Sonntag, 29. Mai 2022

27.05.2022

Im Südkurier

Zusätzliche Züge und Sitzplätze

Das Verkehrsministerium in Baden-Württemberg rüstet sich für den erwarteten Ansturm der Fahrgäste durch das Neun-Euro-Ticket.


 Bei zu erwartenden Engpässen sollen zusätzliche Züge und Kapazitäten bereitgestellt werden, wie Ressortchef Winfried Hermann (Grüne) am Freitag in Stuttgart mitteilte. Insgesamt gehe das Ministerium von 2,2 Millionen zusätzlichen Sitzplätzen auf 730 000 Zugkilometern und 30 000 zusätzlichen Zugkilometern aus. Die Situation solle jede Woche in einem Expertenstab aus den Beteiligten neu bewertet und koordiniert werden.

Kommentar: „Ein Experiment“  27.05.2022  |  VON BERNHARD JUNGINGER, BERLIN

Mit einem Ticket für nur neun Euro im Monat Bus und Bahn nutzen – wer irgendwie kann, sollte das jetzt ausgiebig tun. Das spart angesichts schwindelerregender Spritpreise viel Geld und reduziert die Abhängigkeit von Öl aus Russland. Viel bedeutender sind die Schlüsse, die sich aus dem Experiment für die Zukunft der Mobilität ziehen lassen.
 Politik und Verkehrsplaner sollten genau hinschauen, was in den kommenden drei Monaten passiert.

Klar ist: Beim Neun-Euro-Ticket wird es Ärger geben, verstopfte Züge, Pendler, die genervt sind, weil Ausflügler ihnen den Sitzplatz streitig machen. Am größten wird der Frust bei jenen Menschen sein, die wenig vom Discount-Billett haben, weil in ihrer Region der Zug oder Bus gar nicht, viel zu selten oder auf den falschen Strecken fährt. Doch gerade dort kann dieser Feldversuch Erkenntnisse bringen, damit sich auch in ländlichen Regionen am Nahverkehr etwas verbessert. Nur dann sind die 2,5 Milliarden Euro Steuergeld, die das Projekt kostet, gerechtfertigt. 


26.05.2022 auch im Südkurier

Es war lange umstritten, jetzt herrscht Klarheit: Bahnfahrer können das Neun-Euro-Ticket auch für Intercity-Fahrten von Singen nach Stuttgart nutzen. Die Fahrkarten gelten vom 1. Juni an auch auf der Gäubahn, die die Bodensee-Region mit der Landeshauptstadt verbindet. Darauf einigten sich Landesverkehrsminister Winfried Hermann und der Bahn-Bevollmächtigte Thorsten Krenz. Mit den Tickets können Fahrgäste im Juni, Juli und August im öffentlichen Nahverkehr durch ganz Deutschland fahren – für neun Euro pro Monat. Nicht gültig sind die Sondertickets auf der Weißen Flotte im Bodensee, für Fußpassagiere auf der Fähre Konstanz-Meersburg sowie auf dem Katamaran zwischen Konstanz und Friedrichshafen.


26.05.2022  |  VON BERNHARD JUNGINGER WIRTSCHAFT@SUEDKURIER.DE  hier

Volle Züge und Fahrgast-Frust?

Die Nachfrage nach dem Neun-Euro-Ticket ist gewaltig: Allein über ihre digitalen Kanäle hat die Bahn bereits eine Million Tickets verkauft, zwischenzeitlich brachen gar die Server zusammen. Doch während Verbraucherinnen und Verbraucher sich auf günstige Zugfahrten freuen, warnen der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahnergewerkschaft vor möglichen Problemen.

„Mit dem Neun-Euro-Ticket werden wie mit einem Brennglas etliche Defizite des Systems Schiene beleuchtet, die zwar der Branche bekannt sind, aber von der Politik bislang nicht erfolgreich gelöst wurden“, sagt Andreas Barth, stellvertretender Vorsitzender von Pro Bahn Oberbayern. Barth spricht von Bahnsteigen, die zu kurz sind, oder Zügen, die nur eingleisig verkehren können. All das werde noch problematischer, sollten die Strecken durch das günstige Ticket überlastet werden. Barth mahnt, dass neben Vorhaben wie dem Neun-Euro-Ticket der dringende Ausbau der Bahn-Infrastruktur nicht vernachlässigt werden dürfe.

Die Bahn will ab dem 1. Juni 50 zusätzliche Züge und damit rund 250 Fahrten mehr als zu normalen Zeiten anbieten. Trotzdem dürfte es auf vielen Strecken eng im Waggon werden. „Wo es bisher schon sehr voll war, wird es besonders voll werden“, sagt Pro-Bahn-Vertreter Barth. Das gelte vor allem für Strecken, die für Touristen attraktiv sind.

In Baden-Württemberg ist das vor allem die sogenannte Gäubahn, der Zug von Zürich über Singen/Hohentwiel nach Stuttgart. Bisher war unklar, ob die teilweise eingleisige Strecke als Nahverkehr gilt – jetzt ist es entschieden: Fahrgäste können ab 1. Juni drei Monate lang für neun Euro in die Landeshauptstadt reisen. .....

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sieht das Neun-Euro-Ticket einerseits „als Chance für den Nahverkehr in Deutschland“. Vizechef Martin Burkert sagte unserer Redaktion: „Unser Ziel ist ein kostenloser Nahverkehr wie in Luxemburg.“ Er hege andererseits aber auch eine große Befürchtung: „Dass die Fahrgäste ihren Frust an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auslassen, wenn etwas nicht klappt. Deshalb bitten wir die Reisenden um Solidarität.“ Es zeichne sich schon heute ab, dass es an einigen Bahnhöfen eng wird. „Der erste Stresstest kommt über die Pfingstfeiertage, wenn viele Leute einen Ausflug machen wollen,“ sagte er. Vor allem die Bahnhöfe Nürnberg, München, Stuttgart könnten an ihre Grenzen kommen, auch zwischen Augsburg und Ulm könne es eng werden.....

Mehrere Universitäten haben Forschungsprojekte gestartet, um die Auswirkungen des 9-Euro-Tickets auf das Verhalten der Menschen zu beleuchten. „Hier findet gerade ein gigantisches Realexperiment statt, das wir wissenschaftlich auswerten wollen“, sagt Klaus Bogenberger, Professor an der Technischen Universität München. Man wolle mit Hilfe der Daten Veränderungen im Mobilitätsverhalten erfassen und Schlussfolgerungen für den Verkehr von morgen ziehen.

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