Viel zu lange hat die Politik die Augen verschlossen vor einer wichtigen Tatsache: die Demographie mit ihren Auswirkungen. Jetzt ploppt es hoch, gerade in einer Zeit in der wir nicht noch eine Krise brauchen...
Handelsblatt hier Barbara Gillmann 09.12.2024
Transformation: Energiewende braucht mehr als doppelt so viele Fachkräfte wie bisherBis 2030 sind für Windkraft, Solar und Wasserstoff rund 350.000 neue Fachkräfte nötig, zeigt eine Studie der DIHK. Es fehlen nicht nur Experten. Auch ein Mangel an Lkw-Fahrern wird zum Problem.
Um den Ausbau bei Solar, Wind und Wasserstoff zu schaffen, benötigen die Unternehmen schon bis 2030 mehr als eine halbe Million Fachkräfte. Zu den aktuell 200.000 Beschäftigten müssten also in nur fünf Jahren 350.000 dazukommen. Das zeigt eine Prognos-Studie für die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), die dem Handelsblatt vorliegt.
Dabei geht es keineswegs nur um einschlägige „Klimaberufe“ wie Dachdecker, Heizungsmonteure oder Windanlagenbauer, warnt DIHK-Vizegeschäftsführer Achim Dercks. Denn auch Engpässe in Logistik oder der Verwaltung würden die Transformation insgesamt gefährden. So könne sich etwa „der Aufbau von Windkraftanlagen verzögern, weil Lkw-Fahrer fehlen“.
Allein für die Solar- und Windbranche seien bis 2030 circa 300.000 zusätzliche Fachkräfte nötig. Es könnten aber weitere 50.000 hinzukommen. Auf diese Zahl könnte der Fachkräftebedarf der Wasserstoffindustrie geschätzt werden, wie Prognos-Autoren berechnet haben. Die Prognose für die junge und kleine Wasserstoffindustrie fällt jedoch grundsätzlich schwerer, wie die Autoren einräumen. Bis 2045 erwarten sie bis zu 80.000 Beschäftigte.
Unter dem Strich stiege damit die Zahl der absehbar notwendigen Beschäftigten innerhalb eines Jahrzehnts auf rund 550.000 Personen. Derzeit arbeiten 200.000 Beschäftigte in dem Bereich. Ihre Zahl müsste sich also binnen fünf Jahren mehr als verdoppeln.
Basis ist das Ziel der Bundesregierung, die Wirtschaft bis 2045 klimaneutral zu machen. Aktuell hinkt der Ausbau von Solar- und Windenergie weit hinterher. So sieht das Erneuerbare-Energien-Gesetz für 2030 eine Photovoltaik-Leistung von 215 Gigawatt (GW) vor. Im März waren aber erst 82 GW installiert.
Bei der Windkraft sollen bis 2030 mehr als 115 GW an Land und 30 GW auf See ausgebaut sein. Erreicht sind bisher an Land immerhin 61 GW, aber erst 8,5 GW auf See. Die Nationale Wasserstoffstrategie sieht beim Wasserstoff einen Aufbau der Elektrolysekapazitäten von 10 Gigawatt bis 2030 vor. Aktuell sind die meisten Projekte aber noch in der Planungsphase, installiert sind lediglich 154 Megawatt.
DIHK warnt: Ohne Fachkräfte seien die Ausbauziele „Utopie“
„Gelingt es uns nicht, den Fachkräftemangel entlang der gesamten relevanten Wertschöpfungsketten in den Griff zu bekommen, sind die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien eher eine Utopie denn ein realistisches Zukunftsszenario“, warnt Dercks.
Das weit größere Problem sind dabei nicht fehlende Akademiker, sondern beruflich ausgebildete Fachkräfte von den Gesellen bis zur Meisterin. Auf sie entfallen zwei Drittel der nötigen Jobs. Daher müssten vor allem die Schüler besser informiert werden: Wenn es gelinge, ihnen und den Eltern klarzumachen, dass nicht nur die beliebten „grünen Berufe“ wie Umwelttechniker oder Heizungsinstallateurin für die Wende nötig sind, „sondern auch Bürofachkräfte oder Logistiker einen unverzichtbaren Beitrag zur Klimaneutralität leisten, könnte man eine viel breitere Gruppe erreichen“, hofft Dercks.
Dringend nötig sei daneben eine attraktivere Fortbildung, also die sogenannte „höhere Berufsbildung“ zur Fachwirtin oder zum Meister. Hier sind die Abschlusszahlen in den letzten Jahren jedoch zurückgegangen. Ein Gesetz, das die Förderung durch den Staat weit attraktiver machen sollte, ist vor wenigen Tagen am Ampel-Aus gescheitert.
Das Beispiel des Solaranlagenanbieters Enpal zeigt, wie entscheidend Fachkräfte aus dem Ausland sowie das große Reservoir der Ungelernten in Deutschland sein können: Das Start-up hat sowohl in Bosnien als auch in Kolumbien Ausbildungszentren eröffnet, um Elektriker vor dem Wechsel nach Deutschland mit dem nötigen Spezialwissen für Solar und Wärmepumpen vorzubereiten. Bisher seien allein aus Bosnien mehr als 100 Elektriker rekrutiert worden, sagte Wolfgang Gründinger von Enpal.
2022 eröffnete Enpal die hauseigene Photovoltaik-Akademie in Brandenburg. Sie ist nach Unternehmensangaben heute das größte Schulungszentrum für das Solarhandwerk in Europa: Dort seien bisher rund 2000 Ungelernte in vier Wochen für die Montage von Solaranlagen fit gemacht worden. Der Lohn betrage von Anfang an 3000 Euro brutto monatlich.
„Darunter sind viele Syrer und Ukrainer“, berichtet Gründinger, „insgesamt kommen die Leute aus 60 Nationen.“ Ansonsten seien es meist Dachdecker, die Solaranlagen montieren, doch die seien "einerseits überqualifiziert" und damit teurer, „andererseits unterqualifiziert, weil sie nicht speziell für Photovoltaik ausgebildet sind“.
WiWo hier Lisa Ksienrzyk 10.12.2024
Keine Elektroniker, keine Energiewende?
Keine Elektroniker, keine Energiewende?
18.000 offene Stellen: Fast alle Branchen beklagen einen Fachkräftemangel. Auch Elektroniker, die maßgeblich zur Energiewende beitragen. Nur: Es gibt genug Auszubildende. Wo stockt es?
In diesem Jahr hat der Stuttgarter Elektrotechniker Bürkle + Schöck etwa 40 jungen Leuten eine Absage erteilt. Sie haben sich alle auf einen Ausbildungsplatz bei dem Betrieb beworben, nur vier bekamen den Posten. Über zu wenig motivierte Bewerber könne sich der 59-jährige Geschäftsführer Thomas Bürkle nicht beschweren. Im Gegenteil: Der Elektronikerberuf werde immer mehr nachgefragt. Bürkle + Schöck ist kein Einzelfall, andere Unternehmen berichten ähnliches. Und dennoch: Die Fachkräftelücke unter Elektrotechnikern ist enorm.
Zahlreiche Studien behandeln die angespannte Lage am deutschen Arbeitsmarkt. Einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zufolge fehlten zwischen dem Sommer 2023 und dem Sommer 2024 mehr als 18.000 Energieelektroniker – die drittgrößte Arbeitskraftlücke in dieser Studie. Lediglich Sozialarbeiter und Erzieher ließen mehr Stellen unbesetzt. In diesem Herbst meldeten 52 Prozent der Elektrounternehmen, dass sie nach wie vor freie Positionen haben, heißt es vom Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Die Prozentzahl sinkt zwar halbjährlich, dennoch bleibt sie alarmierend.
Denn Elektroniker müssen die deutsche Energiewende voranbringen. Ziel der Europäischen Union ist es, die CO2-Emission bis 2050 um bis zu 95 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu verringern. Dafür soll der gesamte erzeugte und verbrauchte Strom treibhausgasneutral sein. Das erste Etappenziel der Bundesregierung ist nicht einmal mehr sechs Jahre entfernt: Dann soll der Strombedarf bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Es benötigt also Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und smarte Haussysteme. Angeschlossen werden diese von Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik, kurz genannt Energieelektronikern.
Gesucht sind Azubis, doch stattdessen gibt es ein Heer 21-jähriger Bachelor-Absolventen
Die Krise auf dem Ausbildungsmarkt spitzt sich zu: Unternehmen finden nicht mehr die richtigen Bewerber – und umgekehrt. Wie lässt sich das Drama lösen?
„Durch die Energiewende ist der Bedarf an Fachkräften enorm gestiegen“, sagt Firmeninhaber Bürkle. Sein Großvater hat den Elektrikerbetrieb vor etwa 100 Jahren gegründet, in der Zeit habe sich das Handwerk stark weiterentwickelt. Fluch und Segen zugleich. „Wir merken seit vier Jahren deutlich, dass ein Wandel in den Köpfen stattfindet und profitieren davon, dass unsere Berufe als sinnstiftend angesehen werden“, äußert der 59-Jährige. Ähnliches berichten auch Berufsschulen und der Verband ZVEH.
Beruf mit Sinn
Der Beruf des Energieelektronikers hat Zukunft. Junge Menschen interessieren sich vermehrt für Jobs, die einen nachhaltigen Zweck verfolgen. Das umfasst nicht nur die Energiewende, auch die Chipindustrie sucht händeringend nach Mikroelektronikern. Ein Zustand, der den Betrieben zugutekommt. Ein weiteres großes Plus: Die Bezahlung ist vergleichsweise gut. Das Einstiegsgehalt liegt laut Tarifvertrag der IG Metall bei durchschnittlich 2.400 Euro. Auszubildenden winken bis zu 1000 Euro im ersten Jahr.
„Woran wir noch arbeiten müssen, ist, dass es in den E-Handwerken zu wenig Frauen gibt. Dabei hat sich der Beruf über die Jahre sehr verändert“, ergänzt Geschäftsführer Bürkle. Im vorigen Jahr waren lediglich 2,9 Prozent der insgesamt 46.196 Auszubildenden weiblich. Die Tendenz steigt, aber im Gesamtvergleich kaum merklich. Körperlich anstrengende Arbeit sei weniger geworden, heutzutage müsse man sich viel mit Messgeräten auskennen, auch am Computer arbeiten. „Gebäude werden, nicht zuletzt im Zuge der Energiewende, immer digitaler und intelligenter. Die Elektrifizierung und smarte Gebäudetechnologien erleben einen Boom“, sagt Alexander Neuhäuser, Hauptgeschäftsführer des Berufsverbands ZVEH.
Dieser Fortschritt hat dazu geführt, dass die Handwerkskammern das Berufsfeld des Elektrotechnikers vor drei Jahren überarbeitet haben. Aus sieben Ausbildungsberufen wurden fünf. Die Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik wurde neu herausgearbeitet und definiert. Die Kammern haben die Qualifikationen an die Nachfrage angepasst. Denn mit dem Boom um Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Wallboxen ist der Bedarf an Elektronikern sprunghaft gestiegen.
Und hier liegt das Problem. Aufgrund der Energiewende sind neue Aufgabenfelder entstanden, die es vorher nicht gab. Folglich benötigt es mehr Fachkräfte, die all diese Bereiche abdecken müssen. Das Handwerk habe sich aber nicht schrittweise an diese Entwicklung anpassen können, sondern sei von politischen Entscheidungen immer wieder überrumpelt worden, ärgert sich Verbandschef Neuhäuser. Als die KfW im September 2023 beispielsweise solarbetriebene Ladestationen für E-Autos bezuschusste, wurden Elektrobetriebe deutschlandweit mit Anfragen überrannt. Über Nacht bewarben sich 33.000 Haushalte für das Förderprogramm, alle wollten sofort einen Termin bei ihrem Elektrotechniker. Unmöglich......
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