Riffreporter hier von Christiane Schulzki-Haddouti
„Die
Zeit zum Handeln ist jetzt. Wir können die Emissionen bis
2030 halbieren.“ Das ist die Kernbotschaft des heute veröffentlichten
Weltklimaberichts.
Zur Vorstellung des jüngsten Weltklimaberichts resümiert Hoesung Lee: „Wir befinden uns an einem Scheideweg.“ Der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC mahnt: „Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern.
Der
Energie- und Umweltexperte Priyadarshi Shukla, Ko-Vorsitzender der
IPCC-Arbeitsgruppe III, betont: „Die richtigen politischen Maßnahmen,
Infrastrukturen und Technologien vorausgesetzt, lassen sich Lebensstil
und Verhalten so ändern, dass die Treibhausgasemissionen bis 2050 um
40 bis 70 Prozent gesenkt werden können.“
Erstmals
befasst sich der Weltklimabericht mit der Frage, wie in die nötigen
Investitionen finanziert werden sollen. Aktuell lägen die Investitionen
noch um das Drei- bis Sechsfache unter dem Niveau, das bis 2030 nötig
ist, um die Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Weltweit sei
genügend Kapital und Liquidität vorhanden, um die Investitionslücken zu
schließen. Hierfür müsse es jedoch von der Politik klare Signale geben.
Potenziale im Energiesektor, in den Städten, der Industrie und in der Agrar- und Forstwirtschaft
Die Nutzung fossiler Brennstoffe müsse
dem Bericht zufolge im Energiesektor „erheblich“ verringert und die
Elektrifizierung vorangetrieben werden. Alternative Brennstoffe wie
Wasserstoff müssten genutzt werden. An
den Kosten wird die Energiewende nicht scheitern: Seit 2010 sind
weltweit die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien um
bis zu 85 Prozent gesunken. „Das
ist besser als Experten erwartet haben“, sagt Jan Christoph Minx vom
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)
in Berlin.
Der Bericht sieht im urbanen Raum erhebliche Potenziale, um Emissionen zu reduzieren. So könnten Städte
kompakt und begehbar gestaltet werden, der Verkehr elektrifiziert und
mit naturbasierten Lösungen die Aufnahme und Speicherung von CO2 erreicht werden.
„In
fast allen Klimazonen sehen wir Beispiele für Gebäude mit
Null-Energie-Verbrauch sowie Null-CO2-Emissionen, sagt Jim Skea,
Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III.
Noch
in diesem Jahrzehnt müssten Maßnahmen eingeleitet, um Gebäude
klimafreundlich zu gestalten. Wärmepumpen seien Teil der Lösung, sagt Felix Creutzig vom MCC.
In der Industrie geht es dem Bericht nach darum, Materialien effizienter zu nutzen, Produkte wiederzuverwenden und aufzubereiten. Abfälle müssten minimiert werden. Für
Grundstoffe wie Stahl, Baumaterialien und Chemikalien gebe es
klimafreundliche Produktionsverfahren, die sich im Pilotstadium, aber
auch bereits in der kommerziellen Anwendung befinden.
Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzungen können CO2 in großem Umfang abscheiden und speichern. Wichtig seien naturbasierte Anpassungsmaßnahmen, die die Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen sicherten.
„Viele
Regierungen kämpfen mit der Frage, ob die Menschen diese Veränderungen
unterstützen würden“, so IPCC-Leitautorin Linda Steg von der Universität
Groningen und weist darauf hin, dass
die Akzeptanz höher sei, „wenn Kosten und Nutzen gerecht verteilt sind
und wenn faire und transparente Entscheidungsverfahren befolgt wurden.“
Kritik an Kompensationen für Klimaneutralität
Der
Sachstandbericht hält fest, dass „das Land“ keine verzögerten
Emissionsreduzierungen in anderen Sektoren kompensieren kann. Er nimmt
damit die in den letzten Jahren in Mode gekommenen
Kompensationsgeschäften für Emissionen ins Visier. So kauft man etwa
CO2-Zertifikate für Waldflächen, um damit eigene Emissionen zu
„neutralisieren“. Üblich ist das, um die Emissionen von Flugreisen zu
kompensieren, aber auch um die CO2-Bilanz eines Unternehmens zu schönen.
Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) sagt dazu: „Das
ist ein Warnschild, dass diese Potenziale nicht wie bisher genutzt
werden dürfen, indem man eigene Emissionen woanders auf der Welt durch
das Wachstum der Bäume wieder ausgleichen möchte.“
Dies sei „eine nicht mehr implizite Kritik an der Praxis, dass viele
Unternehmen bis übermorgen klimaneutral sein wollen, aber nicht ihre
eigenen Emissionen reduzieren.“ Geden stellt klar: „Die Emissionen müssen genuin reduziert werden.“
Unternehmen
können sich demnach nicht mehr über Kompensationen klimaneutral
rechnen, sondern müssen ihre Wertschöpfungsprozesse klimaneutral
gestalten.
Maßnahmen nachschärfen für das 1,5-Grad-Ziel
„Ohne
sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren ist
die globale Erwärmung nicht mehr auf 1,5°C zu begrenzen“, warnt der
jüngste Weltklimabericht.
Mit
Blick auf die aktuellen Emissionswerte und die aktuellen
Selbstverpflichtungen der Nationalstaaten (NDCs) sei es jedoch „fast
unvermeidlich“, dass die kritische Temperaturschwelle von 1,5 Grad
vorübergehend überschritten, aber gegen Ende des Jahrhunderts wieder
unterschritten werde.
Dies
setzt voraus, dass die CO2-Emissionen noch vor 2025 ihren Höhepunkt
erreichen und bis 2030 um 43 Prozent gesenkt sowie der Ausstoß von
Methan um ein Drittel reduziert wird.
„Die gegenwärtigen Politikmaßnahmen müssen nachgeschärft werden, um die gegenwärtigen NDCs bis 2030 zu erreichen.
Aber auch die NDCs selbst müssten nochmal nachgeschärft werden“,
erklärt der Klimaforscher Volker Krey vom Internationalen Institut für
angewandte Systemanalyse (IIASA) in Österreich.Für
Jim Skea steht fest: „Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad
Celsius begrenzen wollen, heißt es: jetzt oder nie.“ Er warnt: „Ohne
sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren wird
dies unmöglich sein.“ Die globale Temperatur werde sich stabilisieren,
wenn die CO2-Emissionen Anfang der 2050er Jahre Netto-Null erreichen.
Soll die Erwärmung auf 2 Grad begrenzt werden, müssen die
Treibhausgasemissionen ebenfalls vor 2025 sinken und bis 2030 um ein
Viertel reduziert werden.
Bericht fokussiert auf 2030
Der Bericht der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC befasst
sich mit der Frage, mit welchen Methoden bis 2030 die Emissionen
halbiert werden können. Damit rückt das Jahr 2030 in den Mittelpunkt der
Klimapolitik – wie bereits im Sachstandbericht der Arbeitsgruppe II, der im Februar veröffentlicht wurde.
Der Bericht wurde heute von den 195 Regierungen, die Mitglied des IPCC
sind, einstimmig angenommen. Er ist Teil des 6. Sachstandberichts des
Weltklimarats, der in diesem Jahr noch fertig gestellt werden soll.
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