Süddeutsche Zeitung hier 20. Februar 2023 Von Michael Bauchmüller, Berlin
Viel Beton, wenig Bäume: Deutschlands Städte sind schlecht vorbereitet auf höhere Temperaturen und extremeres Wetter. Eine Studie fordert nun den Umbau.
Wenn Matthias Lerm in deutsche Städte schaut, dann sieht er Sünden über Sünden. "Vieles, was im Bauwesen reguliert wird, rührt noch aus der Wiederaufbau-Zeit", sagt er. Aus Zeiten, in denen es vor allem darum ging, schnell viel Wohnraum zu schaffen. "Heute stellen wir fest, was dabei alles zu kurz gekommen ist" - der Klimaschutz etwa, oder die Anpassung ganzer Städte an höhere Temperaturen und extremeres Wetter. Oft zögen 30 Jahre ins Land, ehe solche Fehler auffielen.
Lerm leitet das Stadtplanungsamt von Magdeburg, nebenbei ist er noch einer von zwei Vorsitzenden der "Kommission Nachhaltiges Bauen" am Umweltbundesamt. Und die stellte am Montag in Berlin eine Studie vor, die mit den Sünden der Nachkriegszeit aufräumen soll. Deutsche Städte und deutsche Häuser sollen anders, besser gebaut werden. Sie sollen mit den Folgen des Klimawandels besser zurecht kommen - und zugleich weniger zur Erderhitzung beitragen. Der Weg ist lang, die Zeit nur kurz.
30 bis 40 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen gehen auf das Konto von Gebäuden, sei es über die Heizenergie oder über den Energieaufwand, den ihre Errichtung verschlingt. Rund die Hälfte des deutschen Abfallaufkommens macht allein der Schutt aus, der bei Bau und Abbruch entsteht. 54 Hektar Land fallen dem Bau von Häusern und Straßen zum Opfer - und zwar jeden Tag. Oft handelt es sich um Flächen, die vorher landwirtschaftlich genutzt wurden. Alle Ziele, die den Flächenverbrauch eindämmen sollten, wurden in Deutschland bisher verfehlt, meist in aller Stille. "Ohne den Fokus auf Gebäude werden nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz nicht gelingen", sagt Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes. Ein Paradigmenwechsel sei nötig.
Messner und Lerm sind nicht allein, an diesem Montag sitzen sie zusammen auf dem Podium einer Pressekonferenz, und zwar mit den beiden zuständigen Ministerinnen: Clara Geywitz von der SPD, der Bauministerin. Und Steffi Lemke, die grüne Umweltministerin. Allein diese Konstellation sei schon ein Riesen-Fortschritt, finden sowohl Messner als auch Lerm. Wie spürbar dieser Fortschritt allerdings in deutschen Städten wird, das bleibt offen. Denn mit konkreten Forderungen halten sich die beiden Ministerinnen zurück.
"Wir werden für die Klimakrise andere Städte brauchen"
Geywitz, die vor allem schnell viel Wohnraum schaffen will, verlangt eine "Kultur des Umbaus", durch die auch mehr bestehende Gebäude saniert werden. Künftig müsse "möglichst klimaverträglich" gebaut werden, findet sie. Gar nichts mehr zu bauen, bringe auch nichts. Lemke wiederum warnt vor den Folgen, sollte sich nichts ändern: "Wir werden für die Klimakrise andere Städte brauchen als die, die sich mit Beton und Asphalt immer schneller erhitzen." Bei allen Planungen gehe es nun darum, sich in erster Linie um die Innenentwicklung der Städte zu kümmern, und erst dann um die "Außenentwicklung", etwa in Form von Neubaugebieten. "Wir gehen die Aufgabe gemeinsam an", sagt Lemke mit Blick auf die Kollegin aus dem Bauressort. "Es ist kein Zufall, dass wir hier zusammensitzen."
Das allerdings stimmt auch in anderer Hinsicht, denn die FDP ist nicht dabei. Erst zwei Wochen ist es her, da hat der Koalitionspartner einen "Bau-Booster für Deutschland" gefordert. Die Pläne der Liberalen zielen zwar auch auf eine Verdichtung der Städte, also etwa die Nutzung vorhandener Brachen in Kommunen oder die Aufstockung von Gebäuden. Aber von bisherigen Klimavorgaben für Gebäude will die FDP nicht mehr viel wissen: "Die energetischen Standards im Neubau haben die Wirtschaftlichkeitsschwelle überschritten", heißt es im Booster-Papier. Dabei hat sich die Koalition vorgenommen, diese Standards hochzuschrauben, das zugehörige Gebäudeenergiegesetz wird derzeit überarbeitet. Rund ums klimafreundliche Wohnen winken der Koalition noch einige Debatten.
Den Expertinnen und Experten von Umweltbundesamt und Nachhaltigkeitskommission schwebt aber ohnehin weit mehr vor als nur energieeffiziente Häuser. Ein ganzes "Nachhaltigkeits-Hexagon" fächert Behördenchef Messner auf, mit sechs Dimensionen von schadstoffarmen Baustoffen bis zur Lebensqualität in den Quartieren. Auch eine "Primärbaustoffsteuer" schlägt die Studie vor: Sie soll frische Baustoffe so verteuern, dass recyceltes Material wettbewerbsfähiger wird. Doch die Bauministerin beeilt sich, den Vorschlag abzubügeln, der hohen Baukosten wegen. Und auch die grüne Umweltministerin will von so einer Steuer nichts wissen. Die Studie, sagt Lemke, sei "ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs". Revolutionen im Städtebau klingen gewiss anders.
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