Freitag, 14. Juli 2023

Hitze, Dürre, Starkregen: So schlecht ist Deutschland vorbereitet

 von Katarina Huth, Annika Joeres, Max Donheiser, Paulina Thom, Lilly Brosowsky 

hier 13. 7. 2023

Klimawandel: Unsere Recherche mit NDR, WDR und BR zeigt erstmals, welche Regionen Deutschlands besonders vom Klimawandel bedroht sind und welche Städte und Landkreise sich am wenigsten schützen.

Wer im niedersächsischen Lüchow-Dannenberg tagsüber bei mehr als 25 Grad seine Blumen gießt, kann zurzeit bestraft werden wie sonst nur Kriminelle: es drohen bis zu 50.000 Euro Bußgeld. Der Landkreis muss zu solch drastischen Maßnahmen greifen, weil er zu lange nicht auf die Klimakrise – und den drohenden Wassermangel – reagiert hat.

Doch jetzt wird das Wasser gefährlich knapp im kleinsten Landkreis Deutschlands. Und nicht nur dort: Nach CORRECTIV-Recherchen haben mindestens 40 Landkreise in Deutschland den Wassernotstand ausgerufen oder müssen bereits Wasser rationieren. Nicht alle verhängen so hohe Bußgelder wie Lüchow-Dannenberg, aber die Rasensprengung oder das Befüllen eines Pools sind eingeschränkt.

Wassernotstand 2023     ganzer Landkreis  Placeholder Image einzelne Orte

Ausgerechnet bei diesem existentiellen Gut sorgen die Städte offenbar nicht ausreichend vor, wie eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV, BR Data, WDR Quarks und NDR Data erstmals zeigt: Obwohl in einigen Orten jetzt schon Wasser knapp wird, haben viele Landkreise und kreisfreie Städte in Deutschland keine konkreten Schutzkonzepte, wie künftige Krisen aufgrund des Klimawandels verhindert werden können. Dabei wissen sie um die Gefahren.




Folgen des Klimawandels: Viele Menschen ungeschützt
In der Klimakrise droht nicht nur Wassermangel wie in den vergangenen Jahren, als die Ernten vertrockneten und einige Gemeinden ihr Wasser rationieren mussten. Viele Menschen werden an Hitzetagen erneut um ihr Leben bangen. Zudem gibt es immer häufiger Starkregen, bei dem wie kürzlich in Berlin Straßen überschwemmt werden; in der Nordsee sinken die Halligen durch den steigenden Meeresspiegel tiefer und tiefer.

Hitze, Dürre, Starkregen: Obwohl diese Bedrohungen seit Jahren bekannt sind, sind viele Bürgerinnen und Bürger ungeschützt. Von den 329 Landkreisen und kreisfreien Städten, die an einer umfangreichen Umfrage von CORRECTIV, NDR Data, WDR Quarks und BR Data zur Klimaanpassung teilgenommen haben, haben nur ein Viertel Schutzkonzept für die Klimakrise, weitere 22 Prozent planen eines. In Sachsen-Anhalt ist die Lage besonders schlecht: Die allermeisten Gemeinden hier haben aktuell keinen Plan für die Anpassung an die Klimaveränderungen.

„Es ist erschreckend, wie viele Kreise und Städte sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt haben. Das hat mich dann doch überrascht“, sagt Anja Bierwirth, Expertin für Stadtwandel am Wuppertal Institut zu den Ergebnissen unserer Umfrage. Gerade in städtischen, dicht bebauten und stark versiegelten Wohngebieten seien die Auswirkungen des Klimawandels stärker zu spüren als in ländlichen Gebieten. „Bislang sind Städte, wie wir sie jetzt haben, absolute Hotspots für die Folgen des Klimawandels“, sagt Bierwirth.

Es sind in erster Linie Bürgermeister und Landrätinnen, die ihre Bewohnerinnen schützen könnten: Sie entscheiden darüber, ob Flächen entsiegelt werden, um für kühlere Luft zu sorgen und Starkregen aufnehmen zu können. Sie können bestimmen, ob und wie Wasser gespart werden soll. Deshalb richtet sich auch das aktuelle Anpassungskonzept von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), dessen Entwurf CORRECTIV vorliegt und das sie am heutigen Donnerstag im Kabinett beschließen möchte, explizit an die Rathäuser.

Aber auch dieses Konzept wird an der mangelnden Vorsorge erst einmal wenig ändern: Zwar sollen damit alle Gemeinden und alle Kreise der Republik dazu verpflichtet werden, Schutzpläne zu entwerfen – doch konkrete Vorgaben, was genau sie umsetzen müssen, gibt es nicht. Und wenn die Gemeinden oder Kreise besonders klein sind, können Landesregierungen ihre Städte sogar von dieser Pflicht befreien.

Bislang steuerte man vielerorts sehenden Auges auf die Katastrophe zu: Die Mehrzahl der Landkreise weiß, dass die Klimakrise teuer und gefährlich wird, wie unsere Umfrage zeigt.

