Das ist der Redebeitrag von Manne Walser von der Demo am 2.4.22 in Ankenreute.
Er ist Autor der Gutachten der Scientists zum Regionalplan und Raumplanungsexperte beim BUND.
Der Redebeitrag ist auf den heiß umkämpften Altdorfer Wald bei Ravensburg zugeschnitten. Und trotzdem finden sich da so einige Aussagen, die auch für uns in Salem sehr wichtig und interessant sind.
Daher wird er hier wiedergegeben.
Hallo zusammen, ich heiße Manfred Walser, bin aktiv im BUND Ravensburg-Weingarten und bei den Scientists for Future.
Ich stelle meinen Beitrag unter den Titel Wald, Wind und Kies
Ich fange mit dem Kies an.
Da könnte ich allein eine Stunde darüber reden, aber ich will mich auf drei Punkte beschränken:
Punkt 1) Der Export Der Export zeigt sich im Preis für Kies. In Deutschland liegt der Preis pro Tonne Kies durchschnittlich bei 10 Euro, in Österreich bei 17 Euro und in der Schweiz bei 20 Euro. Die kürzlich veröffentlichte Rohstoffstudie der Bodenseeregion zeigt, dass die Standorte in der Nähe der Grenze zu Vorarlberg und der Schweiz durchschnittlich 6 Euro mehr für die Tonne Kies verlangen können als die grenzfernen Standorte. Das ist nur möglich, weil sie die Möglichkeit zum Export in die Nachbarländer haben. Da könnte man natürlich politisch gegensteuern.
Vorarlberg erhebt z.B. im eigenen Land ein Naturschutzabgabe auf den geförderten Kies. Baden-Württemberg verweigert eine solche Abgabe. Das verstehe ich nicht.
Punkt 2) Recycling- Beton- Kies ist ein nicht erneuerbarer Rohstoff. Das bedeutet, er sollte so sparsam wie möglich verwendet und nach Möglichkeit wiederverwertet werden. Das geht zum einen dadurch, dass man Gebäude saniert, anstatt sie abzureißen und neu zu bauen. Außerdem durch durch die Verwendung alternativer Baustoffe wie Holz und Lehm Und natürlich durch Betonrecycling.
Die Recyclingquote für Bauschutt in BaWü klingt zuerst einmal ganz ordentlich: 94%. Aber das meiste wird nicht recycelt sondern downgecycelt und als Schüttmaterial im Straßenbau verwendet.
Obwohl das Recycling und die Wiederverwendung des Materials als Betonrohstoff technisch ausgereift sind. Recyclingbeton kostet nur ungefähr 10% mehr als der Beton aus frisch gefördertem Kies. Er ist aber in der Architektenszene wenig bekannt und wird von Verwaltungen mangels Erfahrungen kaum ausgeschrieben. Und es fehlen Standorte für die Aufbereitung des Bauschutts. Mehr Nachfrage würde die Wertschöpfungskette ankurbeln und das System wirtschaftlicher machen. Da müsste die öffentliche Hand Vorreiter sein.
Also wenn es schon Beton sein muss: Wie wäre es z.B. mit dem Recycling von alten, stillgelegten Baustoffdeponien? Oder wie wäre es, nicht nur den Abbau von Kies mit Abgaben zu belegen, sondern auch die Deponierung von Betonresten zu verteuern und damit einen zusätzlichen Anreiz für die Verwendung von Recyclingbeton zu schaffen? Da kommt sofort der Schrei nach den hohen Baukosten die das Wohnen verteuern; so argumentiert u.a. auch die Landesregierung.
Aber das ist Humbug: Die Mehrkosten für Recyclingbeton Betragen für eine 100 m² Wohnung etwa 250.- €, das würde bei der Wohnungsmiete dann gerade mal 1 Euro im Monat ausmachen.
(Berechnung: Man hat ungefähr 120 kg Kies für einen Kubikmeter Mehrfamilienhaus vom Baujahr 1962 gebraucht, denn in der damaligen Bauweise waren 44% der Baumasse Beton, und davon sind wiederum 4/5 Kies und Sand. Das ergibt ca. 700 kg Kies pro m² pro Nutzfläche (Das Verhältnis zwischen Nutzfläche und umbauten Raum beträgt im Geschosswohnungsbau ungefähr 1:6 oder 1:7). Dies Kosten für Beton betragen mit Stand heute in dieser Region durchschnittlich 12-18 Euro, d.h. allein die Betonkosten liegen bei 8,50 – 12,50 €/ m² Wohnfläche. 10 - 20 Prozent Mehrkosten für Recyclingbeton ergeben dann 1,70 – 2,50 €/ m² Wohnfläche.
Die Mehrkosten liegen also für eine 100 m²- Wohnung bei 250.- €. Und wenn man bedenkt, dass die Investition für so ein Haus über mindestens 20 Jahre abgeschrieben wird, dann ergibt sich daraus eine Mietpreiserhöhung von 1 Cent pro m².)
Punkt 3) Ich habe Zweifel an der Datenqualität: In der Unternehmensbefragung haben im Landkreis Ravensburg, in dem der Altdorfer Wald liegt, nur knapp ¼ der befragten Standorte geantwortet. Das reicht in meinen Augen nicht für eine Fakten-basierte Analyse.
Zumal die Studie nichts darüber aussagt, wie viel Prozent der Abbaumenge durch dieses Viertel erfasst sind. Hätte ich ein bisschen mehr Zeit zur Verfügung, dann würde ich mich intensiv in die Studie und die Quellen hineinarbeiten. Aber dafür langt es gerade leider nicht.
Aber verlassen wir den Kies und kommen zum Wind
Da muss ich etwas ausholen und zuerst auf unseren Energiehunger eingehen: In einer Pressemitteilung haben wir vor zwei Wochen geschrieben:
„Leider kommen wir beim Energiesparen überhaupt nicht voran.
Seit 30 Jahren ist der Endenergieverbrauch pro Bundesbürger konstant hoch
und liegt bei etwa 85 kwh/Tag.
Jede*r Deutsche hat damit — bildlich gesprochen — 100 Radfahrer im Einsatz,
die täglich 10 Stunden für den persönlichen Energiehunger strampeln.“
Und der Bedarf nimmt zu: Heizungen werden auf Strom umgestellt, die Mobilität wird auf Strom umgestellt und die Digitalisierung hat einen hohen Strombedarf. Das bedeutet:
Bei den Verhaltensänderungen sind wir realistisch betrachtet viel zu langsam.
Aber das Klima interessiert sich nicht dafür, wie viel Zeit wir zur Änderung unseres Verhaltens benötigen. Es erwärmt sich einfach Grad um Grad.
Die Wissenschaft sagt (in einer für wissenschaftliche Aussagen seltenen Klarheit und Eindeutigkeit), dass wir noch einen Zeitkorridor bis etwa 2035 haben, in dem wir substantielle Verbesserungen erreichen müssen, um dann 2050 die Klimaneutralität zu schaffen.
Das geht nicht ohne den massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Ohne Photovoltaik und Windkraftwerke können wir die fossile und atomare Energie nicht schnell genug ersetzen. Selbst wenn wir alle theoretisch in Frage kommenden Dächer nutzen, und dazu Parkplätze und hoffentlich bald Obstplantagen usw. - selbst dann können wir nur etwa ein Viertel unseres Endenergieverbrauchs aus Photovoltaik produzieren.
Wenn wir die Zahl der Windräder in Deutschland verdoppeln und die vorhandenen 30.000 Windräder „repowern“, können wir damit ungefähr die Hälfte unseres Energiebedarfs decken.
Die wesentlich geringeren Potentiale der Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft müssen zusammen mit dem Energiesparen dann das restliche Viertel besorgen.
(Berechnung: Alle Dächer in D haben 1.500 km². Wenn wir sie alle mit Fotovoltaik belegen - und 3.500 km² Freiflächen dazu (Parkplätze, Kiesgruben, Wasserflächen, Straßen aber auch Äcker und Wiesen und hoffentlich bald Obstplantagen ) deckt die Sonne gerade ein Viertel unseres Endenergieverbrauchs – nämlich 28 kwh/Tag. Wenn wir die Zahl der Windräder in D verdoppeln und die vorhandenen 30.000 Windräder „repowern“ könnten wir ca. 40 kwh/Tag erneuerbar machen. Den Rest machen wir mit Bioenergie (12 kwh - Achtung: flächenintensiv) und Geothermie (8 kwh) und Wasser (1 kwh). )
Wir können es uns nicht mehr leisten zu sagen, man solle doch zuerst diese oder jene Energieform nutzen: Angesichts der Dringlichkeit müssen wir alle regenerativen Energien zugleich und mit großer Kraft vorantreiben. (Auf die Träume vom sauberen Atomstrom und technischer CO2- Speicherung gehe ich nicht näher ein, denn das sind in meinen Augen unseriöse Diskussionen, die nur vom Thema ablenken sollen.)
Und damit komme ich zu meinem dritten Thema,
dem Altdorfer Wald
Ja, auch hier im Wald brauchen wir Windräder. Denn die Stellen, die überhaupt für Windräder in Frage kommen, weil hier genug Wind weht und weil wir ausreichend Abstand zu Wohngebieten haben sind sehr begrenzt. Die müssen wir alle nutzen.
(„Leider wird es nicht möglich sein, die Zahl der erforderlichen Windkraftanlagen nur im Offenland bzw. in ausgeräumten Agrarlandschaften zu bauen. Wir brauchen dazu auch Flächen im Wald. Wenn man nämlich die Windpotentialflächen in Ba-Wü mit Windleistungsdichte von mindestens 215 W/m² in 160 m Höhe über Grund mit den Restriktionen (Lärm, Naturschutzgebiete, Militär…) überschneidet, fällt das Offenland wegen der dichten Siedlungsstruktur ziemlich heraus“, so in einer Antwort-Mail der BUND-Regionalgeschäftsstelle Bodensee-Oberschwaben.)
Aber natürlich darf das nicht auf Kosten der Natur gehen. Das zeigt der neueste IPCC-Sachstandsbericht, der viel stärker als frühere Berichte den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Landnutzung und Ökologie thematisiert.
Und der Verlust an Biodiversität ist ja neben dem Klimawandel die zweite existentielle Krise, die immer etwas im Schatten des Klimawandels steht. Wir müssen enorm aufpassen, dass wir die zwei Themen nicht gegeneinander ausspielen. Deswegen müssen wir gut planen.
Aus unserer Sicht sind im Wald vor allem die Flächen interessant, die bereits von Schädlingsbefall oder Windwurf betroffen sind oder eine geringe Arten- und Strukturvielfalt haben, wie z.B. eintönige Fichtenmonokulturen. Auf keinen Fall kommen Flächen in Frage, die der Naturschutz braucht: Biotope, FFH-Gebiete, Wildtierkorridore usw. Und wir benötigen die Flächen in der Nähe von Straßen, um den Flächenverbrauch für die Infrastruktur – für den Bau und den Betrieb – möglichst gering zu halten. Solche Standorte gibt es im Altdorfer Wald.
Und wir benötigen gebündelte Naturschutzmaßnahmen, z.B.: • Artenhilfsprogramme für windkraftsensible Arten; die Ausweisung von weiteren Bann- und Schonwaldbereichen im Altdorfer Wald kann einen gewissen Ausgleich bieten. •
Außerdem bieten zeitlich begrenzte Abschaltungen von Windkraftanlagen Schutz für bestimmte Tierarten. • Auch die Gestaltung von Flächen (unattraktiv für bestimmte Arten im näheren Umfeld, attraktiv zur Nahrungssuche im weiteren Umfeld etc.) ist eine mögliche Maßnahme.
Fazit : Die Naturschutzverbände in der Region arbeiten gerade gemeinsam an solchen Kriterien.
Und wenn man vernünftig plant und nicht nur darauf schaut, welche Fläche am einfachsten zu bekommen sind, dann kriegen wir das auch einigermaßen verträglich hin.
Aber da müssen wir zusammenhalten. Es geht darum, Klimaschutz und Naturschutz zusammen zu bringen und nicht darum, dass jeder nur sieht, was vor seiner Haustüre passiert.
Quellen:
BUND Baden-Württemberg (2021): BUND-Stellungnahme zum Konzept “Nachhaltige Nutzung mineralischer Rohstoffe in Baden-Württemberg”, Mai 2021
BUND Baden-Württemberg (2022): Klima retten und Energiewende beschleunigen! hier
BUND Ravensburg-Weingarten (2021): Positionspapier des BUND Ravensburg-Weingarten zu Windkraft, hier
BUND Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (2022): Rund um den Klimaschutz, hier
BUND Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (2022): BUND zu Windenergie und FreiflächenPhotovoltaik. Pressemitteilung vom 17.03.2022
BUND / NABU (2015): Praxisbeispiele Windenergie & Artenschutz, hier
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2020): Kies – der wichtigste heimische Baurohstoff! hier
Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle (2022): Sechster IPCC-Sachstandsberichts: „Minderung des Klimawandels“, alle Dokumente hier
Dialogforum Energiewende und Naturschutz (2022): Windenergie – stürmische Diskurse, hier
EU-Recycling (2019): Recyclingbeton noch ohne Marktdurchdringung, hier
Fromm Leonhard (2020): Recycling-Beton: Vom Bauschutt zum Baustoff. Dt. Architektenblatt, hier
Holler Christian, Gaukel Joachim, Lesch Harald, Lesch Florian (2021): Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden.
Bertelsmann Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (2021): Endbericht zur Studie „Länderübergreifende mineralische Rohstoffströme in der Bodenseeregion“, im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, hier
Land Baden-Württemberg (2021): Nachhaltige Nutzung mineralischer Rohstoffe in Baden-Württemberg, hier
LUBW: Windenergie in Baden-Württemberg, hier
Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau (2019): Antwortschreiben an den Regionalverband Bodensee-Oberschwaben zum Thema „Rohstoffversorgung in der Region Bodensee-Oberschwaben“, am 8. Aug. 2019.
Mutschler Dierk (2020): Urban Mining. Immobilien und Städte als Rohstofflager. iste Baustoff-Gipfel am 9.12.2020, hier
Rohstoffe: Kies wird knapp. Süddeutsche Zeitung am 29. Mai 2020, hier
Walser Manfred (2020): Verdichteter Wohnbau in Vorarlberg. Datenblätter zum Geschosswohnungsbau. Unveröffentlicht, die Studie im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung in Veröffentlichung
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