Sehr geehrte Gemeinderätinnen, sehr geehrte Gemeinderäte,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
in
den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel und heftig über die
zukünftige Entwicklung der Gewerbeflächen in Salem diskutiert.
Dabei
hat sich eine deutliche Mehrheit des Gemeinderates gegen einen
Schwerpunkt für Industrie und Gewerbe, für den bisherigen
Standort im Gewerbegebiet in Neufrach, für den Erhalt des Grünzugs sowie
für eine Ansiedlung von lokalem Gewerbe entsprechend einem
nachvollziehbaren Bedarf ausgesprochen.
Angesicht der immer
knapper werdenden nutzbaren Flächen im Spannungsfeld von Natur, Klima,
Landwirtschaft und wirtschaftlicher Entwicklung ist es nur konsequent,
dass eine schrittweise Minimierung der Flächeninanspruchnahme für
Industrie und Gewerbe , Verkehr und Wohnungsbau erfolgen muss. Diese
Entwicklung führt hin zu einer Kreislaufwirtschaft in 2050. Das
jüngste Urteil des Bundesgerichtshofes hat gezeigt, dass Klimaschutz und
Flächensparen keine leeren Bekenntnisse bleiben dürfen, sondern genau
aufzuzeigen ist, wie die nachfolgenden Generationen entlastet werden
können. Im Folgenden wollen wir zeigen wie unseres Erachtens ein
sinnvoller Flächenverbrauch ermittelt werden kann und zu welchen
Konsequenzen das für Industrie und
Gewerbe in Salem führt.
Die Bemühungen Deutschlands zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens schlagen sich im
Klimaschutzgesetz und im Klimaschutzplan2050 nieder.
Zum Flächenverbrauch äußert sich der Klimaschutzplan wie folgt:
Der
Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche (Flächenverbrauch) soll im
Einklang mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bis 2020 auf 30
Hektar pro Tag reduziert und danach weiter gesenkt werden, so dass
spätestens bis zum Jahr 2050 der Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft
erreicht ist und - in Übereinstimmung mit dem „Fahrplan für ein
ressourceneffizientes Europa“ der EU - „nettonull“ beträgt.
Baden-Württemberg leistet für diese Ziele seinen Beitrag im Verhältnis seiner Fläche zur Gesamtfläche Deutschlands mit daraus resultierenden 3 ha/Tag, die allerdings bereits 2020 nicht ganz erreicht wurden.
Wenn wir den Flächenansatz entsprechend auf Salem anwenden und dabei annehmen, dass der
Flächenverbrauch
bis 2050 stetig bis auf null abfällt, lässt sich daraus der zulässige
Flächenverbrauch zwischen 2020 und 2035 berechnen. Das wären 21,6 ha.
Für
die folgenden 15 Jahre bis 2050 stände noch einmal eine Fläche von 7 ha
zur Verfügung. Es lässt sich über diesen Ansatz streiten, zumal weder
der Bund noch das Land konkrete Zwischenziele definiert haben, aber
sicher ist, dass wenn nicht jetzt mit Flächeneinsparungen begonnen wird,
künftige Generationen umso größere Lasten zu tragen haben.
Genau
das hat das Bundesverfassungsgericht letzte Woche in seinem Urteil zum
Klimaschutzgesetz angemahnt und die Politik zu Nachbesserungen
aufgefordert.
Nach dem jüngsten BGH-Urteil ist ein solches Vorgehen und damit auch der Regionalplan in seinem jetzigen Entwurf einklagbar.
21,6
ha entsprechen dem maximalen Flächenverbrauch an Siedlungs- und
Verkehrsflächen in Salem. Wenn davon für Verkehrsflächen (Radwege, etc.)
10% und für Erholung, Freizeit, Sport etwa 5% entfallen, bleiben vom
Rest etwa 2/3 für Wohnsiedlung also 12,2 ha und 1/3 für Gewerbe also 6,1
ha.
Diese 6,1 ha erscheinen erschreckend wenig im Vergleich zu den
großzügigen Flächeninanspruchnahmen der vergangenen 10- 20 Jahre als
auch gegenüber den 27,1 ha laut Regionalplan. Der Regionalplan geht aber
von einem überproportional hohen Zuschlag für den Schwerpunkt für
Industrie und Gewerbe aus.
Mit dem GR-Beschluss vom
23.2.2021 hat sich Salem aber für ein „lokales Gewerbegebiet “ und gegen
ein Schwerpunktgebiet für Industrie und Gewerbe entschieden. Damit
ändert sich die Grundlage für die bisherige Flächenberechnung des
Regionalplans gravierend. Beschränkt man sich nämlich auf die lokalen
Salemer Bedarfe, ergibt
die Berechnung analog dem im Acocella Gutachten des RVBO beschriebenen
GIFPRO Verfahren anhand der sozialversicherungspflichtigen Einwohner
eine erheblich reduzierte Flächeneinschätzung der bis 2035 als notwendig
angesehenen Gewerbeflächen.
Das GIFPRO Standard Verfahren liefert eine Netto-Bedarfsfläche von 9,2 ha bis 2035.
Dieser
Wert dürfte auch für die Bruttofläche gelten, weil die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mangels entsprechender
Informationen in unserer Annahme zu hoch gegriffen ist. Für Beamte oder
Angestellte des öffentlichen Dienstes z.B. müssen keine Gewerbeflächen
zur Verfügung gestellt werden. Außerdem werden durch Verlagerung
freigewordene Flächen in dem Berechnungsverfahren nicht berücksichtigt.
Diese können jedoch gerade bei der Verlagerung von lokalem Gewerbe
erheblich sein.
Das genauere GIFPRO Vallee Verfahren liefert eine Netto-Bedarfsfläche von 7,2 ha.
Für
den Bruttowert gilt das gleiche wie für das Ergebnis des GIFPRO
Standard Verfahrens. Details zur Berechnung finden sich im Anhang.
Die
Ergebnisse nach den beiden GIFPRO Verfahren liegen nicht weit
auseinander. Mit etwa 8 ha Bedarf liegen die auf industriellen
Erfahrungswerten basierenden Verfahren nicht allzu weit vom
Flächensparziel von Bund und Land entfernt
Hinzu kommen in Zukunft noch gewerbeflächensparende Effekte wie:
- Einsparung von Büroflächen durch vermehrtes Homeoffice
- Verbessertes betriebliches Mobilitätsmanagement mit damit verbundener Reduktion von
Parkflächen
- Digitalisierung löst Hardwareanwendungen ab und reduziert Arbeitsraum
- Dezentralisierung der Produktion durch Ausbreitung des 3D-Drucks
Zusammen mit der konsequenten Anwendung der bauplanerischen Vorgaben könnten die benötigten Gewerbeflächen der nächsten 15 Jahre mit den heute zur Verfügung stehenden freien Flächen bedient werden. Eine grobe Recherche unsererseits zeigt allein im erschlossenen Bereich des Gewerbegebiets eine Gesamtfläche von etwa 6 ha. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob diese Grundstücke in Gemeindehand sind oder nicht. Das neue Gewerbegebiet in Überlingen entstand auf einer Reservefläche der Firma Diehl, die von der Stadt zurückgekauft wurde.
Wenn wir die Ankündigungen des erneuerten Koalitionsvertrags der Regierungsparteien Baden-
Württembergs
ernst nehmen, dann sind möglicherweise selbst die hier vorgelegten
Zahlen zum zulässigen Flächenverbrauch Makulatur und müssen weiter
reduziert werden. Der Vertrag spricht von einem Flächensparziel von 2,5
ha/Tag und von einem netto null Verbrauch bereits im Jahr 2035. Um
dieses Ziel zu erreichen sollen den Kommunen effektive Instrumente für
den sparsamen Umgang mit Flächen in die Hand gegeben werden.
Eine Auswahl dieser Instrumente zeigt der Anhang 2. So könnte auch der Flächenzertifikatehandel
wieder eine Rolle spielen, der den Flächenverbrauch unter den Kommunen
so regelt, dass Kommunen, die zu viele Flächen beanspruchen, diese über
teure Zertifikate beschaffen müssen.
Das Aktionsbündnis Grünzug Salem befürwortet eine Weiterentwicklung Salems für nachfolgende Generationen. Unsere
Recherchen zu Freiflächen, unsere Berechnungen zu den von Bund und Land
vorgegebenen Flächeninanspruchnahmen und auch unsere Vorschläge, sich
einem modernen Flächenmanagement zu öffnen, sollen die diesbezügliche
Diskussion konkretisieren.
Im Spannungsfeld aller Nutzungsformen
sollte die Bedeutung eines gesunden Bodens oberste Priorität für die
CO2-Speicherung, für die Abpufferung von Wetterextremen (Hitze und
Niederschlag) und nicht zuletzt für die regionale Versorgung der eigenen
Bevölkerung mit Nahrungsmitteln haben. Nach vielen Jahren sorgloser
Flächenversiegelung muss ein intelligentes Flächenmanagement, ein Weg
zur
Flächenkreislaufwirtschaft hin bis zum Ansatz des „cradle to
cradle“ stattfinden. Dies ist keine Utopie, dies ist unmittelbare
Notwendigkeit und in manchen Gemeinden schon Realität.
hier kann man den ganzen Brief einschließlich der Berechnungen runterladen
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