Mittwoch, 8. Mai 2024

Klimawandel als Gefahr für Streuobstwiesen: Wie kann der Anbau erhalten bleiben?

 SWR hier  4.5.2024  Sabine Schütze, SWR Redaktion Umwelt und Ernährung

Obstanbau in BW: Wie können Streuobstwiesen "klimafest" gemacht werden?


Jedes Jahr gibt es weniger hochwüchsige Obstbäume in Baden-Württemberg. Damit wir auch zukünftig noch leckeren Fruchtsaft aus Streuobst trinken können, braucht es neue Strategien.

Unser Klima verändert sich so schnell, dass ältere, hochwüchsige Obstbäume sich nicht schnell genug anpassen können. Dabei ist es wichtig, Streuobstbestände zu erhalten. Sie wachsen auf artenreichen Flächen und sind seit drei Jahren sogar Immaterielles Kulturerbe.

In Baden-Württemberg wachsen europaweit die meisten Streuobstbäume - und zwar rund sieben Millionen. Die bekanntesten Bestände sind neben dem Schwäbischen Streuobstparadies auch das Schwäbische Mostviertel. Bundesweit gibt es etwa 300.000 Hektar Streuobstwiesen, schätzt der Verein Hochstamm Deutschland.

Wie können die hiesigen Streuobstbestände dem Klimawandel trotzen? In Spiegelberg (Rems-Murr-Kreis), im idyllischen Lautertal, befindet sich eine Pilotfläche, wo verschiedene Maßnahmen ausprobiert werden (höre dazu den kleinen Podcast)

Wie unterscheiden sich Streuobst und Plantagen?

Großwüchsige Obstbäume mit einer großen Krone, die auf Feldern, Wiesen und Weiden oder als Alleen stehen, sind Streuobst. Meist sind es in unregelmäßigen Abständen locker stehende Bäume, aber auch Einzelbäume an Wegen und Baumreihen an Straßen zählen dazu.

Streuobst ist die ursprüngliche Art Obst anzubauen. Die Wiesen werden nachhaltig bewirtschaftet. Sie werden sowohl "oben" als auch "unten" genutzt: Unten als Mähwiese oder Viehweide, oben zum Anbau von Früchten.

Streuobstbestände müssen gepflegt werden. Werden Bäume etwa nicht geschnitten, vergreisen sie. Das heißt, die Hochstammbäume werden regelmäßig geschnitten, die Wiese darunter gemäht. Chemischer Pflanzenschutz und Mineraldünger werden in der Regel nicht eingesetzt. Kompost beziehungsweise Mist dagegen schon.

Ganz anders sieht es auf intensiv bewirtschafteten Obstplantagen aus. Die Bäume stehen nah beieinander, in Reih' und Glied. Außerdem sind sie kurzstämmig, weil das Obst dann leichter geerntet werden kann. Es wird regelmäßig gespritzt.

Arten- und Sortenreichtum auf Streuobstwiesen

Die Obstsorten der Bäume sind meist alt und deshalb gut an die regionalen Bedingungen angepasst. Doch unsere Streuobstbestände schwinden stetig. Mit ihnen verschwinden deshalb auch alte, einzigartige Obstsorten mit ihrem jeweilig eigenen Geschmack. Dabei sind bis ins 20. Jahrhundert hinein über den Anbau auf Streuobstwiesen tausende Obstsorten entstanden.

Streuobstwiesen spielen außerdem für die Artenvielfalt eine herausragende Rolle. Bis zu 5.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten leben auf ihnen. Darunter viele bedrohte Arten wie Schmetterlinge, Wildbienen und Vögel. Wildkräuter und Wildblumen wie die Wiesenglockenblume gedeihen hier. Das Fallobst versorgt Wildtiere.

Vereine pflegen die Bestände und das Wissen
Streuobstwiesen werden zwar nicht intensiv bewirtschaftet, können aber auch nicht sich selbst überlassen bleiben. Sie brauchen menschliche Unterstützung. Und die ist zumeist in Vereinen und Initiativen organisiert. So wie beispielsweise im Verein Hochstamm Deutschland. Hier sind Streuobst-Initiativen, Kommunen, Naturschutzverbände und viele engagierte Privatpersonen vereint.

Sie tragen das traditionelle Wissen zur Pflege und Bewirtschaftung weiter: Wie können Streuobstwiesen genutzt werden? Wie kann das Obst weiterverarbeitet werden?

Streuobstbestände unter Druck

Die Wiesen und Alleen mit Streuobstbäumen schrumpfen nicht nur flächenmäßig. Sie sind auch zunehmend auf wenige Baumarten beschränkt. Sie bringen kein Geld. Die Bewirtschafter werden älter und finden seltener junge Menschen, um ihr Wissen weiterzugeben.

Dazu kommt noch, dass die Bäume zwar eigentlich perfekt an die Region angepasst sind. Aber sie können sich nicht schnell genug an die sich verändernden Umweltbedingungen anpassen. Dafür vollzieht sich der Klimawandel zu rasant.  

Die Streuobstbestände kämpfen mit längeren Trockenphasen im Frühjahr und Sommer, müssen im Herbst und Winter dagegen Starkregen standhalten. Die milderen Temperaturen erhöhen den Schädlingsdruck, begünstigen das Pilzwachstum.

Eine Streuobstwiese braucht mindestens zehn Jahre, um sich zu entwickeln. Deshalb ist es höchste Zeit, sie jetzt an die Klimaveränderungen anzupassen.

Windschutzhecken in den Streuobstbestand einziehen

Auf Flächen, die stark dem Wind ausgesetzt sind, können zusätzliche Windschutzhecken helfen. Werden sie im 90-Grad-Winkel zur Hauptwindrichtung gesetzt, verringern sie sowohl die Frost- als auch die Windbruchgefahr, und sie verbessern die Bodenfeuchte.

Streuobstbepflanzung eng anlegen
In vorhandenen Streuobstwiesen stehen die Bäume weit auseinander und werden auch genauso gepflanzt. Eine neue Variante startet mit einer engen Bepflanzung von zwei bis drei Sorten. Die Bäume werden dann reduziert, sobald sich ihre Kronen berühren. Der enge Stand sorgt für ein besseres Mikroklima und für mehr Wurzelsymbionten.

Wurzelsymbionten sind im Boden lebende Pilze. Sie umgeben die feinen Wurzeln der Pflanzen und verbessern deren Wasser- und Nährstoffversorgung, weil sie etwa Mineralstoffe liefern.

Streuobstbestände als Obstwald

Eine noch höhere Pflanzenvielfalt lässt sich mit der mehrstufigen Bepflanzung als sogenannter Obstwald erreichen. Das heißt, dass neben den Bäumen auch Sträucher stehen. Eine passender Bodenbewuchs gehört ebenfalls dazu mit Wildkräutern beispielsweise. Hier ist dann allerdings nur noch eine händische Bewirtschaftung möglich.

Ammenbäume unterstützen das Streuobst

Janet Maringer von der Flächenagentur Baden-Württemberg leitet ein Projekt, das sich klimaresilienten Bewirtschaftungsmöglichkeiten im Streuobstanbau widmet. Auf einer Versuchsfläche in Spiegelberg hat sie mehrere Äpfelbäumchen gepflanzt, die in einem Meter Abstand noch je eine Erle als Amme bekommen haben.

Wenn Sie einen Ammenbaum pflanzen, der Stickstoff fixiert, wie der Erbsenstrauch beispielsweise oder auch die Erle, dann versorgt er den Zielbaum, sprich den Obstbaum mit Stickstoff. Und weil sie dicht beieinander gepflanzt sind, bilden sich außerdem auch die Pilznetzwerke im Boden besser aus. Die sind wichtig für die Kohlenhydratversorgung, für die Wasserversorgung. Das sind einfach Symbiosen zwischen den Bäumen.

Diese Ammenbäume können nach einigen Jahren zurückgeschnitten werden, ihr Holz zum Mulchen verwendet werden. Oder aber die Laubbäume werden zu hohen Bäumen, deren Kronen den Obstbaum bei Extremwetter schützen. Ein Rhabarber um den Baumstamm herum soll helfen, dass der Baum besser wächst.

