ARD hier 20.11.2024
Abgesang auf Kohle, Gas und Öl
Fossile Energien haben viel ermöglicht - etwa Wohlstand und Emanzipation, sagt Nachhaltigkeitsforscherin Flurina Schneider. Auf der Klimakonfernz in Baku geht es jetzt um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.
Wie sinnvoll ist das?
tagesschau.de: Wir müssen aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, wenn die Temperaturen und die Lebensbedingungen auf der Erde erträglich bleiben sollen. Dieser Befund ist klar. Die allermeisten Länder tun sich trotzdem so schwer, wie man gerade wieder auf der UN-Klimakonferenz in Baku sehen kann. Woran liegt das?
Flurina Schneider: Ein wichtiger Grund ist, dass die fossilen Energien uns als Gesellschaft sehr viel ermöglicht haben. Sie haben dazu beigetragen, einer sehr breiten Bevölkerungsschicht Wohlstand zu bringen. Ich denke immer an die Zeit meiner Großeltern, als das Ganze intensiviert wurde, also die Nutzung der fossilen Energien. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in einer ländlichen Gegend in der Schweiz geboren. Wie anders da die Welt war: Man hatte noch kaum Traktoren in der Landwirtschaft, die mit Diesel angetrieben waren. Die reicheren Bauern hatten Pferde, um das Feld zu bestellen und Nahrung zu produzieren.
Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat da sehr viel Positives bewirkt: Sie hat Ernährungssicherheit gebracht. Es kam auch zu Wirtschaftswachstum, breite Schichten der Bevölkerung haben davon profitiert und konnten sich über die Jahre den heutigen Wohlstand aufbauen. Ich denke, es ist wichtig, dass man sieht, wie vielen Menschen das etwas gebracht hat.
Flurina Schneider ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Sozial-Ökologische Forschung (ISOE) und Professorin für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität an der Goethe-Universität Frankfurt. Unter anderem forscht sie zu sogenannten Nachhaltigkeitstransformationen. Dabei geht es darum, gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken mit Bezug zur Nachhaltigkeit besser zu verstehen.
Emanzipation durch Industrialisierung
tagesschau.de: Wir heute Lebenden kennen das ja nicht mehr aus eigener Anschauung. In unserer Welt gab es immer Traktoren, Maschinen, Strom aus der Steckdose
Schneider: Genau, wenn wir uns die Debatte über Klimaschutz heute anschauen, dann ist da dieses starke Gefühl, dass das immer mit Verlust und Verzicht zu tun hat, dass man diese so wohlverdienten Errungenschaften zu verlieren droht.
Und Errungenschaften gab es ja auch in Bereichen, an die man zunächst vielleicht gar nicht denkt: Die Emanzipation der Frauen etwa. Auch da denke ich wieder zurück an meine Großmutter. Da gab es noch keine Waschmaschinen, sie hat einen Tag lang Wäsche gewaschen. Heute geht es mit Waschmaschinen ganz schnell. Und das hat Frauen im 20. Jahrhundert erst die Möglichkeit gegeben, sich anders zu betätigen, ihr eigenes Geld zu verdienen, politische Forderungen zu stellen.
Das hat die Gesellschaft enorm verändert. Auf einmal waren da neue Freiräume - und Freizeit. Freizeit ist ein eher jüngeres Konzept. Früher war es nicht so, dass man Hobbys hatte oder dass man gar wie heute darüber nachgedacht hätte, die Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit zu haben zum Reisen, zum Genießen, zum Sport machen.
tagesschau.de: Ist es wichtig, diese wichtige Rolle der fossilen Brennstoffe in der Debatte über Klimaschutz und den nötigen Umbau mehr zu würdigen?
Schneider: Ja, ich denke schon - es braucht insbesondere mehr Wertschätzung für die Menschen, die durch die fossilen Brennstoffe Wohlstand erlangt haben oder ihre Arbeitskraft in die Förderung der Fossilen gesteckt haben. Und gleichzeitig sind Einsicht und Akzeptanz notwendig für die ganz klare Erkenntnis, dass die gerade genannten Werte - Wohlstand, Sicherheit, Freiheit - durch den fortschreitenden Klimawandel selbst gefährdet sind. Anders gesagt: Die Welt verändert sich, und Grund dafür ist nicht der Klimaschutz. Es geht darum, zu überlegen, wie wir das, was uns wirklich wichtig ist, auch für die Zukunft erhalten und gestalten können
tagesschau.de: Was braucht es konkret?
Schneider: Wir brauchen jetzt eine schnelle Dekarbonisierung, also das Ende der Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Und es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, wie man da hinkommt. Ein wesentlicher Teil ist der Ersatz von Energieträgern, also dass man von fossilen Energien auf erneuerbare Energien umsteigt - auf Solar, Wind, Wasserkraft oder andere Optionen.
Aber es ist auch wichtig, immer wieder darüber nachzudenken: Können wir eigentlich Energien an sich effizienter nutzen? Brauchen wir wirklich alles, was wir heute haben? Ist das, was wir heute Wohlstand nennen, die Freiheit per se? Wir sehen ja auch in der Gesellschaft nicht nur positive Tendenzen, Stichwort Burnout-Raten, Stichwort Vereinsamung, Stichwort Polarisierung.
"Manchmal ist es schlicht Routine"
tagesschau.de: Würden Sie sagen, wir sind als Gesellschaft süchtig, ja abhängig von fossilen Energien?
Schneider: Ja, denn Abhängigkeit bedeutet ja, man kann nicht einfach weg. Obwohl man vielleicht eigentlich möchte. Das Wissen, dass Klimaschutz notwendig ist, ist ja schon sehr verbreitet, aber irgendwie schafft man es nicht. Wir sprechen in der Transformationsforschung oft von "Pfadabhängigkeiten" und meinen die Schwierigkeit, Dinge auf einmal anders zu machen, wenn man als Einzelner und als Gesellschaft in einer gewissen Art und Weise organisiert ist
.Dabei spielen Gewohnheiten eine große Rolle. Wie beim Rauchen: Da ist nicht nur die körperliche Abhängigkeit, da ist auch dieser Moment vom Draußensein, eine kurze Pause zu haben, durchzuatmen, mit anderen zu sprechen, das ist schon vergleichbar. Die Nutzung von fossiler Energie hat auch viel mit Annehmlichkeiten zu tun, die man genießt, oder die einfach praktisch sind.
Manchmal ist es auch schlicht Routine. Also gar nicht, dass man das andere per se schlechter fände, sondern man ist einfach gewohnt, Dinge auf eine bestimmte Art zu tun.
tagesschau.de: Eine echte körperliche Abhängigkeit gibt es bei der fossilen Energie trotzdem nicht. Was macht es so schwer, unsere "fossilen Gewohnheiten" zu ändern?
Schneider: Gewohnheiten, die sich über Jahre aufgebaut haben, hinterlassen ja schon auch Spuren im Körper und im Gehirn. Gewohnheiten geben das Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit. Sie zu ändern ist körperlich und emotional anstrengend. Das erfahren ja alle, die sich gute Neujahrsvorsätze machen.
Fossile Gewohnheiten betreffen zudem unseren ganzen Alltag: was wir essen, wie wir wohnen, wie wir zur Schule oder Arbeit kommen oder wie wir unsere Freizeit gestalten. Dabei spielt auch das sozialen Umfeld eine wichtige Rolle: Es kann sehr schwierig sein, seine Gewohnheiten zu verändern, wenn die eigene Familie oder Freunde dies nicht gut finden.
tagesschau.de: Wie gehen Sie als Wissenschaftlerin mit dieser Herausforderung um?
Schneider: Das ist herauszufinden: Wie kann man solche Routinen durchbrechen und neue Gewohnheiten etablieren. Wie kann man zu einer Veränderung kommen und wie kann man dadurch neue Werte erstrebenswert machen? Also dass die Menschen merken: Nur, weil es anders ist, ist es nicht schlecht. Im Gegenteil, anders ist es ja auch gut.
tagesschau.de: Genau darum geht es in Ihrem Forschungsfeld, der Transformationsforschung. Sie forschen zu Übergängen und Veränderungen. Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Schneider: Wir haben in einem unserer Forschungsprojekte kürzlich ein Experiment gemacht, bei dem wir es Menschen ermöglicht haben, andere Verkehrsmittel zu wählen, als sie normalerweise nutzen. Die Teilnehmenden bekamen ein halbes Jahr lang ein ÖPNV-Ticket finanziert, oder ein E-Auto oder ein E-Bike. Voraussetzung war, dass sie das dann auch wirklich nutzen und dass die gewählte Alternative CO2-ärmer war als das sonst genutzte Verkehrsmittel.
Als das halbe Jahr vorbei war, haben unsere Forschenden die Menschen befragt. Und erstaunlich viele sind bei dem neuen Verkehrsmittel geblieben, auch als sie es nicht mehr finanziert bekommen haben. 80 Prozent haben gesagt, sie behalten es komplett oder fahren zumindest mehrere Tage die Woche mit dem E-Bike zur Arbeit. Gerade bei den E-Bikes war die Rate derjenigen hoch, die dabei geblieben sind. Viele haben angegeben, dass sie durch das Experiment erst gemerkt haben, dass ihnen das Spaß macht.
"Klima ist zum totalen Trigger-Thema geworden"
tagesschau.de: Welches Thema treibt sie in Bezug aufs Klima noch um?
Schneider: Was uns in der Transformationsforschung auch stark beschäftigt: Klima ist über die vergangenen paar Jahre zum totalen Trigger-Thema geworden. Und zwar alles, was damit zusammenhängt, und sei es etwas zunächst mal so technisches wie eine Wärmepumpe. Weil das politisch so aufgeladen wurde. Hier ist ein ganz wesentlicher Faktor, dass man den konstruktiven Dialog zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wieder mehr hinbekommt.
tagesschau.de: Und wie kommen wir da wieder hin?
Schneider: Indem wir uns die Werte und Bedürfnisse anschauen, die hinter den verhärteten Positionen stehen, uns gegenseitig zuhören und Teilhabe fördern. Ärmere Menschen sind vom Klimawandel und Klimaschutzmaßnahmen besonders stark betroffen - zum Beispiel von CO2-Preisen. Hierfür braucht es konkrete Unterstützung.
Auch Menschen aus der Mittelschicht fühlen sich durch Klimaschutzmaßnahmen belastet. Hier geht es manchmal aber nur vordergründig um Kosten oder Klimaschutz an sich, es spielen noch andere wichtige Aspekte rein: das Gefühl fehlender Wertschätzung für die eigenen Lebensentwürfe, auch kulturelle Überzeugungen und Ängste aufgrund der ganzen Krisen der letzten Jahre von Corona bis zu den Kriegen in der Ukraine und Nahost.
Wir müssen auch die ganz simple Frage stellen: Was brauchen wir, um glücklich zu sein - jede und jeder einzelne und als Gesellschaft. Auch ganz konkret: Wie viel Fläche in unseren Häusern? Welche Mobilität? Wie viel tierische Nahrung, wie viel pflanzliche?
"Schritt für Schritt, ganz ohne Polemik und Riesen-Debatte"
tagesschau.de: Aber schon allein wer diese Fragen stellt, gerät aktuell in den Verdacht, den anderen etwas wegnehmen zu wollen. Wie kommen wir aus diesem Dilemma raus?
Flurina Schneider: Die Standardantwort, die ich darauf in Diskussionen oft höre, ist: Man müsse die positiven Effekte ins Zentrum stellen, die Chancen. Aber irgendwie scheint das nicht so recht zu gelingen. Ich glaube, das Wichtigste ist, es den Menschen leicht zu machen: Dass es in Restaurants gute, fleischlose Alternativen gibt. Oder eine gut funktionierende Bahn.
Manchmal kann es auch helfen, dass es um das Thema einfach mal ein bisschen stiller wird, dass Veränderungen einfach passieren können. Denn gewisse Veränderungen passieren ja. Wir hatten es vorhin von den Wärmepumpen: Es ist ja nicht so, dass jetzt gar keine Wärmepumpen mehr installiert werden - die werden ja installiert. Die Menschen sehen, wie die Nachbarn welche installieren und wie das dann eigentlich ganz gut funktioniert. Schritt für Schritt, ganz ohne Polemik und Riesen-Debatte. Das hilft manchmal fast mehr.
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