Montag, 19. Dezember 2022

Entkräftete Mythen: Weihnachtlicher Handapparat für Klimadebatten

 Spiegel newsletter   hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  18.12.2022,

An Weihnachten wird viel gestritten, und dieses Jahr wird es dabei oft ums Klima gehen.
Viele Fehlinformationen sind zu diesem Thema im Umlauf – hier sind kompakte Antworten auf die gängigsten Mythen.

Ach ja, Weihnachten. Man begegnet Bekannten oder Verwandten, die man sonst selten trifft, Alkohol erhitzt Herzen und Gemüter, dann all die Krisen und der vorweihnachtliche Stress…

Ich habe den Verdacht, dass eines der beliebtesten Diskussionsthemen in diesem Jahr die Klimakrise sein wird, und sei es, weil sich der verbitterte Kollege oder grantige Onkel über Sekundenkleber-Staus und Dosensuppe aufregt. Es lohnt, in diesem Fall schnell auf das eigentliche Thema umzuschwenken: die größte Krise, die die Menschheit je erlebt hat. Mit erleichternden Fakten.

In Gesprächen darüber hört man immer wieder dieselben fünf Pseudoargumente. Alle sind leicht zu widerlegen.

Eins vorab: Sollten Sie an Weihnachten (oder sonst) auf jemanden treffen, der den menschengemachten Klimawandel weiterhin leugnen möchte, weisen sie knapp darauf hin, dass er offenbar an eine globale Verschwörung glaubt, der 196 Staaten, der Papst, die Chefs vieler Autokonzerne, die kommunistische Partei Chinas und sogar das saudische Königshaus angehören. Mit Verschwörungsverrückten zu diskutieren, ist in der Regel sinnlos.

1. »Deutschland trägt doch nur zwei Prozent aller Emissionen bei, wir können ja sowieso nichts ändern.«

Das ist gleich doppelt falsch. Zum einen ignoriert die Zahl zwei Prozent die Emissionen, die wir durch unseren Konsum von anderswo hergestellten Waren verursachen. Der Pro-Kopf-Ausstoß an konsumbasierten Emissionen in Deutschland liegt bei 8,8 Tonnen CO2 pro Jahr 

Dazu kommt: Bei den historisch kumulierten Emissionen durch fossile Brennstoffe liegt Deutschland weltweit auf dem vierten Platz . Wir verdanken unserem Wohlstand dem vielen CO2, das hier in den vergangenen Jahrzehnten emittiert wurde. Wir gehören also zu den Hauptschuldigen, wir emittieren pro Kopf viel mehr als weltweit pro Kopf emittiert werden darf.

Zum anderen ist es erwiesenermaßen falsch, dass Deutschland nichts ändern kann. Wir haben schon einmal bewiesen, dass das geht, und zwar dramatisch: Die Tatsache, dass Solarstrom seit etwa 20 Jahren exponentiell billiger wird und vielerorts (auch bei uns, siehe 5.) mittlerweile die günstigste Form der Energieversorgung überhaupt ist, ist deutscher Regulierung zu verdanken.

Ja, richtig gelesen: Die Solarsubventionen zu Beginn der sogenannten, bis heute so oft gescholtenen Energiewende waren global ausschlaggebend. Um den britischen »Economist« zu zitieren, »Die Lunte war angezündet. Die Rakete hob ab. Bis 2012 hatte Deutschland mehr als 200 Milliarden an Subventionen ausgezahlt. Aber es hatte auch die Welt verändert. «

2. »Das wahre Problem sind die Überbevölkerung und das Bevölkerungswachstum in Afrika und Asien.«

81 Prozent allen CO2, das derzeit in die Atmosphäre emittiert wird, stammt aus den G20-Staaten, also den reichsten Ländern der Erde . In diesen G20-Staaten leben derzeit etwa 4,9 Milliarden Menschen . Das sind etwa 62 Prozent der Weltbevölkerung. Das heißt: Die restlichen 38 Prozent der Weltbevölkerung emittieren zusammen nur 19 Prozent allen Kohlendioxids. Viele G20-Staaten wachsen gar nicht mehr – ihre Bevölkerungen überaltern und schrumpfen. Subsahara-Afrika, dessen Bevölkerungswachstum bei Fans der Überbevölkerungsthese ein besonders beliebtes Thema ist, trägt insgesamt weniger als ein Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen bei.