Neun von zehn Landkreisen, die unsere Umfrage beantworteten, rechnen demnach damit, dass in ihrem Gebiet künftig mehr extreme Wetterereignisse eintreten werden. Am meisten befürchten sie Starkregen und Hitzewellen. Den Mangel an Wasser sehen rund 50 Prozent der 329 Kreise und kreisfreien Städte voraus. Eine erstaunlich hohe Zahl: Lange Zeit hieß es, Deutschland sei ein wasserreiches Land und müsse nicht um sein Trinkwasser bangen.

Landkreise: Ahnungslos und ohne Plan
Es gibt aber auch 16 Landkreise, die noch gänzlich im Dunkeln tappen: So geben etwa das bayerische Pfaffenhofen an der Ilm, das nordrhein-westfälische Kleve und das thüringische Sonneberg – ja, der Kreis mit dem AfD-Landrat – an, nicht einschätzen zu können, mit welchen Klimafolgen sie rechnen müssen.

Die Antworten erstaunen: In vielen Untersuchungen, etwa vom Deutschen Wetterdienst, gibt es sogar lokale und regionale Prognosen. Und jede Stadt könnte Expertinnen und Experten beauftragen, solche Informationen bereitzustellen. Es geht immerhin darum, Menschen vor lebensbedrohlichen Ereignissen zu schützen.

Wie unsere Umfrage zeigt, sorgen offenbar nicht einmal die Landkreise vor, die die Folgen der Klimakrise bereits gespürt haben. Zum Beispiel der Landkreis Karlsruhe: Die Menschen nahe der französischen Grenze litten zwischen 1993 und 2022 durchschnittlich unter 17 Hitzetage im Jahr. Trotzdem hat der Landkreis Karlsruhe weder Maßnahmen gegen Hitze umgesetzt, noch geplant.

Oder die Stadt Speyer in Rheinland-Pfalz: Mit 19,6 Hitzetagen ist sie Spitzenreiterin in Deutschland, hat aber bisher keine einzige Maßnahme umgesetzt, um etwas dagegen zu tun.

Ähnlich mager sieht es in vielen weiteren Landkreisen und Städten wie im bayerischen Schwandorf, im thüringischen Weimarer Land oder Kaiserslautern aus: Sie alle leiden länger unter Hitze als die durchschnittlich 9,8 Tage in Gesamtdeutschland – und sie alle haben keinen Plan zum Schutz vor Hitze.

Zubetonierte Städte verstärken Hitze


Eine der wichtigsten Lösungen für heiße Temperaturen und Starkregen ist, Asphalt und Beton durch Bäume und Grünflächen zu ersetzen. Doch das wird aktuell nur von wenigen Kommunen umgesetzt.

Nur jeder dritte Landkreis gibt uns gegenüber an, Flächen zu entsiegeln, um die Städte bei Hitzewellen abzukühlen. Vermutlich sind es noch weniger: In der Statistik fehlen mehr als 70 Kreise und kreisfreie Städte, die uns gar nicht geantwortet haben.

Der Deutsche Wetterdienst verzeichnete schon Anfang Juli wieder viele Hitzerekorde. Und die Temperaturen sind vor allem für Vorerkrankte und Ältere gefährlich. Seit 2018 sterben jährlich tausende Menschen in Deutschland den Hitzetod. Trotzdem beharren viele Städte auf schwarzen, asphaltierten Flächen und auf Parkplätze, über denen die Luft flimmert. Der Hitze-Alltag ist in Stadtzentren in der Folge wesentlich schlechter zu ertragen. Wenn mitten in Köln, Nürnberg und Berlin die Temperatur auf 40 Grad steigt, kann es im grünen Umland nur 30 Grad heiß sein.

Nach Recherchen von CORRECTIV sind akut bei jeder Hitzewelle bis zu neun Millionen Menschen gefährdet. Die asphaltierten Straßen werden auch bei Starkregen zum Problem: Wenn es Dutzende Liter Wasser pro Quadratmeter in kurzer Zeit regnet, läuft die Kanalisation voll. Dann können sich auf den versiegelten Flächen Flutwellen bilden, Keller laufen voll, Parkhäuser werden zu tödlichen Fallen.

Grünflächen hingegen könnten Wasser aufnehmen, dort versickert es ins Grundwasser.

Hitze: Jeder grüne Quadratmeter zählt
Einige Städte gehen voran: Bochum etwa gibt gegenüber CORRECTIV, BR Data, NDR Data und WDR Quarks an, begrünte Häuser, entsiegelte Straßen und Wasserflächen zu fördern. Konkret können sich Bewohnerinnen und Bewohner mit einem Stadtteilarchitekten treffen, um beispielsweise eine grünere Fassade zu schaffen.

Begrünte Fassade in Berlin
Begrünte Fassade eines Hauses in der Glogauer Straße in Berlin (Foto: Ivo Mayr)
„Jeder grüne Quadratmeter zählt“, sagt Susanne Bieker, Expertin für die Transformation urbaner Räume beim Fraunhofer ISI. Wiesen, Bäume und Sträucher kühlen bei Hitze und nehmen Wasser bei Starkregen auf. Aber ausgerechnet diese Vorsorge leistet ein Großteil der Städte noch nicht ausreichend.



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