Mittwoch, 17. Mai 2023

Unser Nachbarland Dänemark zeigt uns, wie man günstig und umweltfreundlich heizt

Spiegel  13.5.23  Lena Greiner  hier  in "Alles Gute"– der Newsletter mit ausschließlich guten Nachrichten 

Die Kosten für Fernwärme (hier: in Hamburg) sind im vergangenen Jahr extrem gestiegen. Die Stadt hat eines der größten Fernwärmenetze Deutschlands, und dieses wird vor allem mit Steinkohle aus einem Heizkraftwerk betrieben. Also extrem klimaunfreundlich – und extrem teuer.

Nur 270 Kilometer entfernt von Hamburg weiß man, wie es viel besser geht. Auch dort, in Esbjerg, einer kleinen Hafenstadt an der Westküste Dänemarks, heizen viele Menschen ihre Wohnungen und Häuser mit einem Fernwärmenetz, die meisten sogar. Doch das alte Kohlekraftwerk brauchen sie nicht mehr, es soll abgeschaltet werden. Stattdessen steht nun, direkt gegenüber, die größte auf CO₂ basierende Meerwasser-Wärmepumpe der Welt – eine Innovation, gebaut von dem deutschen Unternehmen MAN.

Wärmepumpen ziehen Wärme aus der Umgebung und speisen sie ins Heizsystem ein. Bei Einfamilienhäusern meist aus dem Boden oder der Luft. Das Modell in Esbjerg nutzt die Wärme von Meerwasser. Der entscheidende Vorteil gegenüber Einzelgeräten: Großwärmepumpen können gleich Tausende Haushalte auf einmal auf erneuerbare Wärme umstellen – ohne einen einzigen Heizungstausch. In Esbjerg und Umgebung werden ab Oktober 100.000 Menschen komplett von Kohle auf grüne Fernwärme aus der Wärmepumpe umgestellt. Die Verbraucher merken den Wechsel wahrscheinlich nur daran, dass die Preise sinken. Und die Stadt spart jährlich 60.000 Tonnen CO₂.

Meine Kollegin Susanne Götze aus unserem Wissenschaftsressort hat sich das Projekt vor Ort angeschaut. Sie ist begeistert von dem »grünen und effizienten Pragmatismus«, wie sie es nennt: »Die staatlichen Betreiber dort müssen für die Verbraucher kostengünstige Lösungen anbieten. Und allen war klar, dass Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien am meisten Sinn ergeben, kein Däne möchte mehr etwas anderes, selbst die, die vor Jahren noch skeptisch waren, berichteten meine Gesprächspartner.«

Was Susanne vor allem erstaunt hat, war die Erkenntnis, »welch große Potenziale die Wärmepumpen-Technologie bietet«. Und: »Das könnten wir auch in Hamburg machen.« Oder anderswo.


Spiegel hier  Aus Esbjerg berichtet Susanne Götze   08.05.2023

Energiewende in Dänemark: Das Wärmewunder von Esbjerg

An der dänischen Westküste wird die Fernwärme eines Kohlekraftwerks durch eine der weltgrößten Wärmepumpen ersetzt. Gebaut hat sie das deutsche Unternehmen MAN. Was macht das Nachbarland besser?

Um bis 2030 klimaneutral zu werden, haben die Bürger Esbjergs einen Profi ins Amt gewählt: Als Ingenieur versteht Frost Rasmussen etwas von Ökostrom, Fernwärmenetzen und Netzstabilität. Er verkörpert einen grünen Pragmatismus, den man in Deutschland vergeblich sucht. »Wir reden nicht, sondern wir machen es einfach. Und wir machen es schnell«, sagt der Bürgermeister. »Wer jetzt handelt, ist ganz vorn mit dabei, auf der Gewinnerseite.« Im Gespräch fällt nicht ein einziges Mal das Wort Klima. Später wird Frost Rasmussen erklären, dass hohe Klimaziele in Dänemark eben längst Konsens seien. Etwas, worüber man nicht mehr sprechen muss.

Esbjerg steht für die Zukunft: Elektrobusse und viele Fahrradwege prägen das Stadtbild, der Hafen ist der größte europäische Umschlagplatz für Offshore-Windenergieanlagen, demnächst soll vor Ort einer der weltgrößten Elektrolyseure gebaut werden, um grünen Wasserstoff herzustellen.

Der jüngste Coup des Bürgermeisters steht in einer schwarzen Halle auf dem Hafengelände, direkt gegenüber dem Kohlekraftwerk: die größte auf CO₂ basierende Meerwasser-Wärmepumpe der Welt. Frost Rasmussen ist mächtig stolz: »Eine Innovation, selbst der Hersteller hat sie das erste Mal aufgebaut«. Der heißt MAN Energy Solutions und hat seinen Sitz in Augsburg.

