hier Geschichte von Amy Walker
„Alle mal in der Realität baden“
Beim diesjährigen Energy Transition Dialogue in Berlin fordert der Generalsekretär der Agentur für Erneuerbare Energien weniger Reden und mehr Handeln. Der Atomkraft erteilt er aber eine Absage.
Der Vorsitzende der Internationalen Erneuerbaren Energien Agentur (Irena), Francesco La Camera, hat im Rahmen der zweitägigen Klimakonferenz Energy Transition Dialogue in Berlin für mehr Fokus beim Erreichen der Klimaziele plädiert. Seine Behörde stellte am Dienstag (19. März) einen neuen Bericht vor, aus dem deutlich wurde, wie weit die Welt beim Ausbau der Erneuerbaren hinterherhinkt. Im Durchschnitt müssten demnach bis 2030 beinahe 1100 Gigawatt (GW) an Extra-Kapazität jährlich installiert werden - mehr als doppelt so viel, wie im Rekordjahr 2023 mit 473 GW hinzugekommen ist. Nötig seien jährliche Investitionen in Höhe von 1550 Milliarden US-Dollar (ca. 1058 Milliarden Euro). Die weltweit installierte Kapazität lag nach vorläufigen Irena-Zahlen im vergangenen Jahr bei 3870 GW.
„Wir sollten alle in der Realität baden“: La Camera fordern Taten statt Worte
Aus Sicht von Francesco La Camera müsse die Staatengemeinschaft anfangen, ihre Versprechen mit der Realität zu vergleichen. „Wir können darüber froh sein, dass wir im vergangenen Jahr die Solarleistung verdoppelt haben. Oder wir können unglücklich sein, weil es weniger als die Hälfte dessen ist, was wir brauchen“, sagte der Italiener am Rande der Konferenz. Optimismus sei gut, „aber wir sollten alle mal ein bisschen in der Realität baden“.
Um die vorgegebenen Ziele bis 2030 zu erreichen, fordert La Camera „vollen Fokus“ auf die Umsetzung von Projekten, die dem Ziel dienen. Alles, was dem Ziel nicht diene, müsse man aufgeben – womit er ganz explizit die Atomkraft meint. „Ich sage Ihnen, Atomkraft ist ein Witz. Wenn Sie googeln, wie viel installierte Leistung aus Atomkraft heute stammt, lesen Sie: 371 Gigawatt, installiert in den vergangenen 70 Jahren. Wir haben in einem Jahr 30 Prozent mehr Leistung mit Erneuerbaren installiert, als in 70 Jahren mit Atomkraft.“ Das sage er nicht, weil er gegen Atomkraft an sich sei. „Ich sage nicht, dass es schlecht ist. Ich sage nicht, dass es unwirtschaftlich ist. Ich sage nicht, dass es risikoreich ist. Das einzige, was ich sage, ist, dass wenn wir bis 2030 unseren CO₂-Ausstoß um 40 Prozent verringern möchten, dann ist Atomkraft nicht nützlich“.
Der Chef der Erneuerbaren-Agentur verwies auf Länder wie Finnland und Großbritannien, wo der Bau neuer Kraftwerke nicht nur lange dauert – im Fall von Finnland zwölf Jahre, in Großbritannien soll der neue Reaktor ganze zehn Jahre später als geplant ans Netz – sondern auch noch sehr teuer. So teuer, dass der chinesische Investor in Großbritannien aufgrund der explodierenden Kosten abgesprungen ist.
Die Möglichkeiten, die Francesco La Camera und seine Behörde befürworten, sind dabei vielfältig: Neben dem massiven Ausbau von Solar- und Windkraft sei Wasserstoff eine zentrale Komponente. Irena hält es auch für gerechtfertigt, fossiles Erdgas zur Herstellung von Wasserstoff zu verwenden, wenn das ausgestoßene CO₂ dann wieder eingefangen wird (Carbon Caputre and Storage, CCS). Insbesondere in Ländern, deren Wirtschaft auf fossile Energien aufgebaut ist, sei das eine Lösung, so La Camera. „Wir können nicht von diesen Ländern fordern, dass sie ihre Wirtschaft zerstören.“ Vor allem in der Übergangsphase können Technologien wie CCS für diese Regionen eine Lösung sein.
Francesco La Camera hält auch eine Beteiligung von Öl und Gasunternehmen bei der Energiewende für grundsätzlich gut. „Öl- und Gasfirmen sind nicht meine Feinde. Mir geht es darum, sie für einen guten Zweck zu nutzen“. Wenn sie wirklich einen Beitrag zum Ausbau der Erneuerbaren leisten, habe er „nichts dagegen“.
Auch halte er wenig davon, große Förderländer von fossilen Energien, wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, dafür zu bestrafen, dass sie weiter Öl und Gas verkaufen. „An wen verkaufen sie denn Öl und Gas? Zeig nicht den Finger auf andere, wen du derjenige bist, der sie zu ihren Taten zwingt!“ Der Fokus müsse darin liegen, die Nachfrage an Öl und Gas zu senken – auch in Entwicklungsländern.
Um die soll es auch bei der diesjährigen Klimakonferenz COP29 in Aserbaidschan gehen, konkret um die Finanzierung der Energiewende in ärmeren Ländern. Aus Sicht von Francesco La Camera braucht es eine ähnliche Kraftanstrengung wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa mithilfe finanzieller Unterstützung aus den USA wiederaufgebaut wurde. „Diese Investitionsinfrastruktur hat Europa zu dem gemacht, was es heute ist. Etwas Ähnliches sollten wir nun für den afrikanischen Kontinent und Südostasien machen“, so der Irena-Chef. Davon würden schließlich alle profitieren, wenn in diesen Ländern zu günstigen Bedingungen grüner Wasserstoff hergestellt werden könnte, der dann in die westliche Welt verkauft werden könnte. „So entsteht ein positiver Kreislauf von wirtschaftlicher Entwicklung, das auch eine gerechtere Welt schafft. Heute leben wir schließlich nicht in einer gerechten Welt“.
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