Mittwoch, 10. März 2021

Kies bringt Kies - Von Wolfram Frommlet.

 Eine wunderschöne Zusammenfassung was gerade läuft im Ländle!

Selbst in Oberschwaben schwindet die Macht der CDU.  Neben den Grünen  hat sich eine außerparlamentarische Opposition gebildet, die der alten Politik gerne aufs Dach steigt.


Es geht da einiges durcheinander in Oberschwaben. Da fällt das Rutenfest 
in der Metropole Ravensburg aus, das Schützenfest in Biberach und keiner 
weiß, wie es weitergeht mit der „Maß“ in diesem Jahr. Da übernachten 
junge Menschen auf Bäumen, und die Ordnung scheint erst 
wiederhergestellt, als eine halbe Hundertschaft Reservepolizisten einen 
(!) Baumbesetzer und einen (!) Professor der FH Weingarten festnehmen.
 
https://www.kontextwochenzeitung.de/schaubuehne/511/ohne-baeume-keine-traeume-7243.html
In Rechnung gestellt von der Stadt Ravensburg mit € 4.050,53.

Sie geben nicht auf. In der Nacht zum 6. Februar steigen sie dem 
Regionalverband Bodensee-Oberschwaben aufs Dach
 und befestigen, ohne den 
geringsten Schaden anzurichten, ein Transparent mit der Losung: 
„Kiesexport und Asphaltwahn das ist ein Klima-Höllen-Plan“. Dies, so der 
Mengener CDU-Bürgermeister Stefan Bubeck vor der Kreistagsfraktion, habe 
ihn an den Sturm auf das Capitol erinnert
. An die Gewaltorgien also 
rechts-nationalistischer, rassistischer Hooligans des „anderen Amerika“. 

Das ist das alte Oberschwaben. Das neue demonstriert vor dem Gebäude. 
Ein Bündnis von 17 außerparlamentarischen Organisationen, das in dieser 
breiten Aufstellung bisher einmalig ist in den Kreisen Sigmaringen, 
Ravensburg, Bodensee: BUND. NABU, Fridays for Future, parents4future, 
Demeter, der Verein Altdorfer Wald, die Initiative gegen den 
1000-Kühe-Stall in Ostrach, Kreis Sigmaringen.

Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, Versammlungsort von 
Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, ist zuständig für die Entwicklung 
des Landstrichs und hat dafür einen Plan vorgelegt, der Visionen bis 
2035 vorstellt. Er ist stark umstritten, weil die Grundlage, wenig 
erstaunlich, ungebremstes Wachstum bildet. 
Der Verband spricht von 
einem  Bevölkerungsplus von 10,3 Prozent, das Statistische Landesamt von 
2,7 Prozent, und 20 Wissenschaftler von scients4future von einem 
„schwach ausgeprägten Willen“  in den Kommunen zum Flächensparen.  Ihr   
Mitstreiter, der Ravensburger Politikberater und Regionalplaner Martin 
Walser, kritisiert, dass verdichtetes Wohnen, der Tausch der oft viel zu 
großen Einfamilienhäuser älterer Besitzer gegen zentralere Wohnmodelle, 
so wenig erwogen wird wie regionale, die Ortszentren belebende Märkte 
oder kommunale Kooperationen für Zentren für Handwerker und Industrie, 
um die viel zu hohe Zersiedelung zu stoppen.

Längst keine heile Welt mehr ist auch die Landwirtschaft. Der 
Flächenverbrauch geht zu Lasten nachhaltiger, familiärer Agrarbetriebe, 

er hat Massentierhaltung wie den 1000-Kühe-Stall in Ostrach oder den 
geplanten 1500-Kühe-Stall in Ellwangen zur Folge, erläutert der 
Demeter-Bauer und langjährige grüne Leutkircher Stadtrat Alfons Notz. 
„Wer Biodiversität ernsthaft und effektiv fördern will, der muss dafür 
sorgen, dass die Kühe auf die Weide dürfen.
 Eine Kuh produziert während 
einer Weidesaison circa 1000 Kuhfladen“, rechnet er vor, „diese bilden 
den Nährboden für 100 Kilo Insekten. Davon können zehn Kilo Vögel ihren 
Futterbedarf decken. Als Bauer sage ich Ihnen: Geld kann man nicht 
essen. Und wenn die letzten Böden versiegelt sind, kann man mit Geld 
auch kein Essen mehr kaufen.“ Barbara Herzig vom BUND ergänzt, dass in 
der Bodenseeregion 70 Prozent der Insekten in wenigen Jahren 
verlorengegangen sind.

Da muss die CDU dagegenhalten. Landrätin Stefanie Bürkle aus Sigmaringen 
verweist auf den Bedarf an Wohnflächen und neuen Gewerbegebieten. 
Mengens Bürgermeister Bubeck nennt die Kritiker „spießbürgerlich“, weil 
nur die ökologische Seite betrachtet werde.
 In Ravensburg stellt die CDU 
eine Anzeige „Schaffe, Schaffe, Häusle Baue! Jungen Familien Eigentum 
ermöglichen“ ins Netz, beschwert sich über „die Verunglimpfung“ des 
Regionalplans, genauso über die Einwände gegen den Kiesabbau im 
Schutzgebiet Altdorfer Wald (Kreis Ravensburg) – der nächsten 
Umweltsünde im Oberschwäbischen.

Doch so einfach ist das alles nicht mehr, nicht mal bei der CDU, die es 
über Jahrzehnte gewohnt war, den Landstrich zu beherrschen. Der 
Baienfurter Gemeinderat, mehrheitlich schwarz und zuständig für den 
Altdorfer Wald, sieht das ganz anders. Er will diesen Kiesabbau nicht, 

der laut  Regionalplan pro Jahr eine Menge von neun Millionen Tonnen 
vorsieht, 360 Millionen über die nächsten 40 Jahre. Alle sind sich einig 
- dies widerspreche dem Waser- und dem Klimaschutz. „Wir sehen alle Wege 
für uns offen, auch die juristischen“, sagt CDU-Bürgermeister Günter A. 
Binder. Und Anne Talk, Klimaschutzmanagerin beim Gemeindeverband 
Mittleres Schussental, definiert das Flora- und Fauna Habitat als 
zentralen „Klimaschützer und Wasserspeicher.“

Auf der Fahrt nach Grund im Altdorfer Wald. Auf einem Transparent steht: 
„Wasser bringt Leben. Kies bringt Kies“. Pressekonferenz der 
Ravensburger Baumbesetzer. Zwei Camps sind fertig. Mit Unterstützung aus 
anderen Regionen sollen es mehr werden. „Für die CDU und den 
Regionalverband ist der Altdorfer Wald nur ein bisher nicht vollständig 
erschlossenes Kiesabbaugebiet. Für uns aber ist dieser wertvolle 
Lebensraum ein Symbol für unsere Zukunft“, 
erklärt die Klimacamperin 
Emma Junker (17). „Die CDU ist für Heimatliebe, aber dann roden sie 
einen Wald, der in 1000 Jahren entstanden ist. Wir bauen eine 
Gesellschaft der Nächstenliebe“, ruft Jonathan Oromek von Fridays for 
Future den Besuchern zu. Eine euphorische Stimmung. „Bauen wir doch mehr 
Holzhäuser, nutzen wir andere Isolationsmaterialien, die es längst gibt, 
dann brauchen wir auch weniger Kies“, fordert Ordinarius Wolfgang Ertel 
von der FH Weingarten. Ganz Wassers, ein Dorf am Rande des Waldes, sagt 
ein Besucher, sei gegen die Zerstörung dieses Naturschutzgebietes.

Selbst Rudolf Bindig, Fraktionsvorsitzender der SPD, die sonst immer für 
Wachstum ist, ist dagegen. In einem langen Offenen Brief hat er sich an 
Winfried Kretschmann gewandt. Nun redet Bindig von „heißer 
Wahlkampfluft“. Die Grünen Landtagsabgeordneten Manfred Lucha und Petra 
Krebs hatten sich für einen Planungsstopp für die Kiesgrube im Altdorfer 
Wald ausgesprochen. Bindig hält dies für Wahlrhetorik. „Aus dem 
Staatsministerium, dem Wirtschaftsministerium und sogar aus dem 
Umweltministerium will man von solchen Anregungen gar nichts wissen“, 
poltert er. Von Kretschmann, dem Ministerpräsidenten, gebe es keine 
klare Position. Vielleicht doch Ökonomie vor Ökologie? Der Forst gehört 
dem Land, ist aber verpachtet an die Firma Meichle + Mohr, auf deren 
Website sich der zeitgemäße Satz findet: „Wir sind unserer Verantwortung 
Mensch und der Natur gegenüber bewusst.“ „Ein verschachteltes und kaum 
zu überblickendes Firmengeflecht“ nennt dies Bindig weniger prosaisch in 
seinem Brief. Droht der Pächter mit Schadenersatz, bei diesen 
Abbaumengen, über welche Laufzeiten, gar mit Millionenklagen? Ein Thema, 
das bislang von keinem Politiker erwähnt wurde.


Ein Großteil des Kieses geht bereits jetzt, und weit mehr noch in 
Zukunft, nach Vorarlberg und in die Schweiz. Auf Kolonnen von Lastwagen. 
Das ist der freie Markt, der in konservativen Kreisen beschworen wird 

und dem ja auch Kretschmann gegenüber offen ist. Wie steht es auf dem 
Transparent? Kies bringt Kies. Oder, wie es die CDU nennt, „die Bedarfe 
der Region akzeptieren“
 . Nur haben die Bedarfe in den Nachbarländern 
ökologische Gründe.
 Die Schweiz und Vorarlberg haben ihren Kiesabbau 
drastisch reduziert, weil sie die davon betroffenen Wälder unter 
Naturschutz stellten. Bei uns aber vermutlich Ende offen. Bis nach der Wahl.

Mit dem Regionalplan eng verbunden ist ein Thema, das nicht für die 
wachsende Zahl der Gutverdienenden im attraktiven Kreis Ravensburg und 
der Bodenseeregion zum Problem wird, zunehmend brisant aber für 
Alleinerziehende, oder die Beschäftigten der in dieser Region 
konzentrierten Pflegeberufe und Rentner im unteren Bereich. Die gehen 
nicht auf die Straße, das ist nicht ihre Kultur. Und so ist das Thema 
nicht sehr publik. Da malt die CDU lieber die Ängste der Häuslebauer 
aufs Plakat. Vergessen scheint, dass bereits 2006 Ministerpräsident 
Günther Oettinger die Nettonull beim Flächenverbrauch reklamierte. Der 
lag damals bei 9,6 Hektar. Pro Tag. 2019, unter der grün-schwarzen 
Koalition, bei 5,2 Hektar.


Dies ist der Umwelt-Opposition noch immer zu viel, aber mehr Wohnungsbau 
wollen alle. Aber wie?
 Andreas Stoch von der SPD schreibt: „Fünf Jahre 
grün-schwarze weniger Wohnungspolitik bedeutet auch, viele Menschen 
geben deutlich mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen aus. Der 
Markt allein schafft keinen bezahlbaren Wohnraum für alle. Deshalb 
gründet die SPD die staatliche Wohnbaugesellschaft BWohnen, die 500.000 
bezahlbare Wohnungen bis 2026 baut.“ Forsch formuliert. „Wir setzen uns 
dafür ein“, heißt dies bei Jonathan Wolf, dem SPD-Landtagskandidaten aus 
Meckenbeuren. Er will ungenutzte Grundstücke höher besteuern, 
Genossenschaften, Mietshäusersyndikate, einen Mietdeckel für Kommunen 
(den auch Die Linke im Programm hat) und BürgerInnenvereine.

Oberschwaben ist nicht mehr die Insel der Seligen, so das je der Fall 
war. Selbst die Kirche, konkret die Caritas, ist nicht mehr sakrosankt. 
Die Gewerkschaft verdi wirft der dominierenden Sozialfirma 
Scheinheiligkeit vor. Sie handle „in krassem Widerspruch zu ihren 
eigenen sonstigen Aussagen und Werten, wenn es um gesellschaftlichen 
Zusammenhalt und die Bedeutung sozialer Dienste geht. Das ist ein 
schlimmes Signal für die Beschäftigten in der Altenpflege“, betont 
Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass 
viele Sozialverbände in Baden-Württemberg, wie die Diakonie, die 
Stiftung Liebenau, das Zentrum für Psychiatrie oder der Sozialverband 
VdK nicht geschlossen hinter den  Pharisäern der Caritas stehen werden - 
nur weil sie  im Süden schon immer staatstragend waren.


Wolfram Frommlet

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