Süddeutsche Zeitung hier 17. Mai 2024 Von Michael Bauchmüller und Vivien Timmler, Berlin
"Was nutzen uns die Ziele, wenn uns die Maßnahmen fehlen?", fragt Remo Klinger, Anwalt der Deutschen Umwelthilfe, deren Aktivisten vor dem OVG in Berlin protestieren. (Foto: DUH)
Wieder erleidet die Bundesregierung Klima-Schiffbruch vor Gericht. Selbst das aufgeweichte Klimaschutzgesetz dürfte ihr diesmal nicht helfen. Denn es geht auch um den Naturschutz.
Der Freitag hätte aus Ampel-Sicht der geschmeidige Abschluss einer zähen Angelegenheit sein können. Als gewissermaßen letzte Instanz knöpfte sich der Bundesrat das deutsche Klimaschutzgesetz vor - und erledigte die Sache gerade einmal in zweieinhalb Minuten. Keine einzige Wortmeldung, kein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses. Monatelange Diskussionen waren abgehakt.
Doch vor die Freude über ein abgeschwächtes Klimaschutzgesetz setzte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein Urteil. Wieder einmal.
Schon im vorigen November hatte das Gericht der Bundesregierung kräftig eingeschenkt.
Die Ministerien für Verkehr, Bau und Wirtschaft seien die vorgeschriebenen Sofortprogramme schuldig geblieben, urteilten die Richterinnen - und zitierten genüsslich die entsprechenden Passagen aus dem Gesetz. Die Koalition legte Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein und änderte das Gesetz, letzter Akt diesen Freitag. Weil sich die Bundesrichter nun nicht mehr mit dem alten, sondern mit dem neuen Gesetz befassen werden, dürfte sich die Sache erledigt haben: Sofortprogramme für einzelne Ministerien sieht das Gesetz nun nicht mehr vor.
Die Regierung muss mehr für die Moore tun
So einfach wird das mit den neuerlichen Urteilen nicht. Zwei Klagen hatte die Deutsche Umwelthilfe angestrengt, in beiden folgte das Oberverwaltungsgericht ihrer Argumentation (OVG 11 A 22/21, OVG 11 A 31/22). Und beide lassen sich auch mit dem neuen Gesetz nicht einfach so erledigen - eher im Gegenteil.
So bezieht sich eines der Urteile auf das Klimaschutzprogramm der Regierung. Im vorigen Herbst wollte sie mit diesem "Gesamtplan" darlegen, wie sie die Klimaziele bis 2030 erreicht - und zwar jenseits der bisherigen Sofortprogramme für einzelne Ministerien. Doch nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hält es die Klimaziele nicht ein. Mehr noch: Es leide an "methodischen Mängeln" und beruhe "teilweise auf unrealistischen Annahmen". An diesem Urteil ändere sich auch nichts, wenn man das Klimaschutzgesetz aufweiche, sagt Umwelthilfe-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. "Das Defizit bleibt." Einer Revision sehe er gelassen entgegen.
"Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis", heißt es aus dem Verkehrsministerium
Das andere Urteil dreht sich um einen Bereich, der oft übersehen wird: die Änderungen von Landnutzungen. Wird zum Beispiel aus einem Moor ein Acker, dann werden dadurch dauerhaft klimaschädliche Emissionen freigesetzt - macht man es umgekehrt, bindet man sie. Das Gleiche gilt für Wälder oder Grünland. Wie viel Kohlendioxid sich durch den Schutz von Mooren, Wäldern und Wiesen binden lässt, kann man ziemlich genau bilanzieren. Nur leider ist die Bilanz für Deutschland negativ: Es wird dort mehr CO₂ freigesetzt als gespeichert. Dabei sollen dort im Jahr 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, 40 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen verbucht werden. Dieses Ziel werde "aus heutiger Sicht deutlich verfehlt", heißt es auch im jüngsten Projektionsbericht der Bundesregierung. Und das sieht das Gericht ganz ähnlich. Die Regierung muss also mehr für Moore und Co. tun.
Das findet auch der Bundesrat. Er rief zwar in Bezug auf das Klimaschutzgesetz nicht den Vermittlungsausschuss an, wie das Umweltverbände verlangt hatten. Aber er fasste eine Entschließung: Darin fordert der Bundesrat einerseits eine Nachsteuerungspflicht für den Fall, dass Deutschland absehbar seine Klimaziele verfehlt. Andererseits betont er, dass die im Klimaschutzgesetz vorgesehene Stärkung und Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme "nicht geeignet sein kann, Defizite anderer Sektoren im Klimaschutz zu kompensieren". Das größte Defizit hat derzeit der Verkehr.
Im Bundesverkehrsministerium gibt man sich dennoch gelassen. "Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis", heißt es, man warte erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung ab. Remo Klinger dagegen, Anwalt der Umwelthilfe, sieht in dem Urteil schon jetzt das Gegenstück zum Klimaurteil des Verfassungsgerichts von 2021, schließlich gehe es nun um die Instrumente. "Was nutzen uns schon die Ziele", sagt er, "wenn uns die Maßnahmen fehlen?"
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