Samstag, 22. Juli 2023

Deutschland kann sich nicht an eine 2-3° wärmere Welt anpassen, das ist ein riesengroßer Irrtum!

 NTV 22.07.2023  Quelle: ntv.de, tkr/dpa, 


Zwei-Grad-Ziel ist möglich: Klimaforscher Mojib Latif gibt sich hoffnungsvoll.

Kampf gegen Erderwärmung nicht aussichtslos

Der UN-Generalsekretär meldet, dass der Klimawandel außer Kontrolle sei, Klimaforscher Mojib Latif hält dagegen. Die Folgen einer zu hohen Erderwärmung sind ihm bewusst, doch noch sei für ihn der "Point of no return" nicht erreicht.

Trotz erschreckender Nachrichten über immer häufigere Hitzewellen, Waldbrände und Unwetter glaubt der Klimaforscher Mojib Latif, dass der Kampf gegen die Erderwärmung nicht aussichtslos ist. "In der Wissenschaft geht man davon aus, dass der 'Point of no return' noch nicht erreicht ist. Noch wäre es möglich, die globale Erwärmung auf das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Maß zu begrenzen - das heißt, auf deutlich unter 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, vorzugsweise auf 1,5 Grad", sagte der Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Latif äußerte sich zu Warnungen des UN-Generalsekretärs António Guterres. Dieser hatte gesagt, der Klimawandel sei "außer Kontrolle".

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Der Weltklimarat IPCC hat vorgerechnet, dass zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels die globalen Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase gegenüber 2019 um 48 Prozent bis 2030 und um 80 Prozent bis 2040 sinken müssen. Derzeit beträgt die Erwärmung des Planeten schon etwa 1,1 Grad, in Deutschland schon 1,6 Grad. Dazu sagte Latif: "Die Auswirkungen wie Hitze, Dürre und Starkregen sind bereits in vielen Regionen der Erde katastrophal." Vergangenes Jahr sei der bisher wärmste Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen worden, mit zehntausenden Hitzetoten.

"Einerseits stresst die Erwärmung die Meeresökosysteme, zum Beispiel die tropischen Korallen - es kommt immer öfter zur gefürchteten Korallenbleiche", sagte Latif zu den zurzeit extrem hohem Temperaturen der Weltmeere, darunter des Mittelmeers und des Atlantiks. "Andererseits führt die Erwärmung zu einem Rückgang des Sauerstoffgehalts in den Ozeanen. Und es besteht die Gefahr, dass die Meere weniger von dem CO2 aufnehmen, das die Menschen in die Atmosphäre emittieren, mit der Folge einer sich beschleunigenden globalen Erwärmung."

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Außerdem trage die mit der Erwärmung verbundene Ausdehnung des Wassers zum Anstieg der Meeresspiegel bei, sagte der Forscher. Höhere Temperaturen führten des Weiteren zu einer höheren Verdunstungsrate, wodurch mehr Energie in der Atmosphäre verfügbar ist und Wetterextreme häufiger und intensiver werden. Erst kürzlich hatte Latif darauf hingewiesen, dass sich Deutschlands Gesellschaft und Wirtschaft nicht an eine zwei bis drei Grad wärmere Welt anpassen kann. "Das ist ein riesengroßer Irrtum. Es gibt Grenzen der Anpassungsfähigkeit", sagte Latif. "Wie will man sich an Temperaturen von deutlich über 40 Grad anpassen, wie auf häufigere sintflutartige Niederschläge? Wie soll eine Landwirtschaft ohne Regen auskommen?"

Im März hatte eine Studie im Auftrag der Bundesregierung ergeben, dass auf Deutschland durch die Erderwärmung bis 2050 Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen können. Beispiel ist die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit Schäden von mehr als 40 Milliarden Euro.


NTV hier  28.05.2022, Mit Mojib Latif sprach Kai Stoppel

"Hoffe auf sozialen Kipppunkt"

Bleibt uns noch genug Zeit, die Erde zu retten?

