Beispiel Neuwied: eine Beschäftigung mit diesem Projekt hier könnte sich lohnen, wenn man auf kommunale Maßnahmen setzt
hier Handelsblatt Jan Wittenbrink 19.11.2024
Kommunen übernehmen eine zentrale Rolle beim Klimaschutz – doch vieles beruht auf freiwilligem Engagement. Gutes Personal und Fördermittel erweisen sich als Schlüssel zum Erfolg.
Das Einsparpotenzial ist enorm: 101 Millionen Tonnen CO2 könnten die gut 11.000 Kommunen in Deutschland weniger emittieren, wenn sie es konsequent anstellten. Die Zahl stammt aus einer Studie, die das Umweltbundesamt vor zwei Jahren durchführen ließ.
Kommunale Maßnahmen hätten so das Potenzial, etwa ein Siebtel der jährlichen Emissionen Deutschlands einzusparen, sagt Philipp Reiß, Co-Projektleiter der Agentur für kommunalen Klimaschutz in Berlin. Als große Hebel benennt er die Planung und Regulierung der Wärmeversorgung, das ÖPNV-Angebot, die Gebäudesanierung und Vorgaben für Neubauten.
Ohne die kommunale Ebene geht es beim Klimaschutz also nicht – doch an der konkreten Umsetzung hapert es oft. „Klimaschutz ist für die Kommunen bisher keine Pflichtaufgabe wie etwa Bildung oder Abfallentsorgung“, sagt Reiß.
Entsprechend falle das Engagement sehr unterschiedlich aus. „Klimaschutz muss man sich leisten können – in finanzschwachen Kommunen fällt das Thema eher mal hinten runter, weil Pflichtaufgaben vorrangig zu behandeln sind.“
Die Agentur für kommunalen Klimaschutz übernimmt seit 2023 eine Beratungs- und Vermittlerrolle im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Das zunächst auf fünf Jahre angelegte Projekt ist am Deutschen Institut für Urbanistik angesiedelt.
Das rheinland-pfälzische Neuwied verabschiedete 2023 ein Klimaschutzkonzept
hier mit 29 geplanten Maßnahmen. (Maßnahmenkatalog
hier )Julia Frimmersdorf ist seit diesem Jahr Klimaschutzmanagerin der Stadt. „Ich sehe mich als Koordinatorin und schaue mir an, wie wir welche Maßnahmen umsetzen können und welche Fördermittel es dafür gibt.“
Dabei müsse sie priorisieren: Was ist zu welchem Zeitpunkt tatsächlich machbar?
Neuwied erhält 1,9 Millionen Euro aus einem Förderprogramm des Landes, das möglichst unbürokratisch Klimaschutz und Klimafolgenanpassung fördert. Über 60 Maßnahmen stehen zur Auswahl. Neuwied habe neun Maßnahmen ausgewählt, die nun über die 100-Prozent-Förderung finanziert werden sollen, erklärt Frimmersdorf. So entstehen etwa PV-Anlagen auf einem Parkplatz und einer Sporthalle, die Ladeinfrastruktur soll wachsen, die Dach- und Fassadenbegrünung wird angeschoben – und eine Kita erhält einen verbesserten Sonnenschutz.
„Klimaschutz ist ein Querschnittsthema, das alle Bereiche des kommunalen Verwaltungshandelns berührt“, sagt Berater Reiß. Die Gefahr: Niemand fühlt sich wirklich verantwortlich. Klimaschutzmanager seien daher als Vermittler und Kommunikatoren wichtig. Das Werben für die gute Sache sei mitunter herausfordernd: „Eingesparte Tonnen CO2 sind für viele Menschen schwer zu greifen.“
Allerdings hätten Klimaschutzmaßnahmen oft unmittelbaren Nutzen. „Die Menschen erhalten ein besseres ÖPNV-Angebot, attraktivere Radwege oder günstigere Energie.“ Von Sanierungsprogrammen für Gebäude profitiere das lokale Handwerk. Einfacher zu kommunizieren sei die Klimafolgenanpassung: „Wenn der Damm erhöht wird, gibt es weniger Überschwemmungen – da sind die Vorteile direkt sichtbar.“
Die Menschen mitnehmen
„Wir müssen die Menschen einbinden und mitnehmen, transparent über Ziele und Maßnahmen aufklären“, sagt auch Klimaschutzmanagerin Frimmersdorf. Es sei wichtig, unmittelbare Vorteile jenseits der reinen CO2-Einsparung aufzuzeigen und Synergien zu nutzen. In der Kommune befinde man sich an der direkten Schnittstelle mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Auch wenn Klimaschutz keine kommunale Pflichtaufgabe ist, gibt es Pflichten in Teilbereichen. So müssen alle Städte und Gemeinden eine kommunale Wärmeplanung bis spätestens 2028 vorlegen. Hinzu kommen Landesgesetze: So verpflichtet Niedersachsen seine Landkreise und kreisfreien Städte, bis Ende 2025 Klimaschutzkonzepte zu erstellen. Das Land strebt eine Treibhausgasneutralität bis 2040 an, fünf Jahre früher als der Bund.
Matthias Mueller ist seit 2022 Klimaschutzmanager im niedersächsischen Stade. Neben einer Vermittlerfunktion in der Verwaltung sowie der Öffentlichkeitsarbeit liege sein wesentlicher Schwerpunkt im technischen Bereich, sagt Mueller. Die Hansestadt mit rund 50.000 Einwohnern möchte ihre Energieversorgung klimafreundlicher aufstellen.
Das mit dem Zukunftspreis „Klima kommunal“ (
hier) prämierte Projekt „Wärmenetz Stader Altstadt“ dient dem Ziel, die Fachwerk- und Kaufmannshäuser im Zentrum künftig emissionsfrei mit Wärme zu versorgen und die verbreiteten Gasthermen zu ersetzen. „Der Gebäudesanierung und Umrüstung sind hier wegen des Denkmalschutzes Grenzen gesetzt“, sagt Mueller.
101 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
könnten allein die deutschen Kommunen pro Jahr an Emissionen vermeiden.
Quelle: Umweltbundesamt
Es entstand die Idee, auch die Wärmeenergie des benachbarten Klärwerks für das über 50 Hektar große Quartier zu nutzen – und als Fernwärme in die Altstadt fließen zu lassen.
Aktuell läuft eine vom BMWK geförderte Machbarkeitsstudie. Umsetzung und Betrieb sollen 2025 ausgeschrieben werden. Geplant ist, zunächst Institutionen und Privatkunden mit besonders hohem Verbrauch anzuschließen. Ein Investitions- und Betriebskostenzuschuss soll aus der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze kommen.
„Förderprogramme sind gut, werden aber teils als zu bürokratisch wahrgenommen“, sagt Berater Reiß. Als das Umweltbundesamt die Kommunen nach hilfreichen Änderungen für mehr Klimaschutz fragte, nannten über 70 Prozent einfachere Förderbedingungen. Man könnte Kommunen auch feste Budgets zur Verfügung stellen, um bestimmte Klimaziele zu erreichen. Einen solchen Vorschlag machte der Deutsche Städtetag 2023.
Als weiteres Finanzierungsinstrument können Kommunen auch Bürgerbeteiligungen als Geldanlage anbieten. So gaben die Stadtwerke Heidelberg Genussrechte aus – und sammelten dadurch sechs Millionen Euro ein.
In der Stader Altstadt könnten vermutlich bis zu 90 Prozent der Gebäude mit der klimafreundlichen Wärme erschlossen werden, sagt Mueller – einige schmale Gassen eigneten sich nicht für Leitungen. „Wichtig ist, dass das Ganze auch ökonomisch nachhaltig ist.“ Ein Anschluss- und Benutzungszwang sei derzeit nicht geplant, man versuche mit einem attraktiven Preis für die Wärme zu überzeugen. Die Energiekrise habe das Thema ins Bewusstsein gerückt, viele Bürger seien sehr interessiert an den Plänen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen