SPIEGEL-Klimabericht hier Susanne Götze 24.05.2024
Klimawandel tötet und jemand muss dafür bestraft werden. Das fordern Umweltschützer und verklagen die Chefetage des Ölkonzerns Total. Die CEOs verweisen auf eine steigende Nachfrage und »das wirkliche Leben«.Öl- und Gaskonzerne sind gut im Geschäft. Über 100 Milliarden Dollar schütteten die »Big Five« Exxon, Chevron, Shell, BP und Total jeweils im Jahr 2022 und 2023 an ihre Anteilseigner aus. 100 Milliarden Dollar sind genau so viel, wie Industriestaaten pro Jahr an Klimahilfen für ärmere Länder zahlen müssen.
Dabei gingen die Gewinne der Konzerne nach den vergangenen Rekordjahren zuletzt zurück. Dennoch wurden Investoren weiterhin mit hohen Dividenden und milliardenschweren Aktienrückkäufen belohnt, zeigen Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters. Die Zahlen sprechen für sich: 2022 wurden bei einem Gewinn von 196 Milliarden immerhin 111 Milliarden weitergereicht. 2023 waren es bei »nur« 123 Milliarden Gewinn dann sogar 112 Milliarden.
Dahinter steckt wohl Kalkül: Die Ölkonzerne versuchen, ihre Investoren bei Laune zu halten.
Der Eindruck, fossile Geschäfte seien ein Auslaufmodell, soll mit den Milliardengeschenken verhindert werden.
Zwar läuft das Geschäft mit Öl und Gas weiterhin gut, doch die Presse ist schlecht und die vorsichtigen Andeutungen etwa auf Uno-Klimakonferenzen zum perspektivischen Ausstieg aus den klimaschädlichen Rohstoffen dürften Anleger zum Nachdenken bringen.
Deshalb buhlen die Ölkonzerne etwa um die Gunst großer Pensionsfonds, schreibt unser Kollege Kai Lange im manager magazin. »Profit steht dabei vor Purpose, das als Dividende ausgezahlte Geld wiegt offenbar schwerer als der Umbau des Geschäftsmodells.« Die Strategie der Ölbosse: Stabilität vorschützen und in turbulenten Zeiten sogar steigende Renditen versprechen.
Anlässlich der Hauptversammlung von TotalEnergies an diesem Freitag zeigen neue Zahlen der Umweltorganisation Urgewald, dass der Ölriese genauso weitermachen will:
Bis 2028 hat der Konzern demnach vor, jedes Jahr zwei bis drei Prozent mehr Öl und Gas zu fördern. Rund eine Milliarde Dollar (!) gibt er zudem jedes Jahr aus, um nach neuen Öl- und Gasfeldern zu suchen. In insgesamt 53 Ländern plant Total derzeit eine Ausweitung der Produktion. Und trotz anderslautender PR wird auch 2030 immer noch 85 Prozent des Geschäftsmodells aus der Förderung fossiler Rohstoffe bestehen.
Fahrlässige Tötung?
Während das Unternehmen seine weitere Expansion plant, gab es zu Beginn des Jahres Meldungen, dass 2023 das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war, mit einer globalen Temperatur von beinahe 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau.
Dass diese Erwärmung auf die Verbrennung von fossilen Rohstoffen zurückgeht, bestreiten nicht mal mehr die Öl- und Gaskonzerne selbst. Sie haben lange den Klimawandel geleugnet oder die Fakten verschwiegen, mittlerweile ist die Klimakrise aber so weit fortgeschritten, dass das zwecklos ist. Jedes Jahr sterben bereits Zehntausende an den Folgen der Erwärmung. Laut einem Bericht der Weltorganisation für Meteorologie WMO wurden in den Sommern 2003, 2010 und 2022 jeweils zwischen 55.000 und 72.000 Menschen Opfer von Hitzewellen.
Milliardengewinne auf der einen – Tote, Verletzte und Obdachlose durch Hitzewellen und Überschwemmungen auf der anderen Seite. Da liegt die Idee nahe, nach Schuldigen zu suchen.
Genau das haben nun Umweltorganisationen mit einer neuen Klimaklage gegen TotalEnergies getan: In Paris beschuldigten sie den Konzern der fahrlässigen Tötung. »Die Manager und Aktionäre von TotalEnergies wissen, dass der Klimawandel tötet, aber sie haben die zynische Entscheidung getroffen, die Öl- und Gasproduktion aus einem einzigen Grund zu steigern: um möglichst hohe Gewinne zu machen«, erklärten die Kläger am Dienstag. Das Unternehmen ist nach ihrer Einschätzung für etwa ein Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.
»TotalEnergies ist sich der Auswirkungen seiner Aktivitäten seit mindestens 1971 bewusst«, hieß es weiter. Das Unternehmen habe dennoch eine »klimaskeptische Linie« verfolgt, um seine Investitionen in fossile Energieträger zu schützen. Obwohl die Internationale Energieagentur empfohlen hat, ab 2021 alle Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe einzustellen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, habe TotalEnergies weiterhin Öl- und Gasfelder rund um den Globus erschlossen, so die Kläger.
Die Klage wird von acht mutmaßlichen Opfern des Klimawandels unter anderem aus Pakistan, Griechenland und den Philippinen unterstützt. Auch der 17 Jahre alte Belgier Benjamin B. zählt zu den Klägern. Seine damals 15 Jahre alte Freundin Rosa war 2021 bei einer Überschwemmung vor seinen Augen ums Leben gekommen.
Im Fokus der Vorwürfe steht das Management von TotalEnergies, darunter Unternehmenschef Patrick Pouyanné, aber auch die Aktionäre wie die US-Investmentgesellschaft BlackRock und die norwegische Norges Bank. Pouyanné hatte im vergangenen August erklärt: »Ich bin entschlossen, meine Öl- und Gasinvestitionen fortzusetzen, weil die Nachfrage steigt. Ich respektiere die Meinung von Wissenschaftlern, aber es gibt das wirkliche Leben«.
Nicht ertrunkene oder vom Hitzeschlag getroffene Menschen, sondern Milliardenausschüttungen für Anleger sind für den CEO anscheinend das »wirkliche Leben«.
Das Gericht hat nun drei Monate Zeit, um zu entscheiden, ob Ermittlungen aufgenommen werden, die in einen Prozess münden könnten. Auch hier dürfte es wieder darum gehen, ob einzelne Unternehmen oder Personen für Klimafolgen verantwortlich gemacht werden können. Eine juristische Frage, die noch nie klar beantwortet wurde. Eine ähnliche Klage gegen den deutschen Konzern RWE ist schon seit Jahren anhängig.
Die »wirkliche Welt« der Ölbosse
Einen Eindruck von der angeblich »wirklichen Welt« der Öl- und Gaskonzerne vermittelte vergangenen Oktober eine Tagung im InterContinental Hotel in London-Westminster. Dort tagten die Öl- und Gasmagnaten. Viele Manager kamen am ersten Tag aber gar nicht in das Hotel, weil Greta Thunberg zusammen mit Dutzenden Klimaaktivisten das Gebäude umstellte.
Das »Energy Intelligence Forum« ist eines der größten Treffen der fossilen Branche. Zwischen Häppchen und plüschigen Teppichen versicherten sich die CEOs der großen Unternehmen auf dem Treffen, dass die Klimakrise und ihre Interessen keineswegs im Widerspruch stünden. In ihrer Logik folgen sie nur der steigenden Nachfrage und bereiten sich (angeblich) auf das Zeitalter der Klimaneutralität vor.
»Es geht darum, die Emissionen von Kohlenwasserstoffen zu reduzieren, statt deren Produktion runterzufahren«, erklärte etwa Amin Nasser, Chef des Ölgiganten Saudi Aramco, damals. Das Rohöl und die Emissionen seiner Verbrennung sind laut dem Ölboss demnach zwei Paar Schuhe. Mit Technologien wie der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie »mehr Effizienz« ließe sich der CO₂-Ausstoß von Erdöl und Erdgas senken, so das neue Narrativ der Branche.
Auch TotalEnergies-Chef Patrick Pouyanné war da. Er schwärmte etwa von neuen Förderplänen in Namibia: »Es ist toll, dass wir im 21. Jahrhundert noch so ein ergiebiges Ölfeld entdecken und ausbeuten können.« Zwar gehört es mittlerweile zum guten Ton, dass auch Leute wie Pouyanné von der Energiewende sprechen, dennoch betonte er: »Wir werden noch sehr lange Öl und Gas brauchen.« Die »wirkliche Welt« der Ölbosse ist eine ganz eigene Matrix.
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