Sonntag, 15. Dezember 2024

Die Chance, neu zu denken: Wie wir die Zukunft gestalten wollen, was wir essen wollen und wie wir es produzieren

  FAZ hier  Artikel von Hannah Ritchie 11.12.24

Grund zur Hoffnung: Mit Fleischersatz können wir den Klimawandel stoppen


Klimawandel. Luftverschmutzung. Überfischung. Entwaldung. Ein endloser Strom von Überschriften belegt, wie Menschen den Planeten und die Aussichten künftiger Generationen zerstören.

Das Gefühl greift um sich, dass es nicht gelingen wird, dies in den Griff zu bekommen. Oder vielmehr, dass Menschen nicht tun werden, was dafür nötig ist. Die Situation ist Ausdruck einer zerbrochenen Mensch-Umwelt-Beziehung. Während eines Großteils der Menschheitsgeschichte und besonders während der vergangenen Jahrhunderte standen Fortschritt und die Bewahrung der Umwelt in Konflikt miteinander.

Was den Menschen betrifft, hat die Welt in den vergangenen 100 Jahren große Fortschritte gemacht. Früher starb mehr als die Hälfte der Kinder vor der Pubertät; jetzt sind es weniger als vier Prozent. Krankheiten wurden ausgemerzt, Menschen leben viel länger, die meisten Kinder gehen zur Schule, haben Zugang zu Bildung, und die Welt produziert mehr Nahrung, als sie braucht. Sogar die Zahl der Todesopfer durch Katastrophen ist niedriger als im frühen 20. Jahrhundert. Natürlich ist die Welt auf so viele Weisen immer noch schrecklich und grausam. Es gibt enorme Ungleichheit und vermeidbare Tragödien. Aber in den meisten Ländern der Welt – auch den ärmsten – sind die Dinge besser geworden.

Abschied von der „Wir sind verloren“-Fraktion

Leider geschah der Fortschritt auf Kosten der Umwelt. Er wurde größtenteils von fossilen Energien angetrieben, verursachte den Klimawandel und tötete jedes Jahr Millionen durch Luftverschmutzung. Die Vergrößerung landwirtschaftlicher Flächen ließ Wälder und Lebensräume schrumpfen. Unseren geographischen Fußabdruck machen weniger Städte, Straßen und Minen aus als die Nahrungsmittelproduktion: Die Hälfte der bewohnbaren Fläche der Welt wird für Landwirtschaft genutzt, nur ein Prozent für Städte.

Die Frage ist, ob wir dieser Sackgasse entkommen können. Können wir das Leben der Menschen verbessern und zugleich die Umweltauswirkungen reduzieren? Vor zehn Jahren hätte ich gesagt: Nein. Ich gehörte der „Wir sind verloren“-Fraktion an. Unwillig, ökonomischen und sozialen Fortschritt aufzugeben, würden wir die Welt um uns herum weiter zerstören, bis sie es uns heimzahlt. Jetzt bin ich optimistischer. Nicht blind hoffnungsvoll, aber vorsichtig optimistisch.

Dichter Smog gehört der Vergangenheit an

Teils kommt das von meiner Arbeit mit Daten. Abseits des Bombardements täglicher Überschriften öffnen sie den Blick dafür, dass Probleme durchaus gelöst werden oder es in die richtige Richtung geht. Wann haben Sie zum letzten Mal vom Ozonloch oder von saurem Regen gehört? Wahrscheinlich vor langer Zeit, denn das sind Probleme, die wir in den Griff bekommen haben. Der Ausstoß von Substanzen, welche die Ozonschicht zerstören, wurde weltweit um 99 Prozent reduziert. Der Ausstoß von Schwefeldioxid, das sauren Regen verursacht, wurde um 80 bis 90 Prozent verringert, in Deutschland um mehr als 95 Prozent.

Die Luftverschmutzung geht weltweit zurück. Dichter Smog in Städten wie London, Edinburgh und Berlin gehört einer fernen Vergangenheit an. In Deutschland ist die Emission gefährlicher Schadstoffe wie Stickoxide seit 1970 um 70 Prozent zurückgegangen. Nicht nur reiche Länder machen hier Fortschritte. In China hat sich die Luftverschmutzung in den vergangenen zehn Jahren um bis zu zwei Drittel verringert, die Lebenserwartung der Bewohner von Städten wie Peking sich um Jahre verlängert. Selbst der Anstieg bei den Treibhausgasemissionen hat sich verlangsamt. In den meisten reichen Ländern geht der Ausstoß zurück. Und angesichts des schnellen Ausbaus von Solar- und Windenergie in China glauben manche Analysten, dass der globale Höhepunkt bei den Emissionen in ein oder zwei Jahren erreicht sein könnte.

Die meisten unserer Probleme haben mit Energie und Ernährung zu tun

Das ist kein Grund, selbstzufrieden zu sein. Gut ist noch lange nichts. Die Emissionen dürfen nicht nur nicht mehr steigen, sie müssen dramatisch sinken. Die Temperaturrekorde des vergangenen Jahres wurden 2024 wohl erneut gebrochen. Immer noch sterben Millionen Menschen durch Luftverschmutzung. Immer noch verlieren wir Regenwald. Arten sterben weiterhin aus. Aber die richtigen Entwicklungen sind da, und es gibt Gründe zu glauben, dass sie sich beschleunigen können.

In meinem Buch „Hoffnung für Verzweifelte“ betrachte ich sieben der größten Umweltprobleme: wie wir in das Schlamassel geraten sind und was wir nun tun müssen. Die meisten unserer Probleme haben mit zwei Dingen zu tun: Energie und Ernährung. Klimawandel und Luftverschmutzung werden durch das Verbrennen fossiler Energieträger verursacht. Abholzung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch und Überfischung wurzeln fast ausschließlich in der Nahrungsproduktion.

Der Weg zur Nachhaltigkeit führt daher über ein paar wenige, aber entscheidende Veränderungen: den Übergang zu sauberer Energie, die Verringerung der landwirtschaftlichen Fläche und den effektiveren Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden. Dank schneller Weiterentwicklung der nötigen Technologien sind wir in einer einmaligen Lage, diesen Wandel zu schaffen.

Unsere Vorfahren hatten diese Möglichkeit nicht. Die einzige Energiequelle, die ihnen zur Verfügung stand, war Holz – dessen Verbrennung schlecht für die Gesundheit ist –, später fossile Brennstoffe. Saubere Energie wurde erst in den letzten 50 Jahren eine Option. Und erst in den letzten zehn wurde sie erschwinglich. Vorher gehörten Sonne und Wind zu den teuersten Energiequellen. Jetzt sind sie wettbewerbsfähig oder sogar billiger als fossile Brennstoffe. Das Gleiche gilt für Batterien von Elektroautos. Die Niedrig-Kohlenstoff-Variante zu wählen macht nicht nur langfristig ökonomisch Sinn, sondern wird auch kurzfristig oft zur günstigeren Option. Das ist entscheidend.

 Ob wir es mögen oder nicht, die menschliche Psychologie bezieht die Zukunft nicht mit ein, weshalb der Klimawandel ein so herausforderndes Problem ist. Deswegen müssen die Dinge schnell billig und einfach werden. Die gute Nachricht ist, dass das auch passiert.

Die Welt produziert mehr Nahrung, als sie braucht

Das Gleiche gilt für Nahrung. Wir können acht Millionen Menschen leicht mit deutlich weniger Fläche ernähren. Während Hunderte Millionen hungern, produziert die Welt viel mehr Nahrung, als sie braucht. Viel geht verloren, weil es an Tiere verfüttert, für Biogas verwendet oder schlicht weggeworfen wird. Weniger als die Hälfte des weltweit erzeugten Getreides und weniger als ein Viertel des angebauten Sojas wird zu Essen für Menschen verarbeitet. Bessere Saat, Bewässerung, Dünger und Neuerungen in der landwirtschaftlichen Praxis haben die Erträge in die Höhe schnellen lassen. Auch dies war unseren Vorfahren nicht möglich. Auf der ganzen Welt sta­gnierten die Ernteerträge auf niedrigem Niveau. Mehr zu produzieren hieß, mehr Land zu bewirtschaften, was weniger Wald bedeutete.

Der Fleischkonsum ist ebenfalls stark gestiegen. Ungünstigerweise ging das mit hohen Umweltkosten einher. Also müssen wir eine andere Form von gut schmeckendem, nährstoffreichen Protein produzieren. Es wird gern argumentiert, dass es das schon gibt. Man muss nicht fleischähnliche Produkte essen, die Menschen können auf Linsen, Erbsen und so weiter umsteigen. Stimmt, das könnten sie. Es heißt nicht, dass sie es tun werden. Der Fleischverbrauch steigt weltweit und wird auch in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Konsum nicht bedeutend kleiner.

Deswegen finde ich alternative Proteine – pflanzenbasierten Fleischersatz, Laborfleisch und Präzisionsfermentation – so aufregend. Damit kann man die Erfahrung, Fleisch zu essen, nachahmen, mit einem Bruchteil der Auswirkungen auf die Umwelt und ohne jedes Jahr Milliarden Tiere zu töten. Wenn wir einen 1:1-Ersatz hätten, könnten wir den Umweltschaden dramatisch verringern. Drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen bräuchte man nicht mehr. Die Abholzungsraten würden sinken. Die Treibhausgasemissionen bekämen eine große Delle.

Ohne Technologien wird es nicht gehen

Sie könnten nun den Eindruck haben, dass ich eine „Techno-Optimistin“ bin. Dass ich glaube, Technologie habe die Antwort auf alles. Das stimmt nicht. Ich denke jedoch, dass es ohne innovative Technologien unmöglich ist, acht Milliarden Menschen bei geringen Auswirkungen auf die Umwelt zu ernähren. Diese Technologien agieren allerdings nicht in einem Vakuum. Regulierungen, staatliche Unterstützung, ökonomische Anreize und die öffentliche Meinung sind entscheidend beim Aufbau eines Ökosystems der Lösungen.

Deutschlands frühe Investitionen in erneuerbare Energien haben deren Kosten gesenkt. China hat das Gleiche bei Batterien und Solarenergie erreicht. Das Montreal-Protokoll – eines der erfolgreichsten internationalen Abkommen – hat die Ozonschicht geschützt. Der Clean Air Act der USA und vergleichbare Gesetze in Europa haben unzählige Leben gerettet. Regierungen, die öffentlichen Druck spüren, spielen eine entscheidende Rolle.

Doch auch sie arbeiten nicht in Isolation. Es wäre schwer gewesen, die Sub­stanzen zu verbieten, welche die Ozonschicht zerstören, hätten keine Alternativen zur Verfügung gestanden. Regulatio­nen zur Eindämmung des sauren Regens waren nur dank Technologien zur Entschwefelung möglich. Die Industrie hat das möglich gemacht. Heute ist es nicht anders. Ein Verbot von Verbrennerautos wäre nicht denkbar ohne bezahlbare elek­trische Alternativen und Ausstiegspläne für Kohle und Gas nicht ohne bezahlbare Solar-, Wind- oder Atomenergie.

Es scheint zwei unvereinbare Haltungen zu geben: die, dass nur Regierungen und staatliche Regulierungen den Weg zu einer nachhaltigen Zukunft ebnen können, und die, dass nur Technologie und der Markt dies schaffen. Diese Extreme sind Karikaturen: Wir brauchen beides. Wir haben eine weiten Weg vor uns, und ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden. Aber eine nachhaltige Zukunft ist möglich, wenn wir uns Mühe geben.

Dazu gehört eine positive Vision dessen, was wir erreichen wollen. Die Menschen müssen es aufregend finden, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der Wandel wurde bislang als Opfer verkauft. Diese Nachricht ist nicht nur ineffektiv, sie verzerrt auch die Realität. Denn die Transformation birgt Möglichkeiten: die Chance, neu zu denken, wie wir Energiesysteme, Städte und den Nahverkehr gestalten wollen, was wir essen wollen und wie wir es produzieren. Die Chance, unsere Beziehung zur Natur zu erneuern. Wir werden nie in perfekter Balance leben, aber wir können beginnen, eine verloren gegangene Beziehung der Gegenseitigkeit wieder aufzubauen.

Hannah Ritchie, 32, ist Senior Researcher im Programm für globale Entwicklung der Universität Oxford. Sie ist Autorin des Buchs „Hoffnung für Verzweifelte. Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen.“

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