Newsletter „Demokratie-Radar"
Die Cathy-Hummels-Frage: Wie viel Desinteresse verträgt die Demokratie?
Das Grundgesetz wird 75. Cathy Hummels gratuliert vorab nicht, sondern nutzt dieselbe SA-Parole wie Björn Höcke – vermutlich unfreiwillig. Auch unfreiwillig: Sie zeigt damit, warum die Grundgesetz-Party nicht gerade rauschend ausfällt.
Es ist Mai – der Feiertagsmonat, der einem fast jede Woche ein kleines Angebot zum Innehalten macht. Und vielleicht geht es Ihnen wie mir: Ich habe Pfingsten gebraucht, um die vergangenen Tage kurz zueinander zu sortieren: AfD-Urteil in Münster, Höcke-Urteil in Halle, Schüsse auf den slowakischen Präsidenten Fico, die ganze raue Welt.
Sortierungsbedürftig ist zum Beispiel auch, was Cathy Hummels aus ihrer glitzernden Instagram-Welt heraus in die politische Sphäre gesendet hat. In einem Werbepost verwendete Hummels die SA-Parole „Alles für Deutschland“, für die der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke kurz zuvor verurteilt worden war. Nach kurzer, heftiger Aufregung löschte Hummels den Post und entschuldigte sich.
Damit ist die Sache aber nicht erledigt. Schon deshalb nicht, weil Höcke angekündigt hat, Hummels anzuzeigen. Ich will mit Ihnen aber kurz über einen anderen Aspekt der Hummels-Äußerung nachdenken, anlässlich der Grundgesetz-Jubiläumswoche.
Wie viel Desinteresse verträgt die Demokratie?
„Asche über mein Haupt, ich habe die Berichterstattung zu dem Höcke-Prozess und dessen Nazi-Spruch nicht mitbekommen und wusste nicht, welchen Hintergrund er hat“, ließ sich Cathy Hummels von RTL zitieren. Das muss einerseits natürlich komplett als Entschuldigung gelten. Denn dass „Alles für Deutschland“ eine SA-Parole ist, dürften vor dem Prozess gegen Höcke vor allem Historiker und Historikerinnen, Geschichtslehrer und ‑lehrerinnen und Rechtsextreme gewusst haben.
Andererseits: Wie viel Desinteresse verträgt die Demokratie? Die hängt natürlich nicht an Cathy Hummels – wohl aber daran, wie weit verbreitet ihre Weltvergessenheit ist. Erst kürzlich sprach ich mit einem Bekannten, einem klugen, völlig gewöhnlich im Leben stehenden Mann Mitte dreißig. Ich fragte ihn, wie er denn die aktuelle Lage so sehe und wo er sich dazu informiere (womöglich eine Berufskrankheit, wer weiß). Seine Antwort: „Ich vermeide das eigentlich komplett, so weit es geht.“
Keine Demokratie ohne Demokratinnen und Demokraten
Ehrlich gesagt: Ich kann diese Sehnsucht nach Ruhe von der Welt total verstehen – auf einer persönlichen Ebene. Auf einer gesellschaftlichen Ebene alarmiert es mich, dass viele dieser Sehnsucht so fundamental folgen. „Demokratie ist nicht ohne Demokraten aufrechtzuerhalten“, so sagt das die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger in der aktuellen Ausgabe des Zeit-Podcasts „Das Politikteil“. Nun ist Desinteresse zwar nicht gleich undemokratisch, aber auch mit Menschen, denen es egal ist, was in ihrem Land passiert, ist Demokratie nicht zu machen.
Ich nehme an, dass ich damit bei Ihnen, den Leserinnen und Lesern dieses Newsletters, ziemlich offene Türen einrenne. Ich möchte Ihnen trotzdem noch das Doppelinterview empfehlen, das der „Spiegel“ für seine auch nicht so feierlaunige Grundgesetz-Ausgabe geführt hat, mit Gerhart Baum von der FDP und Lilly Blaudszun von der SPD. Darin geht es nämlich genau darum: „Alle müssen sich für die Demokratie einsetzen“, sagt Blaudszun, und Gerhart Baum: „Demokratie ist anstrengend, die bequeme Normalität vorbei.“
Ich mach Demokratie
Warum, das sagt heute Anna Grunemann, 55 Jahre alt. Die Künstlerin ist nach vielen Jahren in Hannover zurück in ihre Heimat in Brandenburg gezogen.
„Nach der Flüchtlingswelle 2015 hatte ich das Gefühl, Kunst kann Welten öffnen – und das macht da am meisten Sinn, wo ich herkomme: auf dem Land in Brandenburg. Seit 2018 lebe ich wieder hier, arbeite inzwischen an einem Gymnasium in Neuzelle als Lehrerin und weiter als Künstlerin.
Man merkt hier in persönlichen Gesprächen schon sehr deutlich, wie manche Menschen ticken. Und manchmal sieht man es auch einfach: Im vergangenen Winter hatte hier jemand auf einem zugefrorenen See ein Hakenkreuz in den Schnee geschoben.
Es braucht Mut, hier sichtbar zu sein
Trotzdem: Wenn ich etwa mit meinem Verein Brandung e.V. Kunst im öffentlichen Raum initiiere, umgehen wir dieses Thema auf keinen Fall. Aber es erfordert schon Mut. Wir hatten einmal eine temporäre Kunsthalle eingerichtet. Auf deren Boden wollte eine Kollegin die Umrisse einer Synagoge einkreiden. Da wären wir dem Hallenbesitzer auch nicht böse gewesen, wenn er gesagt hätte: Das traue ich mich nicht. Wir konnten das aber machen und hatten tolle Gespräche mit den Menschen, die da waren.
Solche Projekte sind das, was ich persönlich in der derzeitigen gesellschaftspolitischen Lage machen kann: vor Ort eine Arbeit abzuliefern, die die Leute eher zusammenbringt, als sie auseinanderzutreiben.“
Falls Sie gerade in der Gegend sind oder längst mal wieder ein Stückchen aus Berlin rausfahren wollten: In Wildau wird diesen Donnerstag die Ausstellung Spektrale 11 eröffnet, sie ist noch bis Ende September zu sehen. Anna Grunemann zeigt dort eine Arbeit.
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