Also diese Fakten, die muss man sich mal gründlich auf der Zunge zergehen lassen! Das ist wirklich erschütternd!
hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 28.04.2024
Der Autor dieser Kolumne stellte Hunderten gut informierten Menschen Fragen über Energiewirtschaft – die Ausbeute an richtigen Antworten war erschütternd. Machen Sie den Test.
Ich habe in den vergangenen sechs Wochen an große Gruppen von gut informierten Menschen mehrmals die jeweils gleichen drei Fragen gerichtet. Einmal bei einem Podiumsgespräch mit »Taz«-Chefredakteurin Barbara Junge bei der Leipziger Buchmesse , einmal bei einer Buchvorstellung in der Urania Berlin und zuletzt bei einer Konferenz eines Wagniskapitalfonds, der sich auf saubere Technologie konzentriert – also vor Leuten, die selbst viel Geld verwalten und investieren.Alles in allem umfassen diese drei Gruppen etwa 300 bis 400 Leute – Leute, die Zeitung lesen, Buchmessen besuchen, sich für Bücher über Klimapolitik und Desinformation interessieren, internationale Cleantech-Investoren.
Zum Autor
Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
Das ist natürlich keine für irgendetwas repräsentative Gruppe, aber das ist in diesem Fall sogar gut: Man sollte ja meinen, dass diese Menschen, die alle auf die eine oder andere Art an der Klimakrise und ihrer Bekämpfung interessiert sind, mit elementaren Fakten über die ökonomischen Zusammenhänge in diesem Bereich vertraut sind. Sie sind ja gewissermaßen Teil der Klima-Informationselite.
Hier sind die drei Fragen. Versuchen Sie doch einmal, sie im Kopf mit einer groben Schätzung selbst zu beantworten.
- Wie viel Gewinn – nicht Umsatz – in US-Dollar wird seit 1970 im Durchschnitt pro Tag mit Öl und Gas gemacht?
- Wie viele Subventionen flossen laut dem Internationalen Währungsfonds 2022 weltweit in fossile Brennstoffe?
- Wie viel Prozent der 2022 weltweit zugebauten Kapazität zur Erzeugung von Strom war erneuerbar?
Schätzen Sie mal, es geht nur um ungefähre Größenordnungen!
Die richtigen Antworten lauten:
Drei Milliarden Dollar Gewinn pro Tag wurden mit Öl und Gas erzielt, an 365 Tagen im Jahr, seit 50 Jahren (die Zahlen der Studie reichen von 1970 bis 2020). Das meiste davon entfällt auf die letzten 20 Jahre dieses Zeitraums, also die Zeit, in der die menschengemachte Erderwärmung längst als Faktum zu akzeptieren war. Kürzer: 1,03 Billionen Dollar Gewinn – nicht Umsatz! – im Jahr. Mehr als drei Viertel davon aus Öl-, der Rest aus Gasgeschäften. Diese Zahlen stammen aus einer peer-reviewten Fachpublikation , die auf Zahlen der Weltbank basiert.
Laut den Fachleuten des Internationalen Währungsfonds flossen 2022 sieben Billionen US-Dollar an Subventionen in fossile Brennstoffe. Unterteilt ist diese Summe in sogenannte explizite Subventionen, also Steuererleichterungen für fossile Brennstoffe, direkte Förderung mit Steuergeldern und so weiter, und implizite Subventionen, sprich: nicht eingepreiste Schäden durch Verbrennungsprozesse. Die expliziten Subventionen setzten die IWF-Leute mit 1,3 Billionen US-Dollar an. Die Impliziten sind mit 5,7 Billionen vermutlich deutlich unterschätzt, wie die IWF-Autoren selbst einräumen: Die tatsächlich durch CO₂ verursachen Schäden liegen vermutlich eher in der Größenordnung von 30 Billionen US-Dollar pro Jahr, wenn man die Zahlen des Umweltbundesamtes (1 Tonne CO₂=etwa 800 Euro Schaden) zugrundelegt.
80 Prozent der im Jahr 2022 weltweit neu zugebauten Kapazität zur Stromerzeugung war laut Nat Bullard vom Energieforschungsdienst BloombergNEF erneuerbar. Und der erneuerbare Zubau wuchs im Anschluss daran, 2023, noch einmal um 50 Prozent .
Wie viele der Antworten hätten Sie ungefähr richtig geschätzt? Wenn die Antwort »keine«, oder »eine« lauten sollte, ist das keine Schande: Sie sind damit nicht allein. Meine nicht repräsentative Stichprobe von 300 bis 400 an der Energietransformation interessierten Menschen hat ergeben: Weniger als eine Handvoll aus der gesamten Stichprobe kannte alle Antworten. Selbst bei der Frage »Hatten Sie eine der Antworten, richtig?« hoben sich zusammengenommen vielleicht ein bis zwei Dutzend Hände.
Bei den Cleantech-Investorinnen und -Investoren war die Trefferquote besonders niedrig, bei der Buchvorstellung am höchsten – aber da saßen vermutlich auch Leute, die öfter mal diese Kolumne lesen.
Ein unfassbar verzerrter Markt, keiner merkt’s
Ich finde dieses Ergebnis verblüffend und in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum Beispiel kann man, wenn man die Antworten eins und zwei nicht kennt, kaum überreißen, wie unfassbar verzerrt der Weltmarkt für Energie in Wirklichkeit ist.
Branchen, die eine Billion Dollar Gewinn im Jahr machen, bekommen dafür 1,3 Billionen Dollar explizite Subventionen. Ich habe dieses hier schon einmal so formuliert: Mit diesem Ausmaß an Unterstützung aus Steuergeldern kann man auch mit schimmligem Brot reich werden. Diese Verzerrung ist aberwitzig. Dass sie selbst gut informierten Leuten unbekannt ist, ist ein erstaunlicher Propagandaerfolg der Fossilindustrie und ihrer Handlanger in Politik und Medien.
Auch die guten Nachrichten dringen nicht durch
Die Antwort auf Frage drei dagegen sollte uns allen Hoffnung machen – aber auch die für die Fossilbranchen unangenehmen, für den Rest der Welt aber sehr guten Nachrichten erreichen auch gut informierte Leute augenscheinlich nicht. Das Gleiche gilt übrigens für die Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien hierzulande: Ich habe in diesen Runden auch immer gefragt, wie viel Prozent der Last in Deutschlands Stromnetz derzeit erneuerbar abgedeckt wird. Die wenigsten wussten die richtige Antwort: etwa 60 Prozent . Jetzt, im Winter/Frühling. Die meisten schätzten weitaus niedriger.
Mit anderen Worten: Die Debatte über die gigantische Energietransformation, die auf diesem Planeten längst in vollem Gange ist, mit exponentieller Beschleunigung, unentwegt, wird (nicht nur) hierzulande auf Basis eines kapitalen Informationsmangels geführt.
Fossile Propaganda ist nicht nur erfolgreich in so absurden Debatten wie der, ob wir nicht doch noch länger Verbrennungsmotoren bauen sollten (wenn die deutsche Automobilindustrie so dumm sein sollte, wird sie von China zu Tode disruptiert). Sie ist auch bemerkenswert erfolgreich dabei, Informationen, die für sie selbst peinlich oder unangenehm sind, die ihre Narrative stören könnten, aus dem öffentlichen Diskurs und damit den Köpfen der Wählerinnen und Wähler herauszuhalten.
Teile der Politik helfen dabei mit ständigen Scheindebatten, Nebelkerzen und echter Desinformation fleißig mit (»E-Fuels«, »Wasserstoffheizung «, »Kohlewinter «, »Blackout-Gefahr« …).
Der Autor der in Antwort eins zitierten Studie über fossile Gewinne hat dem »Guardian« Folgendes gesagt: »Es ist eine riesige Menge Geld. Man kann damit jeden Politiker, jedes System kaufen, und ich glaube, das ist auch geschehen. Es schützt [die Öl- und Gasproduzenten] vor politischer Intervention, die ihre Aktivitäten beschränken könnte.«
Der Diskurs über die energieökonomische Zukunft Deutschlands und der Welt braucht dringend eine massive Fakteninfusion. Das ist nicht nur existenziell für einen funktionierenden demokratischen Diskurs – sondern auch für die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes.
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