Deutschlandfunk hier zum Anhören Krauter, Ralf | 18. Juni 2024,
Forscher nennen EU-Renaturierungsgesetz Erfolg für NaturschutzLange wurde darum gerungen, in Österreich löste es eine Regierungskrise aus: Das Renaturierungsgesetz der EU ist beschlossene Sache. Wissenschaftler feiern es als großen Erfolg für den Naturschutz. Landwirte sind weiter skeptisch.
Spiegel hier 18.06.2024,Ein Kommentar von Marianne Wellershoff
EU-Gesetz zum Naturschutz: Natur ist nicht nur nice to have
Das neue Naturschutzgesetz der EU löste in Österreich eine Koalitionskrise aus. Dabei muss endlich klar sein: Natur ist nicht selbstverständlich, sondern muss geschützt werden. Was jetzt zu tun ist.
Ein Skandal ist die Summe aus Ereignis und Getöse, und je größer das Ganze wird, desto mehr verschwindet das Eigentliche dahinter. Ein Beispiel dafür ist die Abstimmung über das EU-Renaturierungsgesetz am Montag, was die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, zerstörte Natur wiederherzustellen. Die grüne österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler hat im EU-Umweltrat gegen den Willen des konservativen Koalitionspartners ÖVP für die Verordnung gestimmt – und damit eine Koalitionskrise ausgelöst.
Aber bei der Aufregung darüber geht etwas wirklich Wichtiges unter: Das EU-Renaturierungsgesetz ist endlich beschlossen – nach jahrelangem Verhandeln der Mitgliedstaaten, nach viel Hin und Her.
Mal sollten die Moore vernässt werden, dann wieder nicht, und am Ende doch. Auch über das sogenannte Nicht-Verschlechterungsgebot wurde immer wieder gestritten: Anfangs sollte jede Zustandsverschlechterung von Mooren und Wäldern ausgeschlossen werden, nun sind es nur noch »erhebliche« Verschlechterungen. Nach dem üblichen Schlagabtausch der verschiedenen Länder und auch dem Querschuss der FDP hatte sich auch die Ampel irgendwann aufgerafft, sich nicht zu enthalten, sondern dafür zu stimmen.
Denn klar ist: Unsere Natur ist in einem erbärmlichen Zustand. Laut WWF sind zwar weltweit nur rund zehn Prozent der Moore entwässert, in Deutschland sind es aber mehr als 90 Prozent. Auch achtzig Prozent der Kiefern, Fichten, Eichen und Buchen in Deutschland sind laut Waldzustandserhebung 2023 krank. Rund 600.000 Hektar Wald sind sogenannte Schadflächen. Mehr als die Hälfte der einheimischen Fischarten in Deutschland gelten als »gefährdet« oder bereits »ausgestorben«. Und so weiter.
Jetzt ist Fantasie gefragt
Jetzt gibt es mit dem Renaturierungsgesetz endlich eine gesetzliche Grundlage, um den Rückwärtsgang einzulegen und nicht noch mehr zu zerstören. Das ist gut, denn das Ziel ist klar: Die Natur soll mit einem Anreizsystem wiederhergestellt werden. Dabei ist Fantasie gefragt. Man könnte zum Beispiel wie in Dänemark die Steuern auf Pestizide erhöhen oder Steuern erlassen, wenn man Flächen renaturiert. Oder Subventionen danach bemessen, welchen Beitrag zur Abkühlung diese Flächen leisten.
Allerdings muss das dann auch in die Tat umgesetzt werden, und das darf nicht nur Aufgabe der Politik und der Wirtschaft sein. Denn 52 Prozent des Waldes in Deutschland befinden sich in öffentlichem Eigentum, hier also kann und muss damit begonnen werden, funktionierende Ökosysteme wiederherzustellen.
Es ist damit auch der Moment gekommen, in dem die Verantwortlichen für Staats-, Landes- und Gemeindewälder in ihren eigenen Gremien tagen und eigene Beschlüsse fassen. Das ist von besonderer Bedeutung, denn Gesetzesänderungen waren bis jetzt oft von den Interessen des Deutschen Forstwirtschaftsrats getrieben, und die wollen meistens das Gegenteil des Renaturierungsgesetzes.
Was viele gern vergessen: Natur ist keine Ökoromantik oder nice to have. Sie gehört zur kritischen Infrastruktur. Wasser aus Flüssen kühlt zum Beispiel Kraftwerke, und wenn die Flüsse zu warm werden, müssen Atomkraftwerke gedrosselt werden wie in Frankreich im Hitzesommer 2022. Man kann aber auch mit gutem Beispiel vorangehen. Der Toilettenpapier-Produzent Goldeimer lässt seine Verpackung zur Hälfte aus gesammeltem »Wildplastik« anfertigen. Das zeigt, dass es nicht mehr nur um Kompensation von Umweltschäden geht, sondern um den eigenen Beitrag zum Erhalt der Natur.