Bisher sorgte ein Steinkohlekraftwerk für warme Wohnungen in dem Städtchen. Das soll nun abgeschaltet werden. So spart Esbjerg 60.000 Tonnen CO₂ im Jahr – so viel wie durchschnittlich bei 40.000 Kleinwagen mit Verbrennungsmotor anfällt.

Normale Wärmepumpen fürs Einfamilienhaus kommen auf rund 0,015 Megawatt Leistung. Die neue Riesenwärmepumpe in Esbjerg hat rund 70 Megawatt.

Den deutschen Streit über die Wärmepumpe versteht man in Dänemark nicht. Bereits seit 2013 dürfen dort keine Öl- und Gasheizungen in Neubauten mehr verbaut werden, seit 2016 gilt das in der Regel auch für Ölheizungen im Bestand. Im Nachbarland ist über 40 Prozent der Wärme grün. In fünf Jahren sollen überhaupt keine Heizungen mehr mit Erdgas laufen.

In Dänemark ist die Wärmewende auch deshalb so erfolgreich, weil etwa zwei Drittel der Haushalte an ein Fernwärmenetz angeschlossen sind. Der entscheidende Vorteil gegenüber Einzelgeräten in jedem Garten: Großwärmepumpen können gleich Tausende Haushalte auf einmal auf erneuerbare Wärme umstellen – ohne einen einzigen Heizungstausch. In Esbjerg und Umgebung werden ab Oktober 100.000 Menschen komplett von Kohle auf grüne Fernwärme aus der Wärmpumpe umgestellt. »Wird Gas, Öl und Kohle über einen zentralen Wärmeproduzenten ersetzt, ist das günstiger und geht schneller«, sagt Kenneth Jørgensen, Projektmanager der Wärmepumpe in Esbjerg. Im besten Fall würden die Verbraucher den Wechsel nur daran merken, dass die Preise sinken.

Ob große oder kleine Ausführung, Wärmepumpen funktionieren im Kern alle gleich: Sie ziehen Wärme aus der Umgebung und speisen sie ins Heizsystem ein. Bei Einfamilienhäusern meist aus dem Boden oder der Luft, das Modell in Esbjerg nutzt die Wärme von Meerwasser. Sein Großgerät plante Frost Rasmussen in nur dreieinhalb Jahren. »Das ist selbst für unsere Verhältnisse recht schnell«, kommentiert er süffisant.

Wasserrohre mit mehr als einem Meter Durchmesser leiten rund 14.000 Kubikmeter Meerwasser pro Stunde durch die Anlage. Pipelines saugen das Wasser aus dem Hafenbecken, bringen es zur Halle und spülen es an anderer Stelle wieder ins Meer. Gleich am Eingang des Gebäudes fallen die wuchtigen Wärmetauscher ins Auge, sie überragen die Besucher und sehen aus wie eine aufgeblähte Megapipeline. Sie entziehen dem Meerwasser rund zwei bis drei Grad Temperatur. Diese Differenz reicht aus, um das Fernwärmenetz auf bis zu 90 Grad zu bringen.

Dafür nutzt man die Aggregatzustände des Kühlmittels CO₂: Es zirkuliert in der Wärmepumpe, erst verdampft es und nimmt die Wärme des Meerwassers auf, dann läuft es durch einen Verdichter, der eine Etage höher über eine Stahltreppe zu erreichen ist. In dem Stahlbehälter mit einer Höhe von rund zwei Metern wird es komprimiert und erhitzt sich weiter. Elektromotoren helfen dabei, das CO₂ von 35 auf 100 bar zu verdichten. »Pro Kilowattstunde zugeführter Energie wird mehr als dreimal so viel Wärme erzeugt«, sagt Techniker Jørgensen. Es lohnt sich also. Der Strom komme meist von den Windrädern vor der dänischen Küste. Die Heizenergie wird schließlich über heißes Wasser an das Fernwärmenetz übertragen.

In Deutschland sind Großwärmepumpen für Fernwärme noch im Pilotstadium. In Mannheim testet der Energieversorger MVV derzeit etwa eine Flusswärmepumpe, die Rheinwasser als Wärmequelle nutzt – für rund 7000 Menschen – das sind weniger als ein Zehntel des Projekts in Dänemark.

Die Gemeinde Esbjerg verschickte vor einem halben Jahr sogenannte »Fernwärmebriefe«. Wer möchte und wo es technisch möglich ist, soll an ein Fernwärmenetz mit erneuerbaren Energien angeschlossen werden. »Wärmepumpen und Fernwärmenetze sind die effizienteste Lösung, um schnell von Öl und Gas loszukommen«, sagt Bürgermeister Frost Rasmussen. Und er hat noch eine Botschaft an die Deutschen: »Investiert in Wärmepumpen und verkürzt eure Planungszeiten.«

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