Kaum noch "wurzelechte Obstbäume"

Normalerweise werden Obstbäume aus der Baumschule geholt, dabei die Wurzeln gekappt, und wieder neu eingepflanzt. Wird aber direkt gesät und vor Ort veredelt, kann der Baum tiefer wurzeln. Denn weil kein Umpflanzen des Schösslings nötig wird, entwickelt sich die Pfahlwurzel tiefer, reicht bis ins Grundwasser.

Eine andere Möglichkeit wäre es, sogenannte wurzelechte Obstbäume zu nutzen und diese direkt zu säen. Die gibt es allerdings kaum noch. Wurzelechte Bäume, müssen nicht veredelt werden, weil deren Wurzel genetisch identisch mit dem Oberteil ist. Solche Sorten waren früher üblich. Janet Maringer von der Flächenagentur Baden-Württemberg versucht mit ihrem Pilotprojekt auch wieder wurzelechte Bäume hinzubekommen.

"Bittenfelder Sämling, Haberts Renette, Schwaikheimer Rambur und Winterprinz, alles veredelte Apfelbäume. Wir haben die Veredelungsstelle nicht wie üblich über dem Boden, sondern 15 Zentimeter unter dem Boden eingegraben. So haben die Bäume die Chance, sich freizumachen von ihrer Unterlage. Unsere Hoffnung ist, dass sie ihre Unterlage irgendwann abstoßen und auf eigenen Wurzeln stehen."
Janet Maringer, Flächenagentur Baden-Württemberg

Sortenvielfalt auf der Streuobstwiese

Streuobstbestände waren schon immer mehr als Äpfel, Birnen und Pflaumen - alles am besten gemischt auf einer Wiese. Früher gehörten in Baden-Württemberg auch Maulbeeren zum Bestand. Doch es gibt derzeit nur wenige alte Exemplare.

Maulbeerbäume lassen sich genauso in Streuobstbestände einbeziehen wie jahrhundertealte Mirabellensorten. Mathias Hertner hat vor knapp zwei Jahren seinen Weinhang bei Nordhausen (Kreis Heilbronn) gerodet und 22 verschiedene Baumarten gepflanzt. In seinem Obstweinberg wachsen seitdem sowohl moderne Arten als auch traditionelle: Pfirsiche neben Indianerbananen, Quitten neben Pekannüssen, Kaki neben Apfelbäumen oder Pflaumen neben Mandeln.

"Wir haben nicht nur moderne Arten, sondern auch eine klassische alte Art, die Mirabelle von Nancy, die um die 500 Jahre alt ist. Da wollen wir eben auch probieren, wie kommt sie hier zurecht. Und wenn Sie sich’s anschauen, die hat jetzt schon gute 20 Zentimeter Trieb gemacht und einige Früchte angesetzt."
Mathias Hertner, Obstweinbergbesitzer

Die Pekannussbäume haben die Spätfröste ausgesprochen gut überstanden und überzeugen mit reichlich hellgrün leuchtenden Blättern. Eine der gepflanzten Feigensorten hat erfreulicherweise ebenfalls keinerlei Frostschäden, dafür etliche fünf Zentimeter kleine Feigen.
Walnussbäume und Esskastanien sind geeignete Kandidaten, weil sie tief wurzeln. Auch die Mandelbäume scheinen sich im Zabergäu wohlzufühlen.

Ein Werkzeugkasten für Streuobstwiesenliebhaber

Quasi nach dem Baukastensystem will Janet Maringer von der Flächenagentur Baden-Württemberg eine Art Katalog zusammenstellen. Je nach Standort werden sich dann die Bewirtschafter die Maßnahmen heraussuchen können, die passend und gut umsetzbar erscheinen.

Der Schwerpunkt im Kampf gegen den Klimawandel liegt übrigens im Boden, so Maringer. Darauf konzentrieren sich die meisten Bemühungen. Seine Wasserrückhaltekapazität ist extrem wichtig. Das gilt nicht nur für Streuobstwiesen, sondern auch für Gärten. Je mehr Bodenlebewesen für eine gute Durchlüftung sorgen, je besser er oberhalb bewachsen und vor Verdunstung geschützt ist, desto stabiler sind die Pflanzen.

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