Ein unbedingt lesenswerter Artikel zu den Kosten für die Allgemeinheit, die wir uns gerade durch Klientelpolitik aufbürden, anstatt gezielt den Klimaschutz zu fördern.
Die Zeit hier 6. Mai 2022,
Ein Gastbeitrag von Holger Bär, Carolin Schenuit und Ernst Ulrich von Weizsäcker
Die Bundesregierung bringt angesichts der steigenden Energiepreise Entlastungspakete auf den Weg.
In diesem Gastbeitrag fordern Holger Bär und Carolin Schenuit vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, einem unabhängigen Thinktank aus Berlin, sowie der Umweltexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker eine Neujustierung der Energie- und Umweltsteuern.
Der russische Angriffskrieg und die resultierenden hohen Energiepreise haben die Bundesregierung innerhalb weniger Wochen zu zwei milliardenschweren Entlastungspaketen veranlasst. Doch die monetären Erleichterungen fürs Volk sollten strategisch sinnvoll sein.
Einigkeit herrscht mittlerweile mehr denn je darüber, dass man mit voller Kraft die Energiewende – und mit ihr die Verkehrs- und Wärmewende – beschleunigen muss. Doch die Entlastungspakete erschweren genau dies. Die Beschlüsse zeigen, dass es noch keinen klaren Kompass für die Navigation durch die großen Baustellen dieser Wenden gibt.
So geht das ÖPNV-Monatsticket für neun Euro einher mit einer Erhöhung der Entfernungspauschale und einer Absenkung der Energiesteuern auf Kraftstoffe. Das ist das Gegenteil dessen, was man für die Wende braucht. Das günstige ÖPNV-Ticket ist vernünftig und bietet für viele einen Umstiegsanreiz. Aber das Autofahren pauschal zu verbilligen, ist Klientelpolitik vor allem für besser verdienende Vielfahrer und kostet den Staat viel Geld. Einkommensabhängige Maßnahmen hätten sozialpolitisch besser gewirkt und weniger gekostet.
Die ökologische Inkonsistenz der Entlastungsmaßnahmen steht sinnbildlich für die deutsche Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte. Wie unter einem Brennglas werden die Folgen jetzt sichtbar – und ein sehr schnelles Umsteuern ist herausfordernd. Doch während die neue sicherheitspolitische Realität die Schlagzeilen beherrscht, gehen die ökologischen Krisen ungebremst weiter.
Der Koalitionsvertrag enthält das klare Bekenntnis zum Klimaschutz und die Absicht, "die sozial-ökologische Marktwirtschaft neu zu begründen". Der neue Bericht des Internationalen Klimarates IPCC drängt die internationale Gemeinschaft und damit auch Deutschland, dieses Großprojekt endlich konsequent umzusetzen. Der "Tanker deutsche Volkswirtschaft" braucht dringend eine energische Kursänderung, um seine klimapolitischen Ziele zu erreichen und den notwendigen Wandel sozial gerecht zu begleiten. Denn die Bilanz der vergangenen zwanzig Jahre ist ernüchternd.
Umweltsteuern sind die niedrigsten in Europa
Manche Vertreter der Wirtschafts- und auch der Sozialpolitik behaupten oft, dass Umwelt- und Klimaschutz "alles teurer" mache. Das stimmt nicht. Der Anteil der Umweltsteuern an den öffentlichen Einnahmen ist seit fast zwei Jahrzehnten rückläufig, wie eine neue Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft analysiert. 2003, am Ende der letzten Stufe der ökologischen Steuerreform, stammten 6,5 Prozent der öffentlichen Einnahmen aus Energiesteuern auf Kraft- und Heizstoffe sowie der Strom-, Kfz- und Luftverkehrsteuer. Die Einnahmen flossen vornehmlich in die Rentenkasse, senkten die Lohnnebenkosten und sicherten und schafften Arbeitsplätze.
Der wegweisende Gedanke der ökologischen Steuerreform, Ökologie und Soziales zu versöhnen, wurde von den Bundesregierungen seit 2005 nicht weiterverfolgt. Im Jahr 2021 lag der Umweltsteueranteil bei nur noch 3,7 Prozent, war also fast halbiert. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit auf dem vorletzten Platz, nur Luxemburg ist noch hinter uns.
Der Hauptgrund: Während in vielen anderen europäischen Ländern die Energiesteuern indexiert, also an die Inflation angepasst werden, passiert das in Deutschland nicht.
Die Folge: Die Umweltsteuereinnahmen liegen heute in realen Werten 29 Prozent niedriger als 2003, während im selben Zeitraum das Aufkommen von Lohn- und Mehrwertsteuer um 64 Prozent beziehungsweise 80 Prozent stiegen. Denn ein niedrigerer Umweltsteueranteil heißt nicht weniger Steuerlast, sondern oft höhere Steuerbelastung der Bürgerinnen an anderer Stelle, etwa beim Faktor Arbeit.
Die niedrigen Umweltsteuern haben auch die Abhängigkeit von vermeintlich billigen fossilen Rohstoffen verstärkt. Investitionen in die Energiewende und damit mehr Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffimporten wurden auf die lange Bank geschoben. Die große Synergie von energiepolitischer Widerstandsfähigkeit und wirksamem Klimaschutz war nicht hoch genug auf dem politischen Radar – mit heute schwerwiegenden Folgen.
Und der Emissionshandel? Bezieht man andere ökonomische Instrumente – insbesondere den europäischen Emissionshandel für Kraftwerke und Industrie, den nationalen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr und die Lkw-Maut – in die Betrachtung mit ein, zeigt sich: Diese Instrumente wirken dem Rückgang der Umweltsteuereinnahmen tatsächlich entgegen. Ihre Einnahmen werden über die kommenden Jahre wachsen. Parallel dazu sinken aber auch die Energiesteuereinnahmen weiter, weil der Verbrauch fossiler Kraft- und Heizstoffe absehbar zurückgeht. Auch unter Einbezug dieser neuen umweltökonomischen Instrumente gibt es also keine Trendwende bei den Einnahmen. Der Gesamtbeitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens liegt heute mit 6,8 Prozent deutlich niedriger als 2003 (9,5 Prozent).
Wie stark sollte unser Umweltverbrauch nun besteuert werden?
Vor einigen Jahren empfahl die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten einen Umweltsteueranteil von zehn Prozent.
Statt eines pauschalen Anteils ist das bewährte Verursacherprinzip die bessere Herangehensweise: Diejenigen sollen für die Schäden aufkommen, die sie verursachen.
Die Logik dahinter: Wer für seine Schäden aufkommen muss, wird versuchen, sie weitestgehend zu vermeiden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie fasst das in Zahlen: Jährlich verursachen Treibhausgase und die Verschmutzung von Luft- und Wasser mehr als 500 Milliarden Euro an Gesundheits- und Umweltschäden allein in Deutschland. Kommen wir als Gesellschaft dafür auf? Nein. Unsere Umweltabgaben entsprechen weniger als 20 Prozent der Schäden, mehr als 80 Prozent hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen. Mit der Verschärfung der weltweiten Klima- und Biodiversitätskrisen werden die Schadenkosten ansteigen, wenn das Ruder nicht umgelenkt wird.
Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen
Wie entwickeln wir die Regeln also für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft weiter und beginnen das Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen? Preise müssen annähernd die ökologische Wahrheit sagen, damit Unternehmen Produkte und Geschäftsmodelle entwickeln, die Umwelt- und Gesundheitsschäden reduzieren, statt sie zu erhöhen. Dieser Kurs erfordert eine neue ökologische Finanzpolitik, die den Wandel unterstützt und nicht konterkariert.
Ökonomische Instrumente, wie Steuern, Mautsysteme, CO₂-Preise und der Abbau umweltschädlicher Subventionen, können dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Sie tragen dazu bei, dass ökologischere Produkte Wettbewerbsvorteile gegenüber umweltschädlichen Alternativen bekommen. Gleichzeitig finanzieren die Einnahmen aus diesen Instrumenten die dringend benötigten Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Dekarbonisierungsprogramme und den Übergang zur Kreislaufwirtschaft mit.
Damit das Verursacherprinzip wirken kann, müssen Instrumente wie die CO₂-Bepreisung und die Energie- und Stromsteuern weiterentwickelt werden.
Die Mehrwertsteuer sollte nicht länger den Verkauf umweltschädlicher Produkte durch den ermäßigten Satz fördern, während für umweltfreundliche Produkte der volle Mehrwertsteuersatz anfällt.
Neue Instrumente, wie die Pkw-Maut, eine Stickstoffüberschussabgabe in der Landwirtschaft und Steuern auf Primärrohstoffe, sind sinnvoll, um rasch eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen.
All diese Instrumente müssen sozialpolitisch begleitet werden, damit nicht die Menschen mit niedrigen Einkommen und geringem Umweltverbrauch die Lasten tragen, sondern diejenigen, die die Schäden an Umwelt und Klima verursachen.
Eine aufkommensneutrale Steuerreform kann dafür Sorge tragen, dass wir Umweltschäden reduzieren und gleichzeitig Menschen mit niedrigen Einkommen gezielt unterstützen.
Zu einer ökologischen Finanzpolitik gehört auch der Abbau des Bergs an umweltschädlichen Subventionen. Dieser stieg zuletzt laut Umweltbundesamt auf über 65 Milliarden Euro jährlich an.
Das konterkariert alle Investitionen in Klimaschutz.
Durch die Entlastungspakete wird er dieses Jahr um etliche Milliarden anwachsen.
Wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gemeinsam voranzubringen ist möglich, wenn auf der Brücke Einigkeit über die Richtung herrscht.
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