Die Extremwetter-Ereignisse nehmen zu: Hitzewellen, Starkregen. Auch Deutschland bleibt von Katastrophen nicht verschont, die Experten auf den Klimawandel zurückführen. Eine Klimakonferenz folgt auf die nächste, doch die Ergebnisse bleiben dürftig, kritisiert der Meteorologe Mojib Latif. Mit ntv.de spricht er darüber, wie die Menschheit doch noch die Kurve kriegen könnte.

ntv.de: Herr Latif, Indien und Pakistan haben zuletzt eine schwere Hitzewelle durchlitten mit Temperaturen, die für Menschen lebensgefährlich sind. Ist das bereits ein Ausblick in eine Welt, die uns mit dem Klimawandel bevorsteht?

Mojib Latif: Absolut. Schon in meinem 2020 erschienenen Buch "Heißzeit" hatte ich davor gewarnt, dass mit einem ungebremsten Klimawandel einige Regionen der Erde unbewohnbar werden. Und das zeichnet sich in den vergangenen zwei Jahren bereits ab. Ende Juni 2021 gab es diese unglaubliche Hitzewelle im westlichen Kanada mit Temperaturen bis an die 50 Grad. Hunderte Menschen sind deswegen gestorben. Kurz darauf kam es zur Hochwasserkatastrophe in Deutschland mit fast 200 Toten. Wir hatten in Deutschland immer das Gefühl, dass derartige Dinge andernorts passieren. Mittlerweile merken aber viele, dass so etwas auch hierzulande geschehen kann. Wir hatten auch die Hitzesommer 2018 und auch 2019 mit einem neuen Hitzerekord bei 41,2 Grad. Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, das darf man nicht vergessen.

Wird die Menschheit diese Entwicklung noch aufhalten können?

Ich weiß es nicht. Mein aktuelles Buch heißt ja "Countdown", was bedeutet, dass die Klimakatastrophe allmählich näherkommt. Es ist also nicht mehr so, dass es Jahrzehnte sind, die wir noch Zeit zum Handeln hätten. Nein, die Zeit läuft ab. Und wir haben es gerade gesehen: Der Bericht der Weltorganisation für Meteorologie, der vor ein paar Tagen veröffentlicht wurde, hat genau das gesagt, dass wir eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad eigentlich nicht mehr schaffen können. Aber das war für mich schon 2015 beim Pariser Klimaabkommen klar. Was jetzt noch bleibt, ist das Ziel, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Und selbst das ist eine gewaltige Herausforderung.

Von Klimakonferenzen halten Sie ja wenig, schreiben Sie in Ihrem Buch - weil sich am Ende sowieso niemand an die getroffenen Vereinbarungen hält. Dieses Jahr steht eine weitere UN-Klimakonferenz in Ägypten an, die COP 27. Sind die Hoffnungen, die in diese gesetzt werden, also vergebens?

Die Klimakonferenzen haben einen Aspekt, den ich gut finde, und zwar, dass die öffentliche Aufmerksamkeit immer wieder auf das Thema Klimawandel gelenkt wird. Aber der politische Wille fehlt einfach. Nicht unbedingt in Deutschland, aber auf globaler Ebene. Daher glaube ich, dass Klimakonferenzen nicht zielführend sind. Wenn nach über einem Vierteljahrhundert der Klimakonferenzen der Ausstoß von Treibhausgasen immer noch steigt, dann muss man sich doch mal irgendwann ehrlich machen und sagen: Das ist nicht das Instrument, mit dem wir weiterkommen.

Was wäre Ihrer Ansicht nach die Alternative?

Ich fordere schon lange eine Allianz der Willigen. Es wäre zielführend, wenn es zum einen Länder gibt, die beim Klimaschutz voranschreiten. Zum anderen muss diese Allianz der Willigen aber auch so couragiert sein, dass sie andere Länder, die nicht mitmachen wollen, in irgendeiner Art und Weise sanktioniert. Sonst geht es nicht. Man kann mit China, das mit einem Anteil von über 30 Prozent an den weltweiten Emissionen der mit Abstand größte CO2-Verursacher ist, nicht unkonditionierten Handel treiben. Wir dürfen unsere Märkte nicht überschwemmen lassen von nicht nachhaltig gefertigten Produkten aus China oder anderen Ländern.

Also Produkte, die eine hohe CO2-Bilanz haben, weil sie überwiegend mit Energie aus fossilen Brennstoffen hergestellt werden?

Korrekt. Produkte aus China müssten viel teurer sein, es müssten Zölle her. Jedenfalls, solange es nicht so etwas gibt wie einen weltweiten Emissionshandel oder einen weltweiten CO2-Preis. In Deutschland haben wir seit 1990 unseren CO2-Ausstoß um knapp 40 Prozent reduziert. China jedoch wächst und wächst und baut immer neue Kohlekraftwerke. Es ist ja nun mal ein globales Problem. Selbst wenn wir in Deutschland überhaupt kein CO2 mehr ausstoßen, würde das alleine nicht viel nutzen.

Sanktionen sind oft schwer umzusetzen, wie man derzeit am Ukrainekrieg sieht. Und ihre lenkende Wirkung ist umstritten. Können sie also wirklich das richtige Mittel sein, um ein globales Problem wie den Klimawandel anzugehen, bei dem alle mitziehen müssen? Würden sie nicht die Gräben vertiefen?

Klar, aber ich wüsste keine Alternative. Die Klimaverhandlungen führen ja zu nichts. Bei der letzten Klimakonferenz in Glasgow haben wir das gesehen, als es um den Kohleausstieg ging. Wer hat dort blockiert? China und Indien. Das zeigt doch, dass diese Länder überhaupt kein Interesse daran haben, beim Klimaschutz wirklich Ernst zu machen. China steigert seinen CO2-Ausstoß immer weiter. Das ist auch ein schlechtes Beispiel für Länder wie Indien, das ebenfalls blockiert hat. Und in Indien leben 1,3 Milliarden Menschen, bei einem gegenwärtigen CO2-Pro-Kopf-Ausstoß auf dem Niveau eines Entwicklungslands, gerade mal zwei Tonnen im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es knapp neun Tonnen, in China über sieben. Was ist, wenn Indien sich auf gleich Weise fossil entwickelt wie China, wonach es derzeit aussieht? Das wäre der Super-GAU.

Gleichzeitig verstehen viele Menschen in Deutschland nicht, warum hierzulande die Emissionen weiter reduziert werden sollen, während andere Länder wie China und Indien ihren Ausstoß immer mehr vergrößern. Was sagen Sie denen?

Es gibt natürlich auch so etwas wie internationale Gerechtigkeit. Ich habe ja gerade die Pro-Kopf-Emissionen aufgezählt. Sie können einem Inder nicht sagen, dass er bei zwei Tonnen CO2 pro Jahr bleiben soll, und wir bleiben bei neun. Der andere Punkt ist die historische Verantwortung. Die Oberflächentemperatur der Erde, die bei den internationalen Verhandlungen und bei den Klimazielen ja im Fokus steht, reagiert auf die Emissionen, die bereits seit Beginn der Industrialisierung ausgestoßen wurden. In dieser Hinsicht sind die alten Industrieländer immer noch ziemlich weit vorne. Ich finde daher, dass die Länder, die den Wagen in den Dreck gefahren haben, ihn als erste wieder herausziehen sollten. Wir müssen die aufstrebenden Länder aber gleichzeitig auch in die Lage versetzen, sich nachhaltig entwickeln zu können, durch Technologietransfer einerseits, aber natürlich auch durch finanzielle Unterstützung. Und deswegen müssen wir auch einen Teil unseres Wohlstands abgeben. Ich glaube nicht, dass es sehr viel ist. Vergessen wir dabei bitte nicht, dass wir einen verschwenderischen Lebensstil haben. Wie kann es zum Beispiel angehen, dass wir so viele Lebensmittel wegwerfen oder mit riesigen Autos durch die Städte fahren?

