Samstag, 1. Juni 2024

Experte über Green Deal der EU: „Eine positive Bilanz“

 hier  31.05.2024, Von: Friederike Meier

Klimaexperte Felix Schenuit über den Green Deal der EU und warum er trotz des Widerstands der Landwirtschaft und eines möglichen Rechtsrucks nach den Wahlen keinen Rollback befürchtet.

Herr Schenuit, zurück ins Jahr 2019! Zehntausende gehen mit Fridays for Future auf die Straße, die Europawahl gilt als Klimawahl. Im Herbst darauf verkündete Ursula Von der Leyen den „European Green Deal“, mit dem sie Klimaneutralität 2050 möglich machen will. Hat die Kommissionspräsidentin auch danach gehandelt?

Ja. Der European Green Deal hat die Klimapolitik weiterentwickelt. 

Er hat auch die Ambitionen gesteigert, mit dem Klimaschutzgesetz ein höheres Ziel für 2030 beschlossen und Netto-Null-Treibhausgasemissionsziele für 2050 verankert. Das sind rechtlich bindende Ziele. Andere Instrumente wurden daran angepasst. Das ist als Erfolg zu werten. Gleichzeitig gibt es natürlich Themen, die zu Diskussionen geführt haben.

Welche meinen Sie?

Immer da, wo Klimapolitik mit der Landwirtschaft in Kontakt kommt, war es in allen europäischen Institutionen und zwischen den Mitgliedsstaaten besonders schwierig. Es gab die Landwirtschaftsproteste. Aber auch schon davor war es in vielen Parteien schwierig, Mehrheiten zu finden für die Vorschläge, die von Ursula von der Leyens Kommission kamen. Das prominenteste Beispiel ist das Naturwiederherstellungsgesetz, das unter anderem im Parlament für große Diskussionen gesorgt hat.

Der Eindruck, dass die Kommission beim EU-Klimaschutz ambitionierter war, täuscht also nicht?

Das stimmt und hat aber verschiedene Gründe. Zum einen ist die Kommission im institutionellen Gefüge ohnehin die Agenda-Setterin, die Gesetzgebung entwickelt und dann zur Diskussion stellt. Zusätzlich hat die Mehrheit, die Frau Von der Leyen 2019 ins Amt gewählt hat, auch darauf basiert, einen ambitionierten Green Deal zu beschließen. Die Kommission hatte hier eine gewisse Verpflichtung.

Sie haben die Landwirtschaftsproteste angesprochen, auch den Widerstand gegen das Natur-Wiederherstellungsgesetz. Hat die Kommission das unterschätzt?

Es ist wichtig zu differenzieren: Was ist Klimapolitik und was ist Landwirtschafts- und Umweltpolitik. Das Naturwiederherstellungsgesetz ist zwar klimapolitisch relevant, aber es ist nicht Kern der klimapolitischen Architektur. Mein Eindruck ist, dass die Kompromissbereitschaft nach zahlreichen Entscheidungsprozessen aufgebraucht war, auch weil die Wahl näher rückte und man erste Pflöcke für die anstehende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik einschlagen wollte.

Insgesamt hat diese Kommission aber, auch im Vergleich zu den Kommissionen davor, viel geschafft, was den Klimaschutz angeht, richtig?

Ja. Es ist eine positive Bilanz, gerade auch mit Blick auf die umfassenden politischen Krisen.
Der Green Deal wurde immer mit als Teil der Antwort positioniert, sowohl auf die Coronapandemie, als auch auf die russische Vollinvasion der Ukraine. Die klimapolitisch wohl wichtigste Reform war die Anhebung des 2030 Ziels von 40 Prozent Emissionsreduktion auf 55 Prozent im Vergleich zu 1990 und die Verankerung des 2050 Ziels. Das ist eine erhebliche Ambitionssteigerung. Jetzt müssen die Maßnahmen in den Mitgliedstaaten entsprechend umgesetzt werden.

In der CDU und insgesamt in der EVP scheint der Rückhalt für die Agenda von Frau Von der Leyen im Klimaschutz zu schwinden. Denken Sie, Klimaschutz wird für sie trotzdem ein Schwerpunkt bleiben?

Auch wenn es jetzt immer mehr skeptische Stimmen über den Green Deal gibt, wird die Klimapolitik bis 2030 aus meiner Sicht nicht noch einmal angefasst werden. Die Frage ist, was für die Planungen des Zeitraums 2031 und 2040 passiert. Insgesamt sehe ich nicht das Risiko einer drastischen Abkehr vom Green Deal, er wird eher fortgeschrieben als Wachstumsstrategie mit einem stärkeren Fokus auf Industriepolitik. Was die einzelnen Instrumente angeht, muss man schauen, wie die Mehrheiten dafür aussehen. Übrigens ja nicht nur im Europäischen Parlament. Wir haben ja gerade die Regierungsbildung in den Niederlanden gesehen – auch unter den Mitgliedstaaten können sich die klimapolitischen Mehrheiten verschieben.

Und der Rechtsruck?