Dabei leben dort schon jetzt 15 Prozent der Weltbevölkerung. Die reichsten Länder der Welt würden es, wenn sie nicht endlich und drastisch die Richtung ändern, ganz allein schaffen, den Planeten so lange zu erhitzen, bis die menschliche Zivilisation zusammenbricht. Bevölkerungswachstum und CO2-Emissionen sind entkoppelt. Und: Es gibt keine »Bevölkerungsexplosion«. Das Wachstum nimmt seit Jahrzehnten ab.

Das – falsche! – Überbevölkerungsargument ist aus gutem Grund besonders bei der radikalen und extremen Rechten sehr beliebt: Es enthebt einen selbst scheinbar der Verantwortung, etwas zu tun – und es schiebt die Schuld auf Leute ab, auf die man in diesen Kreisen aus rassistischen Motiven heraus sowieso herabblickt. Außerdem bedient es sich der rechts außen so beliebten Täter-Opfer-Umkehr: Die Menschen im globalen Süden, wo es tatsächlich noch Bevölkerungswachstum gibt, haben am wenigsten zur Klimakrise beigetragen – sie tragen aber jetzt schon die Hauptlast der katastrophalen Folgen. Richtig ist: Wir müssen unbedingt alles dafür tun, dass all diese Staaten und Menschen unsere eigenen Fehler vermeiden.

3. »Es ist zu spät, den Klimawandel zu stoppen, wir können uns nur noch anpassen.«

Die These, dass man sich an eine ungebremste Erderhitzung »anpassen« könnte, ist absurd. So absurd wie die Behauptung, es mache nichts, wenn das Fieber weiter steige, der Patient müsse sich nur an die höhere Körpertemperatur anpassen. Würde es zu heiß, käme es zu so vielen Katastrophen auf einmal, dass die Zivilisation das nicht überleben würde. Das ist derzeit durchaus weiterhin im Bereich des Möglichen.

Dann könnten zum Beispiel einfach nicht mehr genügend Lebensmittel produziert werden, gigantische Flüchtlingsbewegungen und Kriege aufgrund von Dürren, Monsterstürmen, Hitzewellen, Überschwemmungen und anderen klimabedingte Katastrophen würden auch vermeintlich reiche Nationen an ihre Grenzen bringen. Weil Lieferketten zusammenbrechen, weil neue Krankheiten entstehen und Ökosysteme, auf die wir absolut angewiesen sind, kollabieren.

Richtig ist: Wir werden nicht darum herumkommen, uns auf die Schäden, die schon jetzt sichtbar und auch auf die, die schon jetzt unausweichlich sind, einzustellen, etwa mit Stadtplanung, anderer Land-, Forst- und Moorwirtschaft, Architektur, Gesundheitsvorsorge, Arbeitsorganisation. Es ist aber nicht möglich, von der Bekämpfung der Klimakrise auf reine »Anpassung« umzuschwenken. Dann wird es einfach immer heißer, der Meeresspiegel steigt immer schneller  – und wenn es ganz schlimm kommt, gibt es irgendwann keine Wolken mehr . Daran kann sich die Menschheit nicht anpassen. Wir müssen diese Erhitzung unbedingt stoppen. So schnell wie möglich.

4. »Irgendwann holen wir das CO2 dann einfach wieder aus der Atmosphäre heraus.«

Tatsächlich werden wir, nach aktueller Lage der Dinge, gar nicht darum herumkommen, irgendwann in möglichst großem Stil CO2 wieder herauszuholen aus der Atmosphäre. Die bislang überwiegend theoretische Möglichkeit, dass das eines Tages in wirtschaftlich tragbarer Weise möglich sein könnte, ist nämlich in den aktuellen Szenarien des Weltklimarates IPCC  schon eingepreist. Bislang aber ist das reines Wunschdenken: CO2-Entnahme aus der Luft ist mit den aktuell verfügbaren Technologien so energieintensiv, aufwendig und teuer, dass die bislang existierenden Pilotanlagen nur homöopathische Dosen Treibhausgase einfangen.

Schon die in derzeitigen Klimaszenarien enthaltenen Annahmen über künftige Verbesserungen in diesem Bereich sind aus heutiger Sicht sehr optimistisch. Optimismus ist nötig, aber sicher nicht hinreichend zur Lösung unserer Probleme. Und wir haben keine Zeit mehr.

Die einfachste und billigste Methode, CO2 aus der Atmosphäre herauszuhalten, ist, keines zu emittieren. Jede vermiedene Tonne spart beträchtliche Summen. »Nicht ausgegeben ist auch verdient«, sagt ein schwäbisches Sprichwort.

5. »Klimaschutz ist zu teuer.«

Richtig ist das exakte Gegenteil. Das Energiesystem, Wohnen und Mobilität so umzustellen, dass sie tatsächlich CO2-neutral sind, erfordert Anfangsinvestitionen – diese Investitionen machen sich aber sehr schnell bezahlt, denn Sonne und Wind stellen keine Rechnungen. In mehr als der Hälfte der Länder der Welt, Deutschland eingeschlossen, ist sauberer Strom jetzt schon konkurrenzlos günstig. Aus einer Studie von »Bloomberg NEF« : »In Staaten einschließlich China, Indien und Deutschland ist es jetzt billiger, ein neues, großes Solarkraftwerk zu errichten, als ein bereits existierendes Kohle- oder Gaskraftwerk weiterzubetreiben.«

Es ist wirklich so: Zu erneuerbaren Energien zu wechseln, ist substanziell günstiger , als so weiterzumachen als bisher. Das haben Sie vermutlich noch nicht oft gehört, und das ist ein Propagandaerfolg der Branchen, die fossile Brennstoffe verkaufen.

Je früher wir damit anfangen, desto früher profitieren wir. Und je schneller Deutschland vormacht, dass es geht und sich lohnt, desto früher werden andere Staaten diesem Beispiel folgen. Viel Zeit haben wir für die Vorreiterrolle nicht mehr: Die USA werden, Joe Bidens »Inflation Reduction Act« sei Dank, dort in den nächsten Jahren gewaltige Sprünge machen. Riesige Geldströme wechseln gerade die Richtung . Auch in China wächst Sonnen- und Windenergie seit Jahren exponentiell. Wir sollten uns nicht abhängen lassen.

All das wird wiederum hoffentlich dazu führen, dass der Temperaturanstieg früher beendet werden kann, als das bislang zu befürchten war. Das spart gigantische Mengen Geld – und rettet viele Menschenleben. Die 30 Milliarden Euro, die allein die Ahrtalkatastrophe den deutschen Steuerzahler kosten wird, scheinen vielerorts schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Und die 134 Todesopfer auch.

Die European Environment Agency schätzt , dass klima- und wetterbedingte Katastrophen allein in Europa zwischen 1980 und 2020 450 bis 520 Milliarden Euro Schaden angerichtet und 85.000 bis 145.000 Menschen das Leben gekostet haben. Und die Risiken wachsen vorerst immer weiter.

Klimaschutz zahlt sich also doppelt und dreifach aus: Er macht Energieversorgung und Verkehr leiser, sauberer, sicherer und billiger. Und er erspart uns ab einem bestimmten Punkt die Kosten für immer schlimmere klimabedingte Katastrophen, Wanderungsbewegungen, Kriege, Hungersnöte.

Klimaschutz ist also nicht teuer, er ist hochrentabel: Die beste aller denkbaren Investitionen – sogar, wenn man ausschließlich die ökonomische Seite betrachtet.

Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

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