Wenn Sie der Bundesregierung einen Tipp geben könnten - welches Problem würden Sie in Deutschland als erstes angehen, um den Klimaschutz voranzutreiben?

Wenn man wirklich etwas erreichen wollte, dann sollte man zuallererst die Subventionen für die konventionellen Energien streichen. Denn dann werden die erneuerbaren Energien konkurrenzlos billig. Die weltweiten Subventionen für die fossilen Energieträger liegen bei etwa 500 Milliarden US-Dollar jährlich. Es sind unglaubliche Subventionen und sie sind ungefähr 10- bis 20-mal höher als jene für die erneuerbaren Energien. Und das macht keinen Sinn. Ich würde in Deutschland daher die Subventionen abschaffen. Und ich meine nicht nur Kohlesubventionen, sondern etwa auch das Dienstwagenprivileg oder Subventionen für Hybrid-SUV. Damit hätte man auch sehr viel Geld freigeschaufelt, in Deutschland etwa 50 bis 60 Milliarden Euro jährlich. Und wenn dieses Geld frei wird, dann kann man es in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken.

Was macht Ihnen Hoffnung, dass die Menschheit doch noch die Kurve kriegt, was den Klimawandel betrifft?

In den vergangenen Jahren hat sich einiges getan. Nehmen Sie mal die vorletzte Bundestagswahl. In dem Wahlkampf, da spielte das Thema Klimawandel absolut keine Rolle. Beim letzten Bundestagswahlkampf hingegen war es eines der wichtigsten Themen, wenn nicht das wichtigste. Man sieht also, dass öffentlicher Druck etwas bewegen kann. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir ein freies Land sind. In China geht das eben nicht, auch nicht in Russland. Beides sind autokratische Regime, die Meinungen unterdrücken. Daher ist auch die Demokratisierung der gesamten Welt ein ganz wichtiger Punkt. Ein anderer Grund zur Hoffnung ist die Justiz. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz vergangenes Jahr war ein unheimlich starkes Signal für die Bevölkerung, aber auch für die Wirtschaft. Es gibt auch andere wichtige Urteile, wie in den Niederlanden gegen den Ölkonzern Shell. Als Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg beobachte ich, dass es in den Rechtswissenschaften an den Hochschulen regelrecht brodelt. Und ich sehe, dass bei Gerichten die Zahl der Verfahren zum Klimaschutz stark zunimmt.

Sie sehen also einen Wandel in der Gesellschaft?

Na ja, ich bin Optimist. Und ich warte immer noch auf einen sozialen Kipppunkt, der vielleicht auch in der Weltpolitik möglich sind.

Man hört ja derzeit viel von Kipppunkten im Klimasystem, bei denen das Überschreiten einer bestimmen Temperatur abrupte Klimaänderungen zur Folge haben kann. Aber was ist ein sozialer Kipppunkt?

Bei einem sozialen Kipppunkt kommt es ebenfalls in relativ kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen, allerdings in der Gesellschaft. Das geschieht, wenn eine kritische Masse in der Gesellschaft überzeugt ist, was dann eine gewaltige Dynamik in Gang setzen kann. Wir haben so einen sozialen Kipppunkt in Deutschland bei der Wiedervereinigung miterlebt. Nun muss dasselbe mit Blick auf den Klimaschutz weltweit passieren. Irgendwie muss die Welt erkennen, dass sie nur glücklich werden kann, wenn sie Abschied von fossilen Energien nimmt.

Wird das tatsächlich geschehen?

Das weiß ich nicht. Da schwanke ich zwischen Apokalypse und Hoffnung. Ich fürchte, es wird so sein, dass die Schäden durch den Klimawandel immer größer werden. Und irgendwann ist dann die Einsicht so groß, dass die Menschheit handelt.

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