Jeder kann einen Beitrag leisten
Und dann gibt es auch noch diese eine Zahl, die belegt, dass die Natur und deren Schutz wirklich alle Menschen betrifft: Rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland dient dem Anbau von Tierfutter für Schlacht- und Milchvieh. Nur gut ein Viertel der Fläche wird für den Anbau von Lebensmitteln gebraucht. Deshalb ist es, unabhängig vom neuen Gesetz und dem Getöse, für jeden möglich, einen Beitrag zur Wiederherstellung der Natur zu leisten: weniger Fleisch essen. Gut für die eigene Gesundheit wäre das im Übrigen auch.
und zum Schluss nochmal die rechtliche Seite:
hier Standard Jakob Pflügl 20. Juni 2024
RENATURIERUNGSGESETZ
Deutsche Europarechtler: Nehammers Klage gegen EU-Beschluss hat kaum Erfolgschance
Dass Kanzler Nehammer der grünen Ministerin Gewessler die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz verboten hat, dürfte EU-rechtlich egal sein. Auch in Deutschland wäre das so – trotz Richtlinienkompetenz des Kanzlers
Durfte Leonore Gewessler (Grüne) als Klimaministerin gegen den Willen des Kanzlers im EU-Rat für das Renaturierungsgesetz abstimmen? Unter österreichischen Juristinnen und Juristen ist über diese Frage eine intensive Debatte ausgebrochen. Die einen sehen Gewessler als zuständige Ministerin befugt; die anderen argumentieren, dass sie Einvernehmen mit weiteren betroffenen Ministern und den Bundesländern hätte herstellen müssen.
Doch unabhängig davon, wer recht hat – am gültigen Ratsbeschluss auf EU-Ebene wird sich aller Voraussicht nach nichts mehr ändern. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat zwar eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) angekündigt; politische oder rechtliche Streitigkeiten auf nationaler Ebene können die Gültigkeit von Ratsbeschlüssen aber grundsätzlich nicht beeinflussen, erklären deutsche Europarechtsexperten dem STANDARD.
Nehammers Brief
Zur Erinnerung: Nehammer hatte sich noch am Tag der Abstimmung mit einem Brief an den belgischen Ratsvorsitz gewandt und erklärt, dass Gewessler beim Renaturierungsgesetz nicht für Österreich abstimmen dürfe.
Matthias Ruffert, Professor für Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, hält diesen Brief für rechtlich nicht relevant. "Man kann nicht sagen, dass eine Ministerin zwar für Österreich an der Ratssitzung teilnimmt, aber nicht befugt ist, auf eine bestimmte Art und Weise abzustimmen", sagt Ruffert. "Entweder man ist Ministerin oder nicht. Und die Ressortministerin eines Mitgliedstaates ist natürlich befugt, für die Republik Österreich zu sprechen. Sonst würde der Rat nicht funktionieren."
Was Ruffert sehr wohl für denkbar hält, wäre, dass einer Ministerin schon im Vorfeld der Ratssitzung ganz generell die Befugnis entzogen wird, für die Republik zu sprechen – zum Beispiel, weil sie nach österreichischem Verfassungsrecht abgesetzt wurde. Im aktuellen Fall war das anders: Nehammer schrieb in dem Brief, dass Gewessler "in this regard" – also in dieser einzelnen, bestimmten Angelegenheit – nicht zustimmen dürfe. "Das bekommt man jetzt nicht mehr gerettet", ist Ruffert überzeugt.
Genauso in Deutschland
Sehr ähnlich sieht das Frank Schorkopf, Professor für EU-Recht an der Universität Göttingen. EU-Staaten werden im Rat durch bevollmächtigte Minister vertreten. Das bedeutet aber nur, dass eine formale Zuständigkeit gegeben sein muss. Ob ein Minister politisch oder nach dem Recht seines Heimatstaats aus zustimmen darf, ist nicht entscheidend.
In Deutschland wäre die Situation übrigens genauso, erklärt Schorkopf. Im Gegensatz zum österreichischen Bundeskanzler hat der deutsche Bundeskanzler zwar innerhalb der Regierung eine "Richtlinienkompetenz" – also eine Art übergeordnetes Weisungsrecht. Dennoch wäre es für die formale Gültigkeit der Abstimmung im EU-Rat unerheblich, wenn der Bundeskanzler seinen Ministern Anweisungen gibt.
Rein theoretisch könnten formale Fehler bei der Abstimmung im Rat dazu führen, dass ein Rechtsakt für nichtig erklärt wird. Der Vorsitz muss sich vor einer Abstimmung etwa vergewissern, dass der Rat beschlussfähig ist. Damit ist gemeint, dass die Mehrheit der stimmberechtigten Ratsmitglieder anwesend ist. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass bei der Abstimmung derartige Formalfehler passiert sind.
Letztlich läge die Entscheidung freilich beim EuGH. Eine Nichtigkeitsklage müsste innerhalb von zwei Monaten nach dem Gesetzesbeschluss eingebracht werden, erklärt Ruffert. "Der Europäische Gerichtshof braucht für eine Entscheidung in derartigen Angelegenheit ein oder zwei Jahre, eher zwei." (Jakob Pflügl, 20.6.2024)
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