir uns angesichts der Nachrichtenlage nahezu so, als wären wir unfähig, einen Unterschied zu machen. Die Herausforderungen erscheinen zu groß, um als Individuum etwas bewirken zu können – das frustriert und führt zu Trotz und Ignoranz und beides nährt ein Handeln, das wir uns schon lange nicht mehr leisten können.

Dieses Verhalten ist in erster Linie menschlich. Wir sind mit unserem eigenen Alltag beschäftigt, manchmal sogar überfordert. Je nach Lebenssituation balancieren wir Ausbildung, Job, Care-Arbeit, all das garniert mit Stapelkrisen. Zuallererst müssen wir hier jeden Tag alle möglichen Herausforderungen lösen. Dagegen wirken Klimakrise und schwindende Ressourcen fast schon übermächtig. Auch deswegen ist es mir so wichtig, dass wir Selbstwirksamkeit als Methode entdecken. 

Denn Fakt ist: Jede Alltagsentscheidung, ob Autofahrt, XXL-Schnitzel oder Vollbad, kann auch eine Entscheidung für Klima, Umwelt oder eine gerechte Gesellschaft sein. Klimakrise ist nicht da draußen irgendwo – sie ist menschengemacht. Sie wird auch dadurch genährt, dass wir mit unseren Entscheidungen zu ihr beitragen. Entscheidungen, von denen wir eigentlich wissen, dass sie nicht gut sind, dass sie dem Klima nicht zuträglich sind, der Umwelt schaden oder aber irgendwo am anderen Ende der Lieferkette menschliches Leid verursachen. 

Warum wir alle etwas verändern können - und nicht machtlos sind

Das Wissen darum, dass jeder kleine Schritt zählt, dass jede Entscheidung in unserem Alltag Auswirkungen hat, ebnet uns den Weg zu Zusammenarbeit basierend auf dem Verständnis der geteilten Verantwortung. Auch dieses Konzept ist in meinen Augen unterschätzt, weil wir zu beschäftigt damit sind, die Verantwortung irgendwo zu verorten, nur nicht bei uns.

Was ich genau damit meine, versuche ich gerne an einem Beispiel deutlich zu machen. Ich habe selbst erst vor Kurzem die Teams gewechselt und arbeitet nun für L’Oréal. Das Unternehmen unterzieht seit Jahren alle seine Produkte einer kompletten Lebenszyklus-Analyse. Durch einen solchen Ansatz bekommt man ein genaues Verständnis davon, wo der Hebel ist, mit dem man Produkte mit Blick auf ihren Umweltfußabdruck verbessern kann oder sie gar ersetzt.

Fakt ist aber, dass unsere Möglichkeit der Einflussnahme als Hersteller an einer bestimmten Stelle in der Lieferkette endet. Wir stehen am Ende nicht mit unseren Kund:innen im Bad und raten zu Dusche statt Vollbad oder drehen das Wasser ab oder kälter. Hier müssen wir als Konsument:innen die Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Und damit sind wir wieder bei den kleinen Schritten: Ich kann mit einer Dusche 36 Liter warmes Wasser oder 120 Liter warmes Wasser verbrauchen – je nachdem, ob ich 3 oder 10 Minuten unter einem konventionellen Duschkopf stehe. Und das ist letztlich geteilte Verantwortung: Entlang der Lieferkette ist sich jede:r darüber im Klaren, dass er oder sie mit dem eigenen Handeln einen Teil der Verantwortung trägt. Damit weiß auch automatisch jede:r, wo seine oder ihre Hebel zur Veränderung sind – und nutzt das im Bestfall auch.

Am Ende ist es doch so: Wir sind eben NICHT machtlos. Wenn wir erkennen, dass jede:r von uns handeln kann – jeden Tag, mit jeder Entscheidung, im Rahmen seiner Möglichkeiten – dann haben wir als Menschen wieder das Zepter in der Hand. Dann empfinden wir uns wieder als handlungsfähig und gewinnen Zuversicht. Und aus Zuversicht wächst Mut. Und daraus wird bekanntlich Zukunft gemacht.

Über die Expertin

Dr. Kiri Trier, Sustainability General Manager bei L'Oréal (im deutschsprachigen Raum) leitet die Nachhaltigkeitstransformation des Kosmetikunternehmens. Vorher hat die Nachhaltigkeitsexpertin bei Capgemini Invent Unternehmen bei dieser Transformation beraten und fungiert außerdem als Dozentin für Nachhaltigkeitsmanagement an der Universität St. Gallen. 

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