Zur Person

Felix Schenuit ist Wissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in der Forschungsgruppe EU und Europa. Zudem ist er Mitglied eines SWP-Forschungsclusters zur Klimapolitik. Dort forscht er vorrangig zur EU-Klimapolitik und zu Carbon Management. Schenuit promovierte an der Universität Hamburg in Politikwissenschaft. sd

Wir sehen das weitere Erstarken des rechten Rands im EU-Parlament, was die Mehrheiten für Klimaschutz knapper macht. Die Parteien, die den Green Deal bisher getragen haben, also vor allem die EVP, die Sozialdemokraten, die Grünen, die Liberalen, hätten laut bisherigen Prognosen aber weiterhin eine Mehrheit im EU-Parlament. Es kommt deshalb vor allem auch auf die Bruchstellen innerhalb und zwischen diesen Fraktionen an. Insgesamt lässt sich festhalten: Das Parlament verliert im Gesetzgebungsprozess immer dann an Einfluss an die Mitgliedstaaten, wenn es keine starke Mehrheit für seine eigenen Beschlüssen findet.

Zum 2040er Ziel für Klimaschutz hat die Kommission vorgeschlagen, die Emissionen um 90 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Wie geht es jetzt weiter?

Wichtig ist: Es war noch kein Legislativvorschlag der Kommission, lediglich eine Empfehlung. Die neue Kommission ist nicht daran gebunden. Das 2040er-Ziel wird der erste Test für die klimapolitischen Mehrheiten in den nächsten Jahren.

Aber es wäre jetzt schon auffällig, wenn die neue Kommission sagen würde, wir machen nicht 90 sondern nur 85 Prozent.

Genau. Diese Wahrnehmung zu verankern war auch Teil der Erwägung der bisherigen Kommission. Vermutlich wird es dabei bleiben, es wird dann aber um die Detailfragen gehen. Es gibt erste Anzeichen für Diskussionen um internationale Zertifikate, die man sich anrechnen lassen könnte. Entscheidend ist ohnehin weniger das genaue Ziel, sondern ob wir Politikinstrumente haben, die bis in die 2040er Jahre hinein robust sind. Ein großes Risiko ist, dass der politische Druck auf diese Instrumente immer stärker wird und angesichts immer schwerer zu vermeidenden Emission irgendwann die politischen Mehrheiten fehlen, um sie aufrecht zu erhalten.

Die CDU fordert in ihrem Wahlprogramm, das Verbot der Neuzulassungen von Verbrennern ab 2035 wieder zurückzunehmen. Das weist schon darauf hin, dass es zu einem Rollback kommen könnte, oder?

Ja, es gibt diese Forderung. Es ist aber am Ende immer die Frage, ob sich im EU-Parlament und unter den Mitgliedstaaten Mehrheiten dafür finden lassen. Ob die CDU, sollte sie die nächste Bundesregierung stellen, in der EU genügend Partner dafür findet, ist eine offene Frage.

Auch wenn die Landwirtschaft nicht im Herzen der Klimapolitik ist, muss sie ja irgendwann einmal mitmachen, zum Beispiel bei der Renaturierung von Mooren. Was wäre eine Strategie für die EU, um mit den Widerständen umzugehen?

Das Problem wird größer werden. Denn je erfolgreicher wir sind, andere Emissionen einzusparen, desto stärker rücken die schwer vermeidbaren Emissionen aus der Landwirtschaft in den Fokus. Hinzu kommt: Wenn sich zwei Politikfelder überlappen, wirken die Verteilungskämpfe aus beiden Feldern. Es wird also sehr schwer, auf Mehrheiten zu kommen. Es ist deshalb ein wichtiger Knackpunkt für die nächste Kommission, einen Weg zu finden, Klimapolitik und Landwirtschaftspolitik zusammenzudenken. Eine Möglichkeit ist das sogenannte Carbon Farming. Erste Schritte wurden schon gemacht: Man hat ein neues Instrument entwickelt zur Zertifizierung von CO2-Entnahmen, wenn also CO2 aus der Atmosphäre gebunden wird. Das findet auch in der Landwirtschaft statt, zum Beispiel in Böden. Das Zertifizieren von CO2-Entnahme und etablieren neuer finanzieller Anreize ist eine zentrale Idee um die beiden Bereiche zusammenzubringen.

Was ist neben der Landwirtschaft noch schwierig?

Wir werden vor allem über Industriepolitik sprechen, weil sie die vieldiskutierte Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz der europäischen Industrie betrifft. Hinsichtlich der Schnittstelle zu Klimapolitik sind wir dann schnell beim Thema CO2-Abscheidung und anschließender Nutzung und Speicherung (Carbon Management). In Vorbereitung auf diese Diskussion hat die Kommission zusammen mit dem 2040-Empfehlung schon eine Mitteilung veröffentlicht.

Zum Abschluss noch ein Schritt zurück: Ist die EU überhaupt gut geeignet, Klimapolitik zu betreiben?

Ich glaube, die EU ist in der Tat gut geeignet um Klimapolitik ist zu machen, weil sie gut darin ist, unterschiedliche Interessen der Mitgliedsstaaten und Sektoren zusammenzubringen und Mehrheiten für Kompromisslösungen herbeizuführen. Da war sie in der Vergangenheit erfolgreich, vielleicht erfolgreicher als mancher Mitgliedsstaat. Wenn die schwer vermeidbaren Emissionen aus Landwirtschaft und Industrie stärker in den Fokus rücken, ist allerdings offen, ob das so bleibt – hier sind Blockaden denkbar. Da ist die nächste Legislatur eine wichtige Weggabelung, weil über die nächste Phase der Klimapolitik ab 2031 entschieden wird. Und die wiederum ist entscheidend für die Frage, ob wir Netto-Null bis 2050 auf EU-Ebene überhaupt in Reichweite bekommen.

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