hier NDR 24.01.2023 von Nils Naber
Wie kann Deutschland mit weniger Gas heizen und langfristig ganz ohne auskommen? Diese komplizierte Frage müssen nun die Oberbürgermeister beantworten. Nach Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein verpflichten immer mehr Bundesländer ihre größeren Kommunen zu einer sogenannten kommunalen Wärmeplanung.
Das Bundeswirtschaftsministerium plant sogar eine bundesweite Pflicht: Ein entsprechendes Gesetz ist in Arbeit. "Es herrscht großer Konsens in der Wissenschaft darüber, dass die Wärmewende die schwierigste Aufgabe, wenn nicht gar der Prüfstein der Energiewende werden wird", sagt Benjamin Pfluger von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie in Karlsruhe.
Bereits bis 2030 muss der Gebäudesektor seinen CO2-Ausstoß um rund 40 Prozent vermindern. Es gleicht einer Mammutaufgabe, die nun über die sogenannte kommunale Wärmeplanung konkret angegangen werden muss. Birgit Farnsteiner, Klimaschutzkoordinatorin in Norderstedt, sieht die größte Herausforderung weniger bei der Planung selbst, die bis Anfang 2024 fertig sein soll, sondern vielmehr bei der späteren Umsetzung. Die Stadt könne zwar Rahmenbedingungen schaffen, aber "handeln muss eben jeder Immobilienbesitzer oder jede Immobilienbesitzerin selbst und das wird nur schrittweise erfolgen können."
Dabei hat Norderstedt noch einen Vorteil. Ungefähr ein Drittel der Stadtwerkekunden hängen direkt an einem Fernwärmenetz. Doch dessen Wärme wird bislang ausschließlich durch Erdgas erzeugt, erklärt Tim Storbeck von den Stadtwerken. Zukünftig will er das "ganze Netz dekarbonisieren und auf erneuerbare Energien umstellen". Das sei "herausfordernd", ist aber wohl deutlich leichter als eine CO2-freie Alternative für die 17.000 einzelnen Hausanschlüsse zu schaffen, über die die Wohnungen direkt Gas beziehen.
Wasserstoff als Alternative?
Wenn es nach Volker Bartsch geht, dann sollten diese Haushalte mittelfristig vor allem mit Wasserstoff versorgt werden. Der verbrennt emissionslos. Der Ingenieur vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) vertritt die Interessen von vielen Gasnetzbetreibern, die ihre Leitungen auch in einer Welt ohne Erdgas weiterhin nutzen möchten. Dafür wurde die Initiative "H2vorOrt" ins Leben gerufen. Aus seiner Sicht "kann in Zukunft ausreichend klimaneutraler Wasserstoff im europäischen und nahen europäischen Umfeld erzeugt werden," um jeden momentanen Erdgaskunden mit dem klimafreundlichen Brennstoff versorgen zu können. Rund 70% des Wasserstoffs müsste dafür importiert werden. Allerdings, erklärt Bartsch, müssten die Stadtwerke "das Signal senden, dass sie diesen grünen Wasserstoff benötigen." Offenbar sind die Signale bisher noch nicht deutlich genug.
Auch Tim Storbeck von den Stadtwerken Norderstedt ist skeptisch. Er wolle nicht "warten, bis Wasserstoff irgendwann in ausreichender Menge da ist," um dann das Erdgasnetz für den Wasserstoff umzubauen. "Um die Energiewende voranzubringen, müssen wir heute schon Maßnahmen treffen." Er setzt dabei vor allem auf grüne Fernwärme, die über auf Solarthermie, Geothermie, Großwärmepumpen und Abwärmenutzung gewonnen wird. Ähnlich sieht es Benjamin Pfluger. Eine Umstellung von einzelnen Stadtvierteln auf Wasserstoff sei technisch nicht einfach, meint der Wissenschaftler. Allenfalls für Blockheizkraftwerke könnte der Wasserstoff im Wärmebereiche eine Alternative sein. "Die Mehrzahl der Wissenschaftler geht eigentlich davon aus, dass Wasserstoff zu teuer ist und zu spät wirklich in großem Stil verfügbar sein wird."
Über Jahre nicht verfügbar
Über viele Jahre werde Wasserstoff ein knappes Gut bleiben, meint auch Analyst Adithya Bhashyam vom Informationsdienstleister BloombergNEF. Er beobachtet den Wasserstoffmarkt weltweit. Sollten alle angekündigten Projekte umgesetzt werden, würde bis 2030 trotz eines aktuellen Hypes nicht genug Wasserstoff erzeugt werden, um die Klimaziele zu erreichen. Wasserstoff werde woanders dringender benötigt als für die Wärmeerzeugung im Einzelwohnungen, "in der Schwerindustrie, aber auch im Transport und in der Luftfahrt".
In Zukunft könne mehr als ein Viertel des aktuellen Wasserstoffbedarf sauber hergestellt werden, meint Wasserstoff-Experte Adithya Bhashyam.
Auch im badischen Bruchsal sehen sie im Wasserstoff nicht die zentrale Lösung, um die Wärmeversorgung CO2-neutral zu gestalten. Stadtwerke-Chef Armin Baumgärtner sieht die "Technologie noch nicht in greifbarer Nähe." Bruchsal gilt bei der kommunalen Wärmeplanung als Vorbild. Erst vor wenigen Jahren haben sie hier damit begonnen ein Fernwärmenetz aufzubauen, mit dem sie nach und nach die ganze Innenstadt erschließen wollen. Noch kommt die Wärme im Wesentlichen aus der Verbrennung von Erdgas und Holz, doch so soll es nicht bleiben, erklärt Armin Baumgärtner. "Wir sitzen quasi auf dem Gold". Unter Stadt stehe ein riesiges Potenzial an Erdwärme zur Verfügung, das nun gehoben werden müsse.
An Wärmepumpen führt kein Weg vorbei
Die größten Hoffnungen für eine CO2-freie Wärmeversorgung liegen allerdings auf dem Erfolg der strombetriebenen Wärmepumpe. 500.000 Wärmepumpen sollen ab 2024 jährlich eingebaut werden. Heute werden allerdings nur 2,8 Prozent aller Wohnungen damit beheizt. Es bleibt ein ambitioniertes Ziel, die Technik innerhalb von nur zwei Jahrzehnten in sehr hoher Stückzahl einzubauen.
Aus Sicht von Benjamin Pfluger ist die Wärmepumpe dennoch die bessere Variante im Vergleich zum Heizen mit grünen Wasserstoff, für dessen Erzeugung aus Wind- und Solarstrom viel Energie benötigt wird. "Um ein Gebäude mit Wasserstoff heizen zu können, brauchen wir einfach fünfmal so viel erneuerbare Energien, als wenn wir es mit einer Wärmepumpe heizen." Ab 2024 dürfte aufgrund von gesetzlichen Vorschriften bei jedem Heizungstausch kaum noch ein Weg an der Wärmepumpe vorbeiführen. Dennoch wird die Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung keine leichte Aufgabe.
Norderstedt muss kommunalen Wärmeplan entwickeln
17.000 Haushalte sind hier an das Gasnetz angeschlossen. Ob Erdwärmenutzung eine Alternative sein kann, wird nun erarbeitet.
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