19.05.2023 hier im Südkurier
Fast nirgends in der Republik schlägt das industrielle Herz stärker als im Südwesten. Und zwar nicht nur in den Speckgürteln der großen Städte, sondern auch auf dem flachen Land und in den Tälern des Schwarzwalds. Ob das in Zukunft auch noch so sein wird, ist nicht ausgemacht. Deutschland, aber besonders Baden-Württemberg, steht bei seiner Industriestruktur, die für Wohlstand und Beschäftigung steht, vor einem Kipp-Punkt.
Dabei geht es nicht nur um die Automobilhersteller oder den Maschinenbau, denen die Konkurrenz aus China, Korea und den USA zusehends den Schneid abkauft.
Dem Bundesland und seiner Wirtschaft droht ganz generell, der Saft auszugehen und sich im Rennen um wichtige Zukunftsrohstoffe ganz hinten einreihen zu müssen. Das ist fatal. Denn heute werden Investitionsentscheidungen auch gemäß der Verfügbarkeit von sauberen Energieträgern getroffen. Und da hat der Südwesten wenig zu bieten.
Im Zentrum des Problems steht der Strom. Nie musste man sich in Baden-Württemberg um seine Verfügbarkeit Gedanken machen. Der Südwesten war Kernkraftland der ersten Stunde. Energie – auch aus der Kohleverstromung – war im Überfluss vorhanden. Alternativen wie Windkraft und Photovoltaik wurden daher politisch geringgeschätzt, ja sogar bis weit in die 2000er Jahre bis aufs Messer bekämpft. Aus heutiger Sicht kann man nur sagen: Das war ein historischer Irrtum und ein teurer noch dazu.
Während andere Bundesländer ihre Chance erkannten und Solar- und Windkraft früh stark ausbauten, redete man in Baden-Württemberg noch von „Verspargelung“. Heute wäre man froh um jedes Megawatt. Denn mittlerweile hat sich in Deutschland eine Energieinfrastruktur etabliert, die den regionalen Interessen der südlichen Bundesländer und ihren Unternehmen komplett entgegenläuft. Die Wertschöpfung in Sachen Grünstrom liegt fast ausschließlich in Nord- und Mitteldeutschland. Mehrere Zehntausend Windräder jenseits der Main-Linie und vor den deutschen Küsten sind der eindrucksvolle Beweis.
Ein bisschen erinnert die neue deutsche Energiewelt an den Länderfinanzausgleich – nur dass er umgekehrt läuft. Baden-Württemberg und Bayern sind dabei nämlich nicht mehr Geber-, sondern Empfängerländer. Und zwar für grüne Energie, die sie natürlich teuer bezahlen müssen.
Ob allerdings überhaupt genügend davon im Süden ankommt, wird immer unsicherer. Der Leitungsbau der großen Trassen von Nord nach Süd läuft so schleppend, dass Strom zu Beginn der 2030er Jahre mit großer Wahrscheinlichkeit im Süden zur Mangelware werden wird. Das heißt nicht, dass die Lichter ausgehen. Es würde aber teurer. Deutschland droht dann in zwei Strompreiszonen zu zerfallen – eine mit niedrigen Tarifen im Norden und eine im Süden mit hohen. Als „schweres Wettbewerbshindernis“ hat die Südwest-Wirtschaft derartige Überlegungen jüngst zurecht bezeichnet. Bei diesem Problem wird es aber nicht bleiben.
Auch beim gerne als Champagner der Energiewende bezeichneten grünen Wasserstoff knallen die Korken woanders. Neben Grünstrom ist CO2-neutral hergestellter Wasserstoff die zweite Stütze der Energiewende und soll in den 2030er Jahren vor allem industrielle Prozesse befeuern. Deutschland wird gigantische Mengen davon brauchen und diese zum Großteil importieren müssen. Durch den Krieg in der Ukraine, der Erdgas als Brückentechnologie diskreditiert hat, steigt der Druck im Wasserstoff-Kessel weiter.
Um mit dem Energierohstoff versorgt zu werden, liegt der Südwesten allerdings denkbar ungünstig – fernab wichtiger Importpunkte an Nord- und Ostsee. Bislang ist man im Südwesten weder an nationale noch an internationale Pipelines angeschlossen. Die zentralen Versorgungstrassen verlaufen genau wie beim Strom künftig von Nord nach Süd. Und wieder hat der Süden bei dem Thema die rote Laterne und wird vermutlich – trotz erheblicher Bemühungen der Landesregierungen in Baden-Württemberg und Bayern – Jahre hinter seinen nördlichen Nachbarn mit dem Öko-Elixier versorgt werden.
Für die heimische Industrie ist das ein weiterer Grund, sich vom Standort abzuwenden. Sie klagt heute bereits über zu hohe Arbeitskosten, Bürokratie und ein zu geringes Flächenangebot. Subventionen zur Ansiedlung von Unternehmen winken im Saarland und in Thüringen, nicht aber in Baden-Württemberg. Mit dem Menetekel einer künftigen Energie- und Rohstoffknappheit kommt nun ein wichtiger Punkt hinzu, sich bei Investitionen anderswo umzuschauen. Die Attraktivität von Baden-Württemberg als Standort ist in Gefahr. Das Land muss aufpassen, nicht ins Abseits zu geraten.
walther.rosenberger@suedkurier.de
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