SPIEGEL: Seit Wochen ist der Westen der USA wieder eine Brandregion. Im kalifornischen Yosemite-Nationalpark wurden bei einem Waldbrand 3000 Jahre alte Riesenmammutbäume beinahe zerstört. Auch der berühmte »Grizzly Giant« war in akuter Gefahr. Was lösen solche Bilder bei Ihnen aus?
Leiserowitz: Für mich ist es frustrierend und deprimierend, so etwas zu sehen. Der Verlust dieser uralten Naturschätze empfinde ich als genauso schmerzhaft wie die Zerstörung von kulturellem Erbe . Die größere Tragik ist aber, dass diese Bilder keine Überraschung sind. Die Wissenschaft wusste, dass es so kommen würde.
SPIEGEL: Das gilt insbesondere in den USA bei Weitem nicht für alle.
Leiserowitz: Ich denke schon, dass nun immer mehr Menschen klar wird, dass es Schlag auf Schlag geht. Es passiert nicht nur diese eine Katastrophe, und dann ist wieder Ruhe, viele beginnen zu verstehen, dass wir da am Anfang von etwas wirklich Düsterem stehen. Jetzt zu sehen, dass sich die Prognosen tatsächlich bewahrheiten, dadurch Menschen sterben oder verletzt werden und ganze Landschaften ausgelöscht werden, ist furchtbar.
SPIEGEL: Sind Waldbrände, Stürme, Fluten und Dürren in den letzten Jahren wirklich schlimmer geworden? Oder achten wir nur mehr darauf?
Leiserowitz: Das Problem ist genau andersherum: Wir haben bis vor ein paar Jahren die Warnungen der Klimawissenschaftler viel zu wenig beachtet. Die bekommen nun mehr Aufmerksamkeit, weil die Folgen einfach nicht mehr zu übersehen sind. Es ist recht einfach: Wenn die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre steigt, entsteht eine Art Wärmestau in der unteren Atmosphäre. Und je mehr Wärme in unserem System ist und damit auch mehr Wasserdampf in der Atmosphäre, desto schlimmer werden solche Extremwetter wie Hitzewellen und extreme Niederschläge, die dann zu Überschwemmungen, Dürren und Waldbränden führen. Wir müssen verstehen, dass sich die Lage eben nicht langsam und kontrolliert verschlechtert. Niemand kann genau vorhersagen, wann sich wo welche Klimaeffekte addieren oder extrem beschleunigen . Es gab bereits vor 20 Jahren Klimaflüchtlinge in Amerika. Erst jetzt beginnt der Rest von uns, die Folgen des Klimawandels zu spüren. Wie schon der Science-Fiction-Autor William Gibson sagte: Die Zukunft ist schon da. Sie ist nur nicht gleichmäßig verteilt.
SPIEGEL: Wenn die Wälder brennen, Wasserknappheit herrscht und Millionen Menschen unter 40 Grad Celsius ächzen: Verändert das die Haltung der Menschen zur Klimakrise?
Leiserowitz: Erstmals konnten wir 2015 durch Umfragen belegen, dass die Erfahrung von heißem und trockenem Wetter einen direkten Einfluss darauf hat, was Menschen über den Klimawandel denken. Im vergangenen Jahr war der Anstieg besonders deutlich. Der Anteil der Amerikaner, die glauben, dass der Klimawandel real ist, stieg um sechs Prozent. Auch die Anzahl der Leute nimmt zu, die sagen, dass sie persönlich von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Die Besorgnis ist so groß wie nie zuvor. Im letzten Jahr kämpften viele Bundesstaaten in den USA mit extremen Hitzewellen, Bränden, Stürmen und Überflutungen. Auch die Medien berichten mittlerweile ausführlicher über den Zusammenhang mit der Klimakrise. Das schlägt sich nun auch in der Einstellung der Menschen nieder.
SPIEGEL: Die Bilder von überfluteten Häusern wie etwa im vergangenen Jahr auch in Deutschland machen tatsächlich Angst – um die eigene Familie, das Eigentum. Beginnt mit dieser Angst nicht auch ein gesunder Egoismus, mehr für den Klimaschutz zu tun?
Leiserowitz: Immer mehr Menschen stellen jetzt nicht nur eine Verbindung zur Klimakrise her, wenn so etwas passiert, wir sind auch an einem Punkt, an dem viele erstmals spüren, wie verwundbar sie sind. Bisher war der Klimawandel noch immer vor allem eine sehr abstrakte Diskussion. Forscher debattierten in einer unverständlichen Sprache über CO₂-Moleküle und atmosphärische Prozesse oder Klima-Kipppunkte. Das ist kein guter Weg, eine Unterhaltung zu beginnen. Die Hintergründe und Folgen von Wetterextremen sind etwas ganz anderes. Darüber wird auf lokaler Ebene diskutiert, und alle können mitreden: der schreckliche Rauch, das Asthma des Kindes, das abgebrannte Gemeindehaus, der Hitzekollaps der Oma nebenan, der überflutete Keller. Es gibt etwas zu erzählen, was jeder versteht.
SPIEGEL: Wie wird aus diesem Trauma ein Handeln?
Leiserowitz: Daran kann man anknüpfen und fragen, wie sich die Gemeinschaft schützen kann. Das gibt Zusammenhalt und Zuversicht. Handeln ist das beste Gegenmittel.
SPIEGEL: Trotz der neuen Aufmerksamkeit sieht es aber nicht so aus, als würde die Welt radikal umsteuern. Neue Öl- und Gasfelder werden erschlossen, Kohlekraftwerke wieder hochgefahren. Wie realistisch ist es noch, das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens einzuhalten?
Leiserowitz: Die Klimaforschung argumentiert immer mit Wahrscheinlichkeiten. Selbst die optimistischen Szenarien gehen davon aus, dass die Welt diesen Wert bald überschreitet. Dennoch gibt es beim sogenannten 1,5-Grad-Ziel ein großes Missverständnis.
SPIEGEL: Das wäre?
Leiserowitz: Die Erzählung, dass beim Überschreiten des 1,5-Grad-Limits die Welt untergeht, ist falsch. Das nach außen zu kommunizieren, führt zu Angst. Das bringt uns alle nicht weiter.
SPIEGEL: Teile der Klimabewegung wie die »Letzte Generation« oder »Extinction Rebellion« arbeiten aber genau mit dieser Panik. Sie möchten die Leute »aufrütteln«. Ist das nicht eine nachvollziehbare Strategie?
Leiserowitz: Nein, im Gegenteil, die Vorstellung, dass nach dem Überschreiten des Temperaturlimits von 1,5-Grad alles vorbei ist und wir in der totalen Katastrophe leben, ist gefährlich. 1,5-Grad ist keine magische Grenze der Wissenschaft. Natürlich steigen die Risiken des Klimawandels, je weiter wir auf zwei Grad zusteuern. Erst recht, wenn wir über zwei Grad hinausschießen. Jedes Zehntelgrad entscheidet über das Leben von Millionen von Menschen. Es ist also falsch, wenn jemand sagt: Wir können nichts mehr tun, wenn wir über 1,5 Grad hinausgehen. Gerade dann müssen wir uns noch mehr anstrengen.
SPIEGEL: Was machen solche Untergangsszenarien mit der Bereitschaft einer Gesellschaft, gegen die Klimakrise zu kämpfen?
Leiserowitz: Viele Menschen tendieren heute dazu, besonders radikalen Erzählungen zu glauben. Das ist eine Reaktion auf die allem Anschein nach immer unübersichtlicheren Zustände. Ja, wir leben in der Klimakrise, und sie ist eine Bedrohung für Millionen Menschen. Endzeiterzählungen führen aber nur zu Hoffnungslosigkeit. Das wiederum führt zu Lähmung und Untätigkeit. Bleiben die Menschen in der Klimakrise aber passiv, verhindern sie Veränderung. Wir müssen handeln, um Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Wenn wir nichts tun, ist es genau das, was die Öl- oder Kohlelobby will: dass sich nichts verändert.
SPIEGEL: Die hat es aber bisher geschafft, recht viel zu verhindern. Immerhin wurden mehr 50 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen seit 1990 ausgestoßen – ausgerechnet als man begann, Sachstandsberichte zum Klimawandel zu veröffentlichen. Hat die Weltgemeinschaft versagt?
Leiserowitz: Das ist ein Schwarz-Weiß-Denken. Wir müssen verstehen, dass sozialer Wandel kein Lichtschalter ist, den man einfach umlegen kann, sondern eine Reise mit vielen Schritten vorwärts und manchmal rückwärts. Viele Jahre ging die Klimawissenschaft davon aus, dass wir auf vier oder fünf Grad Celsius zusteuern. Das wäre wirklich eine totale Katastrophe und jenseits unserer Vorstellungskraft. Aber die Weltgemeinschaft hat im Laufe der Jahre reagiert. Schätzungen zufolge steuert die Welt mit der derzeitigen Politik auf etwa 2,6 Grad zu. Aus der Sicht von jemandem, der sich seit Jahrzehnten mit diesem Thema beschäftigt, hat sich eine Menge bewegt. Natürlich ist das nicht genug und auch nicht schnell genug. Es gibt viele Gründe, frustriert und wütend zu sein. Aber wir müssen auch die Fortschritte anerkennen, die gemacht wurden.
SPIEGEL: Dennoch könnte die Welt im Kampf gegen die Klimakrise gerade jetzt zurückfallen. Seit zwei Jahren erleben wir multiple Krisen wie Pandemie, Inflation und Kriege. Viele Menschen haben wirtschaftliche Abstiegsängste. Bleibt da noch Platz für die alles überragende Klimakrise?
Leiserowitz: Geschichte ist kein linearer Pfad. Der Weg ist steinig und zickzackförmig. Aber die Richtung ist im Jahr 2022 ziemlich eindeutig. Vor 30 Jahren hatte fast niemand auf der Welt ein Handy. Mittlerweile können wir uns eine Welt ohne eigenes Mobiltelefon gar nicht mehr vorstellen. Beim Klimaschutz sind das ähnliche Innovationssprünge, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Windkraft, Solarenergie, Elektrofahrzeuge oder Fleischersatz sind alles neue Technologien, die einmal belächelte Erfindungen waren und jetzt von börsennotierten Unternehmen auf der ganzen Welt vermarktet werden. Wind- und Solarenergie ist inzwischen so billig, dass selbst der Ölstaat Saudi-Arabien massiv in Solarparks investiert. Die fossile Lobby kann diese Entwicklung nicht mehr stoppen – auch nicht durch politische Krisen.
SPIEGEL: Die Klimakrise spaltet auch Gesellschaften: In den USA ist das besonders gut zu beobachten. Millionen haben den Klimawandelleugner Donald Trump gewählt und halten auch heute Klimaschutz für eine Ideologie.
Leiserowitz: Wir konnten mit unseren Studien zeigen, dass die amerikanische Öffentlichkeit keineswegs nur aus Klimaschutz-Hassern auf der einen und Ökoaktivisten auf der anderen Seite besteht. Nur eine Minderheit von unter zehn Prozent sind aktive Klimaleugner und Verschwörungstheoretiker. Die sind leider besonders laut. Die schüchtern den Rest ein und säen Zweifel, etwa mit Fake-Studien oder gezielten Desinformationskampagnen. Das heißt aber auch, dass 90 Prozent grundsätzlich bereit sind, über die Klimakrise zu reden. Die meisten US-Amerikaner haben Trump nicht gewählt, weil er Klimaleugner ist, sondern sie seinen Politikstil mögen oder gegen Einwanderung sind.
SPIEGEL: Es gibt also noch Hoffnung?
Leiserowitz: Ja. Solange sich Menschen für den Klimaschutz engagieren, ist noch nichts verloren. Und es werden täglich mehr.
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