Samstag, 24. Juni 2023

Kabinett beschließt Reform des Straßenverkehrsgesetzes - Das alleine ist noch kein großer Wurf, eröffnet aber Möglichkeitsfenster

Handelsblatt  hier  21.06.2023

Die Reform soll es den Kommunen erleichtern, neue Busspuren oder Tempo-30-Zonen einzurichten. Flächendeckendes Tempo 30 in Städten will Minister Wissing aber nicht.

Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes soll Erleichterungen für Kommunen bringen.

(Foto: dpa) Straße in Berlin

Das Kabinett hat am Mittwoch eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes beschlossen. Es soll Erleichterungen für Kommunen bringen, zum Beispiel neue Busspuren oder Tempo-30-Zonen einzurichten. Länder und Kommunen könnten künftig schneller und flexibler auf die besonderen Anforderungen vor Ort reagieren, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Mittwoch in Berlin.

Eine leichtere Anordnung von Tempo-30-Regelungen solle etwa Spielplätze sowie hochfrequentierte Schulwege und Fußgängerüberwege betreffen. Wissing betonte aber erneut, ein flächendeckendes Tempo 30 in Städten werde es nicht geben. Es bleibe bei einer Regelgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern innerorts.

Es dürfe auch künftig bei der Anordnung einer Tempo-30-Zone nicht zu Beeinträchtigungen von Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs kommen. Die „Leichtigkeit“ des Verkehrs könne durch Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeschränkt werden, so Wissing. Es müsse sichergestellt werden, dass der Verkehr fließe und Waren in Geschäften ankämen.

Neben Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes nahm das Kabinett auch einen Entwurf zur Änderung der untergeordneten Straßenverkehrsordnung zur Kenntnis, der nun mit den Ländern abgestimmt werden soll. Neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat den Änderungen zustimmen. Ziel ist nach Ministeriumsangaben eine Verabschiedung noch in diesem Jahr.


TAZ hier

Reform des Straßenverkehrsgesetzes: Zum Jubeln zu früh

Die Regierung hat den Weg freigemacht für mehr Klimaschutz in der Verkehrsplanung. Ob sich dadurch etwas ändert, hängt von der Reform der StVO ab.

Das wurde auch Zeit: Die Ampelregierung hat mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes den Weg frei gemacht für eine Modernisierung der Verkehrsplanung in den Kommunen. Denn mit der Novellierung verändert die Bundesregierung den Rechtsrahmen für die Verkehrspolitik in entscheidender Weise. Konkret: In Zukunft schreibt das Gesetz nicht mehr den ungestörten Autoverkehr als Nonplusultra vor, sondern stellt weitere Punkte gleichberechtigt daneben: Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und die städtebauliche Entwicklung

Umwelt-, Verkehrs- und Kommunalverbände fordern diese Abänderung schon lange. Mit den CSU-Verkehrsministern war das nicht zu machen.

Ob mit der Novellierung die Abkehr vom Vorrang des Autos verbunden ist, muss sich zeigenDas hängt davon ab, wie Bund und Länder die Straßenverkehrsordnung (StVO) ändern. Denn deren Regelwerk ist dafür verantwortlich, dass das Auto bislang bei der Verkehrsplanung sakrosankt war. Mit fatalen Folgen: Bisher ist es für Städte und Gemeinden sehr schwierig, Tempo 30 für den Autoverkehr, Zebrastreifen, Radspuren oder verkehrsberuhigte Zonen einzurichten. Wollen sie Parkgebühren erheben, müssen sie Straßenzug für Straßenzug nachweisen, dass das wirklich nötig ist. Ansonsten drohen Klagen und schlimmstenfalls das Abschrauben der Schilder oder der Abbau von Radwegen. Kommunen können auch keine neuen Konzepte ausprobieren: etwa Parkgebühren sozial staffeln oder Car-Sharing-Fahrzeugen Vorrang einräumen, damit der Anreiz steigt, das eigene Auto abzuschaffen.

Sie öffnet Möglichkeitsfenster

Sie werden das nur können, wenn die Reform der StVO entsprechend ausgeht. Dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing hier keinen großen Wurf vorgelegt hat, überrascht nicht – schließlich ist er ein Fürsprecher des Autos. Es kommt jetzt auf die Beharrlichkeit und das Verhandlungsgeschick derjenigen an, die echte Handlungsspielräume für die Kommunen wollen. Sie müssen dafür sorgen, dass die StVO entrümpelt wird. Leicht wird das nicht.

Zum Jubeln ist es also etwas zu früh. Aber die Novellierung insgesamt abzuqualifizieren, weil sie noch keine Absage an den Autoverkehr ist, wie es etwa die Deutsche Umwelthilfe macht, trifft die Sache ebenfalls nicht. Denn die Gesetzesänderung öffnet Möglichkeitsfenster, sie ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Viele Bür­ge­r:in­nen und Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen warten darauf, dass die Modernisierung des Verkehrs endlich beginnen kann. Die Initiative von mehr als 750 Kommunen mit Bür­ger­meis­te­r:in­nen aller politischer Richtungen für Tempo 30 zeigt, dass die Abkehr vom Pkw-Primat keine Marotte großstädtischer Fan­tas­t:in­nen ist – auch wenn autophile Kul­tur­kämp­fe­r:in­nen das gerne so darstellen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen