Freitag, 6. Dezember 2024

Verkehrswende ist eine „industrie- und sozialpolitische Kernaufgabe" - doch wir kommen nicht voran damit!

 hier  Frankfurter Rundschau   Artikel von Frank-Thomas Wenzel • 4.12.24

Investitionen: Neustart auf Straße und Schiene

Die Verkehrswende stockt. Bei Infrastruktur und E-Mobilität hat Deutschland große Defizite.
Straßen, Schienen und Wasserwege wurden lange Zeit sträflich vernachlässigt. Die Autobranche muss bei der Elektromobilität dringend aufholen. Wir erläutern, was es für eine Verkehrswende 2.0 braucht.



Wie fällt die Bilanz für die Verkehrswende aus?

Die Denkfabrik Agora Verkehrswende gibt der gescheiterten Ampel-Regierung ein Unzureichend: „Als schweres Erbe erweist sich vor allem die Ungewissheit über die langfristige Finanzierung und Planung zukunftsfähiger Verkehrsinfrastrukturen sowie der Rückstand als Leitmarkt der Elektromobilität.“ Die Wirtschaftsweisen machen in ihrem aktuellen Gutachten klar, dass es bereits zuvor erhebliche Defizite gab. Die öffentlichen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur reichten seit Jahrzehnten nicht aus, um diese zu erhalten, schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR).

Was bedeuten die Versäumnisse?

Laut SVR-Berechnungen lag der Modernitätsgrad der Eisenbahnen im Jahr 2005 (Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel, CDU) noch deutlich über 68 Prozent. 2022 waren es nur noch gut 62 Prozent. Nicht ganz so stark war der Rückgang bei den Fernstraßen und den Wasserstraßen. So führt das marode Schienennetz dazu, dass kaum ein Zug noch pünktlich ist. Im Straßennetz müssen Tausende Brücken saniert werden. Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende, betont, die Verkehrswende sei kein grünes Nischenprojekt, sondern nun eine „industrie- und sozialpolitische Kernaufgabe“.

Wie lässt sich der Rückstand aufholen?

Hochfeld macht sich für eine „Finanzreform und eine Investitionsoffensive“ stark. Der SVR schlägt einen Fonds vor, der mit eigenen Einnahmen ausgestattet und im Grundgesetz verankert wird. Das Geld dafür soll aus der Lkw-Maut und einer neuen Pkw-Maut kommen. Auch Einnahmen aus der Energiesteuer (früher: Mineralölsteuer) und der Kfz-Steuer könnten vom Bundeshaushalt in diesen Fonds umgeleitet werden. Ziel sei, „die Ausgaben glaubwürdig zu verstetigen“. Zudem könne der Fonds auch mit „begrenzten Kreditermächtigungen“ ausgestattet werden, „um konjunkturelle Schwankungen“ bei den Einnahmen zu glätten.

Hängen Transformation im Verkehrssektor und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zusammen?

Die Automobilindustrie hinkt in der Elektromobilität im internationalen Vergleich technisch hinterher. Massive Absatzeinbrüche in wichtigen Märkten sind die Folge. Doch diese Schlüsselbranche habe, so Hochfeld, mit einem schnellen Hochlauf auf ihrem Heimatmarkt gleichwohl große Chancen. Frank Schwope von der Fachhochschule des Mittelstandes in Hannover betont: „Was die Hersteller jetzt brauchen, sind stabile Rahmenbedingungen – dass nicht heute Elektromobilität im Fokus steht, morgen wieder der Verbrenner ausgegraben wird.“

Was muss konkret geschehen?

  • Hochfeld verlangt, dass deutsche Unternehmen künftig gemeinsam mit asiatischen Technologieführern hierzulande E-Autos bauen. 
  • Ferner müssten die vor einem Jahr eingestellten Kaufprämien für die Stromer wieder eingeführt werden. Bei dieser Förderung gelte es, einen Schwerpunkt auf kleinere Pkw mit einem Preis von maximal 40 000 Euro zu legen. Sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert: „Die E-Prämie braucht es wieder.“ 
  • Ein weiterer Baustein muss laut Agora der Ausbau der Ladeinfrastruktur sein. Das Problem: Zwar steigt die Zahl der Ladepunkte, aber abseits der Autobahnen fehlt es vor allem an Schnellladern, die in einer halben Stunde Akkus bis zu 80 Prozent füllen können.

Welche Rolle spielen Subventionen für Verbrennerfahrzeuge?

Dienstwagen machen zwei Drittel aller Neuzulassungen ausDie steuerlichen Begünstigungen dieser Autos mit Verbrennermotor sind enorm. Die Brüsseler Denkfabrik T&E hat in einer aktuellen Studie einen Wert von knapp 14 Milliarden Euro jährlich errechnet. 

Die Vergünstigungen setzen sich aus der Pauschalbesteuerung des geldwerten Vorteils auf das Auto und auf Tankkarten, Vorsteuerabzug und Abschreibungen zusammen.
Susanne Goetz von T&E betont, es gebe hierzulande keinen echten Anreiz, auf E-Dienstwagen umzusteigen. Sie fordert deshalb, den geldwerten Vorteil mit steigendem CO2-Ausstoß stärker zu besteuern sowie Abschreibungsmöglichkeiten für E-Autos auszuweiten und für Verbrenner zu reduzieren. Solche Regelungen haben in Belgien und Großbritannien die Zahl der E-Dienstwagen deutlich erhöht.

Welche sozialpolitischen Maßnahmen sind nötig?

Hochfeld empfiehlt, Konzepte wie das in Frankreich eingeführte „Social Leasing“ – Leasing-Verträge für Elektro-Pkw mit staatlichen Subventionen – auch für Deutschland zu prüfen. So könne man Menschen, die auf den Pkw angewiesen sind, einen Umstieg aufs E-Auto ermöglichen. Daneben müsse in ländlichen Regionen ein Verbund aus Bussen und Bahnen, Carsharing und Shuttle-Diensten zu einem „Mindestangebot des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge“ aufgebaut werden. Der Agora-Chef setzt dabei auch auf autonom fahrende Busse. Studien zeigen, dass diese schon in wenigen Jahren zum Einsatz kommen könnten.


Handelsblatt hier  05.12.2024 

Klimaneutralität im Verkehr bis 2045 ist Experten zufolge gefährdet

Aus Sicht von Verkehrsexperten ist die scheidende Bundesregierung bei der Verkehrswende nicht weit genug vorangekommen. Offenbar wurden sogar Vorhaben rückgängig gemacht.

Ob bei der Elektromobilität oder dem Ausbau des Schienenverkehrs: Aus Sicht von Verkehrsexperten ist die scheidende Bundesregierung bei der Verkehrswende nicht weit genug vorangekommen. „Die Gesamtbilanz fällt ernüchternd aus und vor allem unzureichend“, sagte Christian Hochfeld, Direktor der Agora Verkehrswende. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für Klimaneutralität im Verkehr ein. Hochfeld warnt: „Die Klimaneutralität des Sektors bis 2045 ist gefährdet.“

So habe sich die inzwischen beendete Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP unter anderem das Ziel gesetzt, den E-Auto-Bestand in Deutschland bis 2030 auf rund 15 Millionen Fahrzeuge zu erhöhen. Werde auf weitere Maßnahmen verzichtet, werde dieses Ziel um rund sechs Millionen Fahrzeuge verfehlt, schreibt die Organisation in einer vorläufigen Bilanz zur Arbeit der Regierung. Mitte dieses Jahres gab es im Bestand gut 1,5 Millionen reine E-Autos.

Notwendig seien neue Förderprogramme, um insbesondere Haushalten mit niedrigeren und mittleren Einkommen den Kauf eines E-Autos zu ermöglichen und somit neue Kundengruppen zu erschließen. Für Schienen und Straßen in Deutschland seien zudem eine langfristige Finanzierung erforderlich, damit die Baubranche ihre Kapazitäten hochfahren könne. Hochfeld befürwortete einen Infrastrukturfonds, in den auch Mittel aus einer einzuführenden Pkw-Maut fließen könnten.

Aufgehobene Klimaziele

Deutlich kritisierte er, dass im überarbeiteten Klimaschutzgesetz sektorspezifische Klimaziele aufgehoben wurden. Seither müssen die einzelnen Ministerien nicht mehr nacharbeiten, wenn die CO2-Reduktionsziele in ihrem Bereich verfehlt werden. Im Verkehr ist das seit Jahren der Fall. „Dass der Verkehrssektor aus der Pflicht genommen wurde, hat aus unserer Sicht dazu geführt, dass noch weniger Emissionen eingespart werden“, sagte der Agora-Verkehrswende-Direktor. 

Um das Ziel Klimaneutralität im Verkehr bis 2045 noch zu erreichen, schlägt die Organisation für die nächste Bundesregierung mehrere Schwerpunkte vor, darunter eine Mobilitätsgarantie für Menschen, die etwa wegen eines fehlenden Führerscheins keinen Zugang zur Autonutzung haben - auch durch den Ausbau des Nah- und Regionalverkehrs auf dem